Kaufentscheidungen werden unabhängig von der Altersgruppe immer häufiger in Bezug auf die Nachhaltigkeit getroffen. Vor allem junge Kundinnen und Kunden legen bei ihren Kaufentscheidungen Wert auf nachhaltige Produkte und Dienstleistungen. Sie wollen schnell, zielgerichtet sowie emotional erreicht und überzeugt werden. Da das Online-Marketing gegenüber dem klassischen Marketing immer mehr an Bedeutung gewinnt, legen wir im Folgenden dar, warum Nachhaltigkeit im Online-Marketing Berücksichtigung finden sollte und wie man das exemplarisch ausgestalten kann.
Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Michael Jacob und Christoph Unteregger M.A.
Als Instrument der modernen Marketingkommunikation beinhaltet das Online-Marketing sämtliche Marketingaktivitäten eines Unternehmens, mit denen man Kundinnen und Kunden über das Internet erreicht. Eine Optimierung im Online-Marketing ermöglicht Unternehmen eine fokussierte Zielgruppenerreichung auch unter Beachtung einer mit der DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) konformen Auswertung der Kundendaten. Dies trägt zur Sicherung von Wettbewerbsvorteilen im dynamischen Marktgeschehen bei. Online-Marketing bietet somit die Chance, zielgruppenspezifisch, effizient und kostengünstig zu kommunizieren.
Gewinnbringende Aspekte von Nachhaltigkeit im Online-Marketing
Eine authentische Darstellung nachhaltiger Aspekte der Wertschöpfung sowie des nachhaltigen gesellschaftlichen Engagements erhöhen durch positive Affirmationen langfristig den Unternehmenserfolg. Die Achtsamkeit der Kundinnen und Kunden gegenüber sozialen und ökologischen Missständen wächst und rückt Unternehmen als gesellschaftliche Akteure in den Fokus der Aufmerksamkeit.
Mithilfe der digitalen Kommunikation durch Online-Marketing lassen sich nachhaltige Aspekte der Wertschöpfung und des unternehmerischen Engagements transparent und authentisch darstellen. Damit das als ethisch bezeichnete Marketing solide und akzeptierend wirkt, sollte offen und ehrlich kommuniziert werden. In Anbetracht einer volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Welt (VUCA) bedarf es dieser Art glaubwürdiger Kommunikation, die Eindeutigkeit erweckt und bei anstehenden Kaufentscheidungen Sicherheit vermittelt. Langfristig hat dies Einfluss auf die Kundengewinnung sowie Kundenbindung und schlägt sich positiv in der Erfolgsbilanz des Unternehmens nieder.
Implementierung nachhaltiger Aspekte im Online-Marketing
Die Maßnahmen bzw. Marketingaktivitäten sind abhängig vom jeweiligen Kommunikations- bzw. Interaktionskanal. Im Folgenden wird beispielhaft auf die Corporate Website, die sozialen Medien und die Suchmaschinenoptimierung im Kontext Nachhaltigkeit im Online-Marketing eingegangen.
Corporate Website
Eine nachhaltige Gestaltung der Unternehmensseite (Corporate Website) lässt sich unabhängig von den Inhalten insbesondere durch das Design vermitteln.
Hierbei ist es wichtig, dass zum Beispiel Farben harmonisch kombiniert und aufeinander abgestimmt werden. In Bezug auf das Themenfeld Nachhaltigkeit sollte man Farbpaletten verwenden, mit denen Kundinnen und Kunden den Begriff der „Natürlichkeit“ assoziieren. Dies sind vornehmlich Farben, die in Zusammenhängen mit allem stehen, was der Natur entspringt: braun (Erde), grün (Pflanzen, Bäume), gelb (Licht), rot (Feuer), blau (Wasser) usw. Ebenso sollte man Bilder themenspezifisch wählen und anpassen, um klare authentische Botschaften zu transportieren.
Soziale Medien
Das zielgerichtete Content Management auf ausgewählten Social Media-Plattformen ist im Wettbewerb gerade für Unternehmen, die mit Produkten und/oder Dienstleistungen jüngere Menschen adressieren, unverzichtbar. Das Spektrum an Möglichkeiten erstreckt sich dabei von Blogs und Foren bis hin zu Plattformen wie Facebook, Instagram, TikTok, Youtube oder auch LinkedIn und Xing.
Dem Zeitgeist entsprechend finden sich auch auf den Social Media-Plattformen immer mehr Menschen, die für das Thema Nachhaltigkeit eintreten oder aber daran zumindest interessiert sind. Für Unternehmen ist es daher essenziell geworden, ihr Social Media-Marketing an folgenden Aspekten zu orientieren:
Transparenz, Engagement, Authentizität:
Um Kundschaft zu gewinnen und zu binden ist es wichtig, diesen bei der Produktdarstellung ein Gefühl der ökologischen und sozialen Ehrlichkeit zu vermitteln.
Schnelle und fokussierte Vermittlung von Inhalten:
Bei der Vielzahl an Möglichkeiten sich zu informieren, bleibt Kundinnen und Kunden wenig Zeit, sich in der Tiefe mit Inhalten auseinanderzusetzen. Sie möchten schnell und zielgerichtet von der Nachhaltigkeit des Unternehmens überzeugt werden.
Influencer: Das Einsetzen von Influencern aus dem Bereich Nachhaltigkeit, mit denen sich ein User identifiziert, wirkt unter Aspekten der Authentizität und Wertvermittlung positiv auf das Bewerben von Produkten und Dienstleistungen.
Cross-Media Marketing: Im Rahmen der Customer Journey kommt der plattformübergreifenden Werbung eine wichtige Rolle zu. Im Bereich ihrer Social Media-Aktivitäten sollten Unternehmen daher darauf achten, über welche nachhaltige Plattformen sie den Erstkontakt zu Kundinnen und Kunden suchen und auf welche weiteren Plattformen sie sie weiterleiten. Diese müssen konform mit den allgemeinen Grundsätzen der Nachhaltigkeit sein und ökologische und soziale Aspekte berücksichtigen.
Suchmaschinenoptimierung
Zu den elementaren Instrumenten im Online-Marketing zählt auch die Suchmaschinenoptimierung (SEO = Search Engine Optimization). Sie dient häufig dazu, den Erstkontakt zu Kundinnen und Kunden in der digitalen Customer Journey herzustellen. Ein/e Interessent/in wird dabei nur die ersten Ergebnistreffer seiner Recherchetätigkeit näher betrachten. Die Position, die das jeweilige Unternehmen mit seinen Produkten und Dienstleistungen in der Reihenfolge der Suchergebnisse einnimmt, bewertet die Suchmaschine anhand von festgelegten Kriterien.
Im Hinblick auf nachhaltige Aspekte lässt sich feststellen, dass sich durch eine fokussierte und kundenorientierte Keyword-Strategie mit entsprechenden Begrifflichkeiten (z. B. ökologisch, umweltschonend, umweltverträglich) die Positionierung in den Suchmaschinen optimieren lässt.
Fazit zur Nachhaltigkeit im Online-Marketing
Das Thema Nachhaltigkeit gewinnt im Kontext des Online-Marketings an Dynamik. Es bietet Unternehmen, die dafür Zeit und Geld investieren, die Möglichkeit, sich neu am Markt zu positionieren. Dabei sind Nachhaltigkeit und die geeignete Übermittlung nachhaltiger Aspekte kein branchenspezifisches Thema, sondern finden sich in nahezu allen Branchen wieder. Fragen zur Ressourcenschonung, zum Umweltschutz oder zu ethisch normativen Aspekten können von jedem Unternehmen aufgegriffen werden. Im Anschluss verknüpft man sie dann mit seinen Produkten und Dienstleistungen. Das Online-Marketing bietet dafür vielfältige Möglichkeiten.
Über die Autoren
Prof. Dr. Michael Jacob ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Kaiserslautern und Experte für Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt! Im heutigen Beitrag plädiert Michael Hübler für die Mitarbeiterbindung und sieht die Bindung der Mitarbeitenden als zentrale Führungsaufgabe der Zukunft.
Auf dem Weg zu “New Normal”?
Wir leben in einer Zeit stetiger Umbrüche. Agilität, die Orientierung am Kundenwunsch und seit eineinhalb Jahren Corona. Das Homeoffice sollte bereits vor Corona seinen Siegeszug antreten und ist nun vollständig etabliert, auch wenn nicht alles rund läuft. Die Kreativität im Team leidet. Konflikte werden verschoben. Die Arbeit im Homeoffice ist nun einmal prädestiniert für Einzelkämpfer/innen und unabhängige Arbeiten. Im Kern der virtuellen Zusammenarbeit stehen der Autonomie-Gedanke und damit auch ein Stück weit die Selbstverwirklichung der Mitarbeiter/innen sowie die Chance auf eine bessere Balance zwischen Arbeit und Privatleben.
Auf der anderen Seite stehen Großraumkonzepte, die den zweiten Kern einer neu verstandenen, glücklich machenden Arbeit ins Visier nehmen: Die Begegnung, Mitbestimmung und Kreativität am Arbeitsplatz.
Beide Konzepte, die uns nach Corona als hybrides New Normal begleiten werden, sprechen – das wird häufig vergessen oder ignoriert – nicht nur unterschiedliche Arbeitsaufgaben, sondern auch unterschiedlich motivierte Mitarbeiter/innen an. Die einen wollen lieber selbstverantwortlich agieren, um sich lebendiger und zufriedener zu fühlen. Die anderen arbeiten, um sich mit Kolleginnen und Kollegen zu treffen und auszutauschen. Sie sehen im sozialen Miteinander am Arbeitsplatz einen wesentlichen Aspekt ihres Daseins.
Büro oder Homeoffice?
Während sich Unternehmen wie Google oder Start-ups offenbar leicht tun, neue Konzepte umzusetzen, da ihre Mitarbeitenden scheinbar von selbst mitziehen, sind neue Ideen der räumlichen und zeitlichen Zusammenarbeit nicht ohne Weiteres auf traditionelle Unternehmen übertragbar und führen bisweilen zu einer großen Verwirrung bei Mitarbeitenden. Was im Silicon Valley funktioniert, erntet in einer deutschen Bank skeptische bis abschätzige Blicke, was ich vor ein paar Jahren im Rahmen eines Vortrags zum Thema Agilität hautnah erleben durfte. Hier soll wohl wieder einmal eine neue Sau durchs Dorf getrieben werden.
Tatsächlich werden manche Konzepte leider nicht bis an ihr logisches Ende durchdacht. So scheitern manche gut gemeinten Großraumprojekte bereits daran, dass sich die Mitarbeitenden von nun an beobachtet fühlen. Dass es keine trennenden Wände mehr gibt, heißt noch lange nicht, dass sich die Kolleginnen und Kollegen ab sofort offener austauschen, den Kreativitätsturbo zünden und die Bindung im Unternehmen erhöht wird. Trennende Wände gewährleisten stattdessen oftmals genau die Sicherheit, die es braucht, sich vertrauensvoll zu unterhalten.
In einem anderen Fall aus meiner Praxis wollte sich die Führungskraft unbedingt in der Mitte des Raumes positionieren. Der Grund ist offensichtlich: Im Mittelpunkt zu stehen ist nicht nur ein Zeichen von Macht, sondern auch von Kontrolle. Neben diesen offensichtlich unguten Merkmalen ergab sich noch ein weiteres Problem: Da die Führungskraft am häufigsten Besuch von Kolleginnen und Kollegen bzw. Kundinnen und Kunden bekommt, herrscht im gesamten Großraumbüro die gesamte Zeit eine Menge Trubel. Das könnte man sich mit einem Platz am Rande ersparen.
Und mit der Autonomie im Homeoffice ist es auch nicht weit her, wenn die Führungskraft kontrolliert, wann ich mich ein- und auslogge, wie es leider immer noch allzu häufig passiert. Die Digitalisierung ist nun mal Segen und Fluch zugleich.
Natürlich sind das alles keine Totschlagargumente gegen Homeoffice und Großraumbüros. Die Probleme verdeutlichen jedoch, worauf es in Zukunft ankommen sollte. Agilität, Flexibilität, Kreativität und Individualität werden derzeit groß geschrieben. Die Digitalisierung verspricht uns, immer und von überall aus arbeiten zu können. Dabei geht jedoch vor allem die Bindung der Mitarbeitenden untereinander, zu ihren Führungskräften und an das Unternehmen verloren oder könnte zumindest einen schmerzhaften Knacks bekommen. Kein Wunder, dass derzeit die Mitarbeitenden liebend gerne wieder in die Büros strömen, um sich ein klein wenig alte Normalität zurück zu holen.
Für das Homeoffice liegt der Rückschluss der mangelnden Bindung auf der Hand. Doch auch in Großraumbüros müssen sich die Beziehungen untereinander durch den stetigen Wechsel zwischen Homeoffice und Präsenzarbeitsplatz erst einspielen.
Dabei liegt es wie so oft nicht an den neuen Strukturen, sondern an den Haltungen, Überzeugungen und dem Mindset des Managements, der Führung und dem gesamten Unternehmen. Sind tragende Beziehungen vorhanden, werden flexible Strukturen leichter angenommen, als in einem streng hierarchisch organisierten Unternehmen. In einem Unternehmen, in dem die Beziehungen so tragend sind, dass sie gleichzeitig verpflichtend wirken, sowie zu einem offenen und ehrlichen Austausch auch auf Distanz führen, tanzt keine Maus auf dem Tisch und niemandem wird langweilig. Jeder weiß, was er oder sie darf, kann und soll und wer im Zweifel gefragt werden kann.
Die Welt ist ein Dorf
Ein gut funktionierendes Unternehmen lässt sich mit einer Kleinstadt vergleichen: Wenn ich will, kann ich jeden kennenlernen. Da eine Kleinstadt jedoch größer ist als ein Dorf, braucht es eine gewisse Zivilität, um gut miteinander auszukommen. Dies wird dadurch begünstigt, dass wir uns in Unternehmen über Rollen, Funktionen und Aufgaben treffen und nicht direkt über unsere Person. Daher sind Sympathien oder Antipathien zweitrangig – oder sollten es sein. Ein schlechtes Unternehmen gleicht einem digitalen Dorf, in dem die kleinsten Verfehlungen im Handumdrehen jeder weiß, entweder das Unternehmen als kleiner Überwachungsstaat – Skandale dazu gab es schon viele in den letzten Jahren von Schlecker bis Amazon – oder der Flurfunk. Oder es gleicht einer Großstadt, in der ich mich verliere, weil ich niemanden wirklich kenne. Das digitale Dorf führt zu aktiven Fluchtimpulsen, die Großstadt zu Verlorenheit und Trägheit. Aber bis zur Rente werde ich es vielleicht noch aushalten.
Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser
In einem Unternehmen, das aufgrund von Kontrolle funktioniert, führt die Entfremdung der Mitarbeitenden zueinander bzw. zu ihrer Führung und zum Unternehmen beinahe automatisch zum Impuls, die Überwachung mittels Algorithmen zu erhöhen. Dies ist auch gesellschaftlich zu beobachten, wie es der Essay des Philosophen John Gray im Philosophie Magazin 21 Impulse für 2021 verdeutlicht: Je individueller wir leben, desto mehr entfremden wir uns voneinander, was dazu führt, dass wir weniger aufeinander aufpassen (Stichwort: Wachsamer Nachbar gegen Einbrüche), desto mehr setzen wir selbst auf persönliche digitale Überwachungsinstrumente wie Videokameras, um uns dennoch sicher zu fühlen und der Staat ebenso umso mehr Überwachungskameras im öffentlichen Raum einsetzt.
Während es bei hochmotivierten Mitarbeitenden offensichtlich ausreicht, ihnen mithilfe von Frameworks jenseits bekannter Arbeitsstrukturen eine sichere Orientierung zu bieten – wobei die Überwachungsskandale von Amazon oder das Buch The Circle von Dave Eggers uns erahnen lassen, dass es auch in der Hightech-Branche eine ganze Menge an freundlich-paternalistischer Überwachung gibt – braucht es in eher traditionellen Unternehmen ein Umdenken in der Führung, um einen solchen neuen Geist der Zusammenarbeit und Verantwortung auch ohne Überwachung zu etablieren, damit Teams auch ohne klare Strukturen produktiv arbeiten.
Agile Frameworks wie Scrum bieten einerseits einen Rahmen, in dem das Setzen eigener Ziele und freie operative Entscheidungen möglich und gefordert sind, sind jedoch andererseits nicht so frei, dass die Freiheit zum Chaos wird. In Scrum finden tägliche Kurzmeetings als Statusabfrage des aktuellen Arbeitsstands der Mitarbeitenden statt. Damit ist die Freiheit der täglichen Arbeit gewährleistet. Gleichzeitig führt der regelmäßige Abgleich zu einem entsprechenden sozialen Druck durch die Kolleginnen und Kollegen. Ganz ohne Strukturen geht es offensichtlich auch hier nicht. Ohne Vertrauen jedoch auch nicht.
Mit so viel Freiheit sind, zumindest vorübergehend, Menschen überfordert, die dies bislang nicht gewohnt sind. Es ist zumindest denkbar, dass die Gegenwehr gegen Agilitäts- und New Work-Konzepte weniger aus dem Gedanken heraus entsteht, dass neue Konzepte alter Wein in neuen Schläuchen sind – was durchaus der Fall sein kann –, sondern vielmehr aus dem unbewussten Empfinden der Überforderung und der Angst heraus stammt, den Anschluss an das Team zu verpassen. Wer es bislang gewohnt war, jeden Tag die gleichen Leute zu sehen, könnte sich schwer tun, solche Sicherheiten aufzugeben. Oberflächlich sind das Kleinigkeiten. Soziale Verunsicherungen, die sich sicherlich mit der Zeit einspielen werden. Unter der Oberfläche fallen jedoch sicher geglaubte Begegnungen weg, die erst wieder neu geschaffen werden müssen. Damit wird überdeutlich, dass das Thema Beziehungsarbeit und Mitarbeiterbindung ganz nach oben sollte auf die Agenden moderner Unternehmen.
Warum kündigen gute Mitarbeitende?
Mit dieser Frage sollten sich Unternehmen in Zukunft noch mehr als bislang beschäftigen. Schauen wir uns die Ergebnisse aus diversen aktuellen Studien an, kristallisieren sich drei zentrale Hotspots für Kündigungen zusammenfassen: Führung, Arbeitsbedingungen und -kultur sowie persönliche Möglichkeiten der Weiterbildung:
1. Die Führungskraft als Dreh- und Angelpunkt der Mitarbeiterbindung
Kündigungen hängen oft mit den direkten Vorgesetzten zusammen. Für viele Mitarbeitende spielt das Unternehmen, bei dem sie angestellt sind, lediglich in der Bewerbung eine wichtige Rolle. Anschließend hängt ihre Arbeitszufriedenheit mehr oder weniger direkt von dem Klima in ihrem Team oder ihrer Abteilung und damit indirekt von der Team- oder Abteilungsleitung ab, die die Kultur im Team oder der Abteilung nachhaltig prägt. Führung bekommt damit eine zentrale Bedeutung für die Mitarbeiterbindung.
Typische Fragen, die sich Mitarbeitenden kurz vor einer Kündigung stellen, lauten:
Ist meine Führungskraft ein Vorbild für mich?
Ist sie verlässlich und glaubwürdig?
Fühle ich mich ernst genommen?
Finde ich ein offenes Ohr für persönliche Anliegen und berufliche Ideen?
Stellt sich meine Führungskraft bei Fehlern hinter mich?
Steht sie gegen Widerstände von außen für die Abteilung oder das Team ein, wenn es hart auf hart kommt?
Wird konstruktive Kritik wertgeschätzt?
2. Arbeitsbedingungen und -kultur
Werden Ideen von mir im Team wertgeschätzt?
Bekomme ich regelmäßig ein Dankeschön für meine Leistung und meinen Einsatz?
Gehören Erfolge mir oder dem Team und nicht der Führungskraft?
Fühle ich mich regelmäßig überlastet? Es ist verlockend, gute Leute härter arbeiten zu lassen und damit so lange zu überlasten, bis sie kündigen.
Kann ich Beruf und Privatleben gut vereinbaren und wird dies im Unternehmen anerkannt, wenn ich eine gute Work-Life-Balance anstrebe?
3. Persönliche Forderung, Förderung und Weiterentwicklung
Habe ich das Gefühl am richtigen Platz eingesetzt zu sein?
Finde ich Gleichgesinnte, mit denen ich auf Augenhöhe diskutieren und arbeiten kann? Oder werde ich von den Kolleginnen und Kollegen aufgrund deren Einstellung demotiviert?
Wird bei uns nach Leistung oder nach Beziehung befördert?
Werden meine Talente erkannt und anerkannt?
Werde ich in der täglichen Arbeit herausgefordert? Gibt es genügend Freiräume und Unterstützung, um eigene Wege zu gehen und Fehler zu riskieren?
Habe ich die Möglichkeit, mich beruflich und persönlich weiter zu entwickeln?
Mitarbeiterbindung statt Neurekrutierung
Neurekrutierungen kosten Zeit, Geld und Nerven. Stellenanzeigen müssen geschaltet oder aktiv auf die Suche in digitalen Netzwerken gegangen werden. Die Testverfahren sind je nach Größe und Anspruch des Unternehmens unterschiedlich komplex, Vorstellungsgespräche sind aufwändig, insbesondere wenn sie mehrstufig ablaufen und können zu Fehlentscheidungen führen. Das vorhandene Wissen geht verloren. Und bis ein Mitarbeitender perfekt eingearbeitet ist und ins Team passt, kann ein halbes Jahr vergehen. Nicht auszudenken, wenn sich nach der Probezeit herausstellt, dass die eingestellte Person doch nicht optimal auf die Stelle passt.
Tatsächlich wäre es erhellend, die Kosten einer Neueinstellung dem Aufwand von Mitarbeiterbindungsmaßnahmen gegenüberzustellen. Mit Sicherheit sind die Methoden zur Mitarbeiterbindung langfristig günstiger als Neueinstellungen, zumal es sich hierbei meist um sehr einfache Veränderungen geht: Ein wenig mehr Vertrauen, öfter mal ein Danke, Respekt und Wertschätzung der Leistung von der Führungskraft und am Rande ein paar Teambildungsmaßnahmen, die auch noch Spaß machen.
Daher sollten Neurekrutierungen tunlichst vermieden werden. Der aktuelle Zeitgeist gibt zwar (noch) vor, dass Karrierewillige alle paar Jahre den Job wechseln sollten. Der Wind dreht sie jedoch bereits wieder. Offensichtlich sind der Generation Z (geboren Ende der 90er) Werte wie Sicherheit und Stabilität wieder wichtiger als den Generationen X und Y. Dies zeigt sich in Präferenzen für eine gute Bindung zur Führungskraft, einem unbefristeten Arbeitsvertrag, klare Strukturen, Verantwortlichkeiten und Hierarchien im Job und eine deutliche Trennung von Beruf und Privatleben durch geregelte Arbeitszeiten. Die Arbeit im Homeoffice kommt bei den ganz Jungen tatsächlich und für viele überraschend weniger gut an, wie sich in einer Umfrage von Haufe nachlesen lässt.
Den Jungen ist zwar die Flexibilität in der Arbeit immer noch wichtig. Dieses Bedürfnis muss jedoch nicht automatisch mit einem Jobwechsel verbunden sein. Die Mitarbeiterbindung wird also in Zukunft auf einen Zeitgeist treffen, der wieder mehr Wert auf Kontinuität und Bindung legt.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Weitere Themen rund um “New Work” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Die Wirtschaft beginnt aufzuatmen nach der Krise. Viele Menschen stehen in den Startlöchern, um sich neue Arbeitsplätze zu sichern. Und viele Unternehmen bieten eben diese Jobs an. Darum ist jetzt die Zeit, sich wieder mit dem Thema Bewerbung und Jobsuche auseinanderzusetzen. Doch viele treibt die Frage um: Was hat sich in den letzten Monaten verändert? Bin ich noch up-to-date? Liegen vielleicht durch den erzwungenen Aufschwung der Digitalisierung ganz neue Bedingungen vor?
Bewerbung und Jobsuche – was gehört alles dazu?
Wer sich bewerben will oder muss und wer sich mit dem Thema Bewerbung und Jobsuche beschäftigt, braucht eine gute Basis. Egal ob zum ersten Mal auf dem Arbeitsmarkt unterwegs oder auf der Suche nach Veränderung – als Jobsuchende/r muss man mindestens drei Aufgaben gleichzeitig erledigen.
Man muss den Arbeitsmarkt nach Ausschreibungen, Stellenanzeigen und Jobangeboten durchforsten oder einen geeigneten Arbeitgeber für eine Initiativbewerbung finden.
Bei erfolgter Bewerbung und einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, muss man sich auf eben dieses gut und gewissenhaft vorbereiten und es anschließend auch meistern.
Bewerbung und Jobsuche – unser Angebot von metropolitan
Ratgeber zum Thema Bewerbung
Zu allen Themen breit aufgestellt. Alle unsere Bücher und Ratgeber sind auch als E-Book zum Download erhältlich.
Autorinnen und Autoren zum Thema Bewerbung und Jobsuche
Wenn es um den Arbeitsmarkt, die Jobsuche und das Thema Bewerbung geht, sind unsere Autorinnen und Autoren die absoluten Experten. Hier stellen sie sich vor.
Karriere-Coach und Bestseller-Autor Vincent Zeylmans van Emmichoven hat seine gesamte Kompetenz zum Thema Bewerbung und Jobsuche in einem einzigartigen Online-Seminar „Job-Hunting“ auf vier Stunden komprimiert. Jetzt buchen und mit dem exklusiven Gutschein-Code zusätzlich sparen – alle Infos dazu gibt es hier!
Viele Tipps und Insider-Wissen kostenlos in unserem Blog
Unsere Experten in Sachen Bewerbung geben Tipps zum richtigen Verhalten im Bewerbungsgespräch, zum verdeckten Arbeitsmarkt und vielen weiteren spannenden Fragen rund um Bewerbung und Karriere. Und das nicht nur Einsteigern. Schließlich sind unsere Inhalte auch für Quereinsteiger und Umdenker geeignet. Damit die Jobsuche gelingt!
Unser Experte für Bewerbung und den “verdeckten Arbeitsmarkt” im Podcast Interview
Der Einstieg in das Jahr 2022 erfolgte in der Pandemie. Der Ausstieg war von einer Krise in der Ukraine, Inflation im zweistelligen Bereich, einem Abtauchen der Börsen und einer Entlassungswelle bei Tech-Unternehmen gekennzeichnet. Unser metropolitan-Experte Vincent G.A. Zeylmans van Emmichoven erläutert, wie demografische Aspekte auf den Arbeitsmarkt 2023 einwirken.
Seit 20 Jahren trainiert Vincent Zeylmans van Emmichoven Fach- und Führungskräfte sowie Personen in der Neuorientierung auf vielfältige Weise – ob in Seminaren, Webinaren, Vorträgen oder in seinen erfolgreichen Fachbüchern. Nun hat der Karriere-Coach und Bestseller-Autor seine gesamte Kompetenz in einem einzigartigen Online-Seminar auf vier Stunden komprimiert. Und das Beste daran: metropolitan-Fans erhalten Rabatt!
In den ersten Wochen im neuen Jahr vergeht kaum ein Gespräch ohne die obligatorischen Wünsche für ein „erfolgreiches neues Jahr“. Was aber ist Erfolg? Ein besseres Gehalt? Ein Aufstieg auf der Karriereleiter? Autor Zeylmans über Entscheidungen, Lebensentwürfe und wie unterschiedlich persönlicher Erfolg ausfallen kann.
Das Thema Bewerbung treibt uns regelmäßig den Schweiß auf die Stirn – und denkt man an die Flut an mehr oder weniger hilfreiche Bewerbungsratgeber liegen die Nerven erst recht blank. Aus diesem Grund hat Sandra Gehde, dieses Buch geschrieben, nämlich für alle, die keine Zeit haben, sich stundenlang mit der Frage nach der perfekten Bewerbung zu beschäftigen.
Jahresrückblick: 2022 startete bei uns mit vielen guten Vorsätzen, die im Februar von dem Angriffskrieg auf die Ukraine in den Schatten gestellt wurden. Doch trotz aller Umstände, Krisen und Schwierigkeiten blicken wir auch mit Stolz auf das letzte Jahr zurück. Alle Highlights in unserem Jahresrückblick 2022!
Zeugnisse werden immer vergleichbarer, verlieren die Individualität und unterliegen inflationären Tendenzen. Beim Ausstellen eines Arbeitszeugnisses sollten Sie Wert darauf legen, dass nicht nur Ihre Hauptaufgaben – wie in der Stellenbeschreibung – erwähnt, sondern auch persönliche Erfolge und Leistungen beschrieben werden. Diese individualisieren ein Zeugnis und steigern den Wert.
Karrierecoach Vincent Zeylmans van Emmichoven beleuchtet in diesem aktuellen Beitrag die Chancen auf dem Arbeitsmarkt “nach Corona”. Was muss man beachten? Was sind die Trends? Wie steht es um die Chancen, im Sommer 2021 bei der Jobsuche erfolgreich zu sein?
Das Jahr 2020 übertraf in seiner Unberechenbarkeit – daran besteht kein Zweifel – alle Erwartungen! Was bedeutet das nun aber für den Arbeitsmarkt 2021? Unser Autor und Bewerbungsexperte Vincent G.A. Zeylmans van Emmichoven zeigt auf, wie die Jobsuche 2021 gelingen kann.
In Deutschland mögen wir Sicherheit! Lieber werden Tatsachen zu düster dargestellt, als dass wir uns nachher für zu viel Optimismus entschuldigen sollten. Schwärmerei ist ohnehin verpönt. Diese Beobachtung ist natürlich mit der Tatsache verbunden, dass sich „schlechte Nachrichten“ besser vermarkten lassen als eine positive Berichterstattung.
Oder bedeutet dieser Ausspruch Einsteins nichts anderes als: Wer nicht weiß wohin er will, soll sich nicht wundern, wenn er nirgendwo ankommt. Dieser Ausspruch mag drastisch erscheinen, denn jeden Tag geht die Sonne auf. Also landen wir irgendwo – und vielleicht sind wir ganz zufrieden mit der Führung des Lebens. Es ist aber menschlich, dass wir in Augenblicken der Selbstreflexion überlegen, wie wir unser Leben gestalten möchten. Wir haben Wünsche und Träume, dazu ein Potenzial, diese zu realisieren.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt! Im heutigen Beitrag beschäftigt sich Michael Hübler mit der Frage, ob die scheinbar völlige Freiheit, die die Digitalisierung teilweise mit sich bringt, immer von Vorteil ist oder ob in bestimmten Situationen Grenzen nicht aus helfen können. Findet gerade eine analoge Konter-Revolution statt?
Die analoge Konter-Revolution
Die Digitalisierung ist allgegenwärtig. Sie schafft Zugänge, die zuvor nicht möglich waren. Die Freiheit, jederzeit und von überall aus zu arbeiten und zu lernen, ist faszinierend. Wie so oft sind die Vorteile einer Technik jedoch gleichzeitig deren Nachteile. Dem komplett Freien fehlen die Grenzen. Und wenn etwas jederzeit machbar und möglich ist, führt dies bisweilen dazu, dass es uns lähmt. Wer Zugriff auf die komplette Musik aus sieben Jahrzehnten hat, weiß oft nicht, was er sich genau jetzt anhören will. Ist die Auswahl zu groß, sind wir überfordert und wählen im Zweifel gar nichts aus.
Studien zur Entscheidungslähmung gibt es viele. Werden wir beispielsweise an einem Marmeladenstand in einem Supermarkt mit drei Sorten konfrontiert, gehen dorthin weniger Menschen als an den Stand mit fünf Sorten. Fünf Sorten überfordern die Kunden jedoch, weshalb letztlich an dem Stand mit drei Sorten mehr Kunden einkaufen.
So sinnvoll kann old school sein
Was bedeutet das für unsere schöne, neue Arbeitswelt? Wenn es für Arbeitszeiten keine Grenzen gibt, wir also ständig mit zu vielen Sorten hantieren müssen, kann uns dies lähmen oder in den digitalen Burn-out treiben. Kein Wunder, dass erfolgreiche Firmen nicht nur auf das digitale Pferd setzen, sondern ebenso analoge Techniken und Zugänge wieder einführen. Bei Google wird meditiert und in agilen Scrum-Teams gibt es nach wie vor Whiteboards oder das haptische Erlebnis, ein handschriftlich ausgefülltes Post-it auf eine Pinnwand zu kleben und später vom To-do-Feld ins Erledigt-Feld zu schieben. Und sich insgeheim dabei zu freuen. Und unser Körper freut sich mit. Denn vermutlich kennen Sie das erleichternde Gefühl, eine Aufgabe von einer To-do-Liste zu streichen oder einen Erledigt-Zettel zu zerreißen, statt lediglich eine erledigte Aufgabe von einer App zu löschen. Selbst der Digitalriese Amazon eröffnete unlängst echte Läden, um ein haptisches Erleben der Waren erfahrbar zu machen.
Interessanterweise führen gerade hochdigitalisierte Unternehmen wieder mehr analoge Elemente in die Arbeit ein. So werden gezielt Laptops und Smartphones in Konferenzen eingezogen und manche Chefs nutzen am liebsten Notizbücher, so richtig old school mit Stift und Papier. Ich persönlich kann dieses Altertümliche gut nachvollziehen. Mein Gehirn funktioniert besser, wenn ich mir mithilfe von Stift und Papier systemische Zusammenhänge zu einem Thema aufzeichne. Mit den richtigen Programmen geht das alles auch digital und oftmals wunderbar kollaborativ. Aber mehr Spaß macht es, wie ich persönlich finde, von Hand.
Unterstützt wird dies durch Erkenntnisse aus der Gehirnforschung: Wer einen Stift in die Hand nimmt, aktiviert sein motorisches Zentrum im Gehirn. Dies wirkt nicht nur stimulierender auf uns, sondern hilft uns auch dabei, uns später an das Geschriebene zu erinnern. In der digitalen Welt verschwimmen unsere Gedanken in der virtuellen Masse. Auf Papier hilft unserem Gedächtnis das Zusammenspiel von Gedanken, Bild und Bewegungen unserer Hand. Sogar das Hören spielt eine Rolle. Neulich stieß ich auf eine Werbung für ein digitales Schreibbrett, das – ähnlich wie beim Auslöser einer Kamera – die Geräusche beim Schreiben für ein besseres Schreibgefühl nachahmt.
Der Mensch, das analoge Wesen
Der Mensch ist und bleibt bei aller digitalen Euphorie ein analoges Wesen. Es gilt folglich genau hinzusehen, welche analogen Nischen wir uns erhalten wollen, nicht nur um menschlich, sondern auch ganz pragmatisch um produktiv und kreativ zu bleiben.
Was also zeichnet das Analoge aus:
1. Analoge Strukturen und Prozesse und Grenzorientierungen
Das Analoge schafft alleine durch das Vorhandensein von begreifbarem Material eine Struktur, um uns in Tätigkeiten weniger verloren zu fühlen. Strukturen erstellen einerseits Grenzen, die uns zeigen, bis wohin wir gehen können – beispielsweise ganz banal bis zum Ende des Papiers – wodurch sie uns nur auf den ersten Blick paradoxerweise kreativer machen. Wer beispielsweise ein klares Ziel als Grenze vor Augen hat, kommt auf mehr Ideen zur Zielerreichung als wenn er sich einfach so ein paar Gedanken machen sollte, wie er sein Leben verbessern könnte. Das Ende des Papiers oder des Whiteboards zwingen uns, innerhalb der Grenzen Lösungen zu finden. Genau diese Verhinderung der Uferlosigkeit führt zu Kreativität, indem sie den Ideen eine Struktur verleiht.
Strukturen können auch Abläufe sein, an denen wir uns entlang hangeln. Der gemeinsam erlebte kreative Prozess im Rahmen eines Projekts mit Brainstorming, Sortierung und der Bewertung der Ideen schafft eine kreativitätsförderliche Spannung. Bin ich gezwungen, meine Ideen zuerst einmal vor den anderen Projektmitgliedern verborgen auf Karten zu schreiben, bevor diese ausgetauscht werden, sorgt diese Begrenzung für einen Freiraum, den ich persönlich kreativ nutzen kann. Solche Begrenzungen sind analog leichter herzustellen als digital, da hier die Gefahr besteht, dass Prozessbausteine ineinander überfließen.
Ebenso verringert die digitale Offenheit die Selbstdisziplin, sich an bestimmte Abläufe zu halten und fördert stattdessen die Sprunghaftigkeit des Menschen. Vieles wird angefangen und wenig zu Ende gebracht. Kein Wunder, dass derzeit viele Menschen darüber klagen, dass es im Homeoffice anscheinend ein zeitverschlingendes Monster gibt.
2. Ganzheitlichkeit
Das Analoge ist anfassbar und damit ganzheitlich erfahrbar. Dies hatten wir bereits an dem einfachen Beispiel mit dem Papier gesehen. Noch deutlicher wird es, wenn wir den Klassiker einer Schallplatte betrachten. Eine Vinyl-Schallplatte wird aus der Hülle genommen, abgepustet, vorsichtig auf den Plattenteller gelegt und anschließend, ebenso vorsichtig, die Nadel auf der Platte positioniert. Das Hören einer Schallplatte ist ein beinahe ehrfürchtiger, ganzheitlich erfahrbarer Vorgang, während das Hören einer MP3 von der Festplatte lediglich ein paar respektlose Mausklicks erfordert.
Gleiches gilt nicht nur für den Umgang mit Objekten. Der Gedanke der Ganzheitlichkeit gilt auch für die Zusammenarbeit im Team. Während im virtuellen Raum die Kollegen und Kolleginnen weit weg sind, erlebe ich sie vor Ort visuell, hörend und sogar riechend. Ich nehme sie damit respektvoll als ganze Menschen wahr und nicht nur als ein paar Zeilen auf einem Bildschirm. Es macht auch einen emotionalen Unterschied, ob ich digital klatschende Hände nach einem Vortrag auf einer Videoplattform verschicke oder ob ich in Präsenz applaudiere oder in einem Team einem Kollegen/einer Kollegin nach einer tollen Präsentation auf die Schulter klopfe.
3. Reibung und Widerstände
Das Analoge schafft Widerstände und damit eine Reibung, die erst überwunden werden will. Dies gilt vor allem im Austausch mit anderen. Während in einer distanzierten, virtuellen Zusammenarbeit offene Konflikte seltener sind, weil sich die Menschen im Zweifel aus dem Weg gehen oder schwierige Themen erst gar nicht ansprechen, sorgt die analoge Nähe für einen Austausch, der zwar ein Konfliktpotenzial mit sich bringt, jedoch durch die Lösung von Missverständnissen zu einer befreienden Kreativität führen kann. Betrachten wir den analogen Austausch genauer, zeigt sich, dass dieser wesentlich feingliederiger ist als sein virtuelles Pendant. In analogen Gesprächen sende ich auch bei unausgereiften Gedanken einen verbalen Testballon. Dieser wird im Gespräch insbesondere mittels körpersprachlicher Rückmeldungen nach und nach verfeinert. Der analoge Austausch wird damit zu einem gemeinsamen Prozess, auf den sich beide Gesprächspartner/innen wagemutig einlassen, ohne zu wissen, was am Ende dabei heraus kommt.
Im virtuellen Austausch gibt die Regel Hop oder Top. Statt sich auf das Wagnis eines Gesprächsprozesses einzulassen, machen sich die Gesprächspartner/innen Gedanken über die Reife und Güte ihrer Äußerungen:
Muss das wirklich geklärt werden?
Wird wird meine Frage ankommen?
Klingt das nicht zu banal?
Oder führt meine Äußerung am Ende zu Missverständnissen und Konflikten, die sich online schlecht klären lassen?
Dass wir in einer Zeit der politischen Korrektheit und bisweilen absichtlichem Missverstehen leben, macht es nicht leichter. Ein misslungener Scherz oder eine vermeintlich dumme Frage kann in einer analogen Welt leicht zurückgenommen und erklärt werden. In der virtuellen Welt kann dies zu emotionalen Scherbenhaufen führen, die sich nur schwer wieder reparieren lassen.
Fazit
Dass Unternehmen nicht um die Digitalisierung herumkommen, ist eine Tatsache. Wer in unserer modernen Welt mithalten will, muss auch im Internet präsent sein und intern ebenso seine Prozesse digitalisieren, beispielsweise Personalauswahlverfahren oder Weiterbildungen. Auch an einem Einsatz von KI und Algorithmen kommen wir kaum vorbei, und sei es um die Mitarbeiter/innen zu entlasten. Dabei stellt sich die Frage, welche Teile der Arbeit oder Bausteine in einem Arbeitsprozess am sinnvollsten digital ablaufen und welche analog bleiben sollten. Beispielsweise sind in einem kreativen Entwicklungsprozess analoge Vorgehensweisen in der Regel ideal dafür geeignet, erste Ideen zu bekommen und grobe Visionen zu entwickeln, während digitale Prozesse sich für Verfeinerungen und Detailarbeiten anbieten.
Bei der Umsetzung einer Digitalstrategie ist es folglich ebenso sinnvoll, die Vorteile des Analogen als Entscheidungskriterium zu berücksichtigen:
Struktur und Grenzziehungen
Wie viel Struktur braucht es für eine bestimmte Tätigkeit?
Wann im Rahmen eines Prozesses oder Projekts braucht es mehr Struktur, wann weniger?
Wofür braucht es klare Strukturen und Grenzziehungen?
Wie lässt sich dies digital oder analog ablichten?
Braucht es im Digitalen klarere Grenzziehungen? Wenn ja, welche?
Ganzheitlichkeit
In welchen Momenten unserer Arbeit ist Ganzheitlichkeit wichtig?
Wie viel Erlebensqualität sollte der Kunde erfahren?
Wann reicht die digitale Präsentation eines Produkts?
Wann und warum sollte der Mitarbeiter seine Tätigkeit analog erleben?
Wie viel Erleben brauchen Fortbildungen?
Wissen lässt sich digital vermitteln. Doch wie sieht es mit Coaching-Elementen und Selbsterfahrungen in Trainings aus?
Reibung und Widerstände
Wie viel Reibung ist notwendig für eine bestimmte Tätigkeit?
An welchem Punkt in einem Projekt oder Prozess sind Widerstände besonders wichtig?
Wofür sind Widerstände wichtig?
Was erhoffen wir uns davon?
Wie hoch ist die Gefahr, in der digitalen Ferne Konflikten aus dem Weg zu gehen?
Wann sollten wir uns in Konflikte begeben?
Und was wollen wir dabei klären?
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Weitere Themen rund um “New Work” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt! Diesmal geht es darum, sich trotz räumlicher Distanz und digitalem Arbeitsumfeld bei der Führungskraft in Szene zu setzen, das eigene Potenzial gewinnbringend zu präsentieren und selbst im Homeoffice Aufstiegschancen auszubauen. Es geht um Selbstmarketing.
Selbstmarketing und Karriere machen in einer digitalen Welt
Das Problem
Während die Selbstempfehlung in einem Unternehmen für höhere Weihen früher anhand von Gesprächen am Rande eines Meetings oder über die eigene Präsenz stattfand, stellt sich die Frage, wie ich mich meinen Vorgesetzten präsentiere, wenn ich diesen vor allem virtuell begegne. Es gilt also, neue Wege des Selbstmarketings in digitalen Zeiten zu erkunden.
Drei verschiedene Karrieretypen
Karriereambitionierten stehen im Wesentlichen drei Optionen zur Verfügung:
Die dominante Variante: Ein selbstbewusster Mensch setzt sich in Meetings in Szene oder empfiehlt sich der Führungskraft als neue Projektleitung. Er hält seine Augen und Ohren offen, um schnell und gezielt seine Chancen zu ergreifen. Das wirkt bisweilen dominant und vielleicht sogar arrogant, zeigt jedoch, dass hier jemand ist, der sich als Teamleitung auch gegen Widerstände durchsetzen und seinen Mitarbeitenden unangenehme Wahrheiten vermitteln kann.
Die emotional und sozial kompetente Variante: Eine Option, die im Vergleich zur dominanten Variante eher, aber natürlich nicht nur von Frauen genutzt wird. In diesem Fall drängt sich die Person, die sich für eine höhere Position empfehlen will, nicht auf, sondern glänzt durch leise, aber kluge Kommentare in Meetings und nutzt den Smalltalk im Gang oder in der Teeküche, um sichtbar zu werden. Zudem haben solche Menschen ein offenes Ohr und das beratende Verständnis für die Chefin und ihre Nöte. In diesem Fall präsentiert sich die Person nicht als absolute Nummer 1 für eine Leitungsposition, sondern empfiehlt sich für perfektes Teamwork mit dem Chef. Während eine dominante Person den Vorteil hat, sich im Zweifelsfall auch alleine durchkämpfen zu können und mit Sicherheit krisenfest ist, sind emotional-kompetente Personen menschlich absolut integer und verlässlich.
Die leistungsorientierte Variante: Die dritte Variante schließlich zeichnet sich durch Leistungen aus. Diese Menschen wirken weniger über ein starkes Auftreten oder Beziehungspflege und Kommunikation, sondern über die konkreten Ergebnisse ihrer Arbeit. Wer qualitativ Hochwertiges abliefert, muss sich selbst nicht unbedingt als Person in Szene setzen. Man muss allerdings der Fairness halber erwähnen, dass ausschließlich leistungsorientierte Personen nicht unbedingt Karriere machen. Und wenn doch, fehlen ihnen häufig das Durchsetzungsvermögen und die soziale Führungskompetenz, die sie dann bräuchten.
In analogen Zeiten gab es für alle drei Varianten gute Lösungen. Doch was passiert im Homeoffice? Für die Leistungsorientierten verändert sich nicht viel. Qualität lässt sich auch im Homeoffice zeigen. Und so manchen eigenbrötlerischen Personen wird es gerade recht kommen, sich endlich voll und ganz ohne Störungen auf die Arbeit konzentrieren zu können. Damit besteht jedoch die Gefahr, dass in der nächsten Beförderungsrunde zur Teamleitung genau die bevorzugt werden, deren Arbeit am besten sichtbar wurde. Und dies sind auf Distanz nun einmal nicht die Durchsetzungsstarken oder Empathischen, sondern die Leistungsmenschen.
Das ist nicht automatisch schlimm. Es stellt sich nur die Frage, ob es damit auch die Richtigen trifft? Denn eine ausgezeichnete Fachleistung sollte ein Kriterium für Fachleute sein. Die Leitung eines Teams erfordert andere Qualitäten. Dieses Thema ist uralt, könnte sich jedoch im Zuge der virtuellen Zusammenarbeit zu einem größeren Problem auswachsen, insbesondere wenn Führungskräfte Empfehlungen über Mitarbeitende abgeben sollen, deren Führungsqualitäten sie kaum einschätzen können.
Wie sich in digitalen Zeiten Karriere machen lässt
Was also können die anderen beiden Personengruppen unternehmen, um sich mit ihren speziellen Kompetenzen sichtbarer zu machen? Die eigene Kachel lässt sich schließlich nicht vergrößern. Und sich besonders kraftvoll in Szene zu setzen, wirkt vor Ort, wenn es nicht übertrieben wird, verzeihlich bis imponierend. Eine dominante Präsenz im Online-Meeting ist hingegen meist peinlich bis rüpelhaft.
Den emotional Kompetenten hingegen fehlen die Smalltalk-Gelegenheiten und die kleinen Gesprächsrunden am Rande eines Meetings. Gelegenheiten dem Chef ein offenes, empathisches Ohr zu leihen, lassen sich nicht planen. Sie werden situativ wahrgenommen anhand einer Mimik oder Stimmung, ohne sich jedoch aufzudrängen oder entstehen aus einer lockeren Runde. Online erscheint so etwas beinahe unmöglich. Kein Wunder, dass sich manche Führungskräfte derzeit im Homeoffice allein gelassen fühlen.
Worum geht es also?
Neben einer guten Leistung, die sich wie erwähnt auch online zeigen lässt, geht es darum, sich auch auf Distanz als unverzichtbar zu erweisen, die eigenen Ideen charmant zu präsentieren und Kontakte zu pflegen. All das ist auf Distanz zumindest ungewohnt.
Selbst nach Corona werden wir zwischen Homeoffice und Großraumbüro hin- und herpendeln. In einer idealen Zukunft könnten wir im Homeoffice arbeiten und im Großraumbüro Beziehungen pflegen, im Team kreative Brainstormings abhalten und uns selbst präsentieren. Damit wäre eigentlich alles wieder in bester Ordnung: Im Homeoffice wird Leistung gezeigt und vor Ort kommen die anderen beiden Typen auf ihre Kosten.
Aber seien wir ehrlich. Ganz so ideal wird es zumindest in naher Zukunft nicht kommen. Stattdessen wird Hektik einkehren, wenn sich die Menschen vor Ort in einem mehrtägigen Rhythmus treffen. Missverständnisse müssen geklärt, Konflikte ausgeräumt, Pläne abgeglichen werden. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis wir zu einem solchen Idealmodell kommen. Es könnte sein, dass in der Zwischenzeit zumindest der Dominante auf seine Kosten kommt. Für sozial und emotional Kompetente wird es in einer solchen neuen Arbeitswelt eher wenig Raum geben.
Genau für diese Gruppe gilt es folglich Lösungen zu suchen, um in der neuen Hektik nicht abgehängt zu werden. Gehen wir es pragmatisch an. Die Diplom-Psychologin Dr. Karin von Schumann und die Marketingexpertin Dr. Mirjam Jentschke stellen im Managerseminare-Magazin von Juni 2021 ein ursprünglich aus dem Marketing stammendes Modell vor, das auch im Selbstmarketing als gute Blaupause dienen kann, die sogenannte Employer Experience Journey in Anlehnung zur ursprünglichen Customer Experience Journey (nicht zu verwechseln mit der Employee Experience Journey). Ein Modell, das ich als grobe Orientierung nutze und auf die spezielle Situation des internen Selbstmarketings übertrage. Denn bei Selbstmarketing denken wir zuerst einmal an die Kontaktaufnahme zu neuen Arbeitsgebern.
In einer Welt, in der sich Führungskräfte und Mitarbeitende aufgrund von Homeoffice und Großraumbüro voneinander räumlich und zeitlich entfernen, gilt es jedoch, sich selbst immer wieder ins Gespräch zu bringen. Während früher das Selbstmarketing zumindest teilweise mit der Einstellung abgehakt werden konnte bzw. Mitarbeitende mit Karriereambitionen und einem guten Gespür für Situationen und Gespräche sich mehr oder weniger darauf verlassen konnten, aufzusteigen oder zumindest wussten, was sie tun mussten, stehen diese nun vor einer großen weißen Wand mit vielen Fragezeichen und wenigen Antworten.
Der Grundgedanke eines internen Selbstmarketingmodells nach dem Vorbild der Employer Experience Journey ist weniger die knallige Selbstpräsentation, sondern die Frage, was der Chef oder die Chefin braucht. Womit ich also ihm oder ihr behilflich sein kann? Genau dieser Hilfsgedanke erleichtert es emotional kompetenten Menschen, sich selbstbewusst zu präsentieren. Sie tun es schließlich nicht für sich selbst, sondern für jemand anderen.
Das interne Selbstmarketing lässt sich dabei in fünf Phasen aufteilen, die wir mit den Aufgaben “Kompetenzen sichtbar machen” und “Sich präsentieren” verbinden können. In einer neuen Arbeitswelt funktioniert dies am sinnvollsten in einem Wechselspiel aus digital und analog:
1. Analoge Kennenlernphase
Führungskraft und Mitarbeitende lernen sich kennen. In der Kennenlernphase ist es wichtig, vorsichtig zu klären, was meine Führungskraft für ein Typ ist und wie ich mich entsprechend einbringen sollte. Werden Sie aktiv, gehen direkt auf Ihre Führung zu und bitten um ein Einzelgespräch, am besten analog. Sollte dies nicht funktionieren, dann per Telefonat oder Videokonferenz. Chefs fühlen sich im Homeoffice oft ebenso alleine wie ihre Mitarbeitenden. In der Regel freuen sie sich über aktive Mitarbeitende. In diesem Gespräch erfahren Sie alles, was Sie wissen müssen, um Ihre Führung gut zu unterstützen. Dabei geht es wie bereits erwähnt nicht darum, sich selbst zu präsentieren, sondern sich empathisch einzufühlen, um zu erkennen, was Ihre Führungskraft am dringlichsten braucht. Immerhin sollte jeder Mitarbeitende aus einem bestimmten Grund eingestellt worden sein. Diesen Grund gilt es herauszufinden oder zu erfragen. Zur Vorbereitung der Kennenlernphase ist es hilfreich, sich einige Fragen zu stellen:
Ist meine Führungskraft eher leistungs-, dominanz- oder sozial orientiert?
Worauf legt sie bei ihren Mitarbeitenden wert? Eher auf Leistung, Durchsetzungskraft oder Empathie?
Welche Erwartungen an Mitarbeitende lassen sich davon ableiten?
Welche Aufgaben und Herausforderungen müssen gemeistert werden?
Wo liegen meine Stärken im Hinblick auf diese Aufgaben?
2. Digitale Arbeitsphase
Die ersten Arbeitsaufträge werden übernommen. In dieser Phase lassen sich Aufträge freilich nicht ablehnen. Folglich geht es darum, herauszufinden, wie – auch im Falle eines weniger attraktiven Auftrags – das beste daraus gemacht wird und wie Sie sich mich hier am sinnvollsten mit Ihren Kompetenzen einbringen. Haben Sie erkannt, womit Sie Ihrer Führungskraft das Leben erleichtern können, wissen Sie auch, was Sie tun müssen: Qualität abliefern, das Team zusammenhalten, konstruktive Kritik üben, Ideen einbringen, den Chef oder die Chefin unterstützen, Details ausarbeiten, große Ideen auf den Punkt bringen usw.
Jeder Mensch hat Stärken und Schwächen. Vielleicht haben Sie eine Chefin, die besonders kreativ ist, aber jemanden braucht, der sie erdet. Oder Sie haben einen Chef, der eine Art Dolmetscher braucht, wenn er mit seinem Team spricht. Finden Sie Ihre Rolle und tun, was nötig ist, aber immer mit Respekt.
3. Analoge Austauschphase
Durch die Zusammenarbeit werden Erfahrungen gemacht und ausgetauscht. In der Arbeitsphase erarbeiten Sie sich den Respekt, den Sie nun brauchen, um mit Ihrer Führungskraft ins Gespräch über Erfolge oder Misserfolge zu gehen. Diese Phase können wir als den Kern des Prozesses bezeichnen. Denn hier geht es entscheidend darum, nicht nur sich und seine Arbeit zu präsentieren, sondern auch erste Rückmeldungen zu geben über eventuelle Verbesserungen. Eine gute Kollaboration besteht aus einem ehrlichen Austausch. Dazu ist es essenziell zu erkennen, welche Rückmeldungen meiner Führungskraft einen echten Mehrwert bringen und welche eher meinem eigenen Ego geschuldet sind.
Noch einmal: Es geht nicht um mich, sondern darum, meiner Führung das Leben zu erleichtern und die gemeinsame Qualität in der Arbeit voranzubringen. Während die Arbeitsphase gut im Homeoffice und auf Distanz funktioniert, braucht es in der Austauschphase eine Sensibilität, die sich leichter in einem direkten Austausch herstellen lässt. Diese Kernphase eignet sich daher ideal für einen entdigitalisierten Austausch, sofern dies möglich ist.
4. Digitale Präsentationsphase
Ist die Phase des Austauschs zufriedenstellend abgeschlossen, kann auch wieder gut auf Distanz zusammen gearbeitet werden. In dieser Phase steht die Führung vor der Situation, eine weitere Aufgabe delegieren zu müssen und fragt sich, wer diese übernehmen könnte. Es geht also darum, sich für prestigeträchtige Aufgaben zu empfehlen. Wurde in der vorhergehenden Phase ein gutes Vertrauen aufgebaut, sollte es auch hier gelingen, sich gut in Szene zu setzen.
Die Austauschphase ist zwar der Knack- und Wendepunkt in der Zusammenarbeit, da sich hier zeigt, inwiefern Ihre Führungskraft offen für Ihre Rückmeldungen ist und wie gut Ihre eigenen emotionalen und sozialen Kompetenzen ausgebildet sind. In der Präsentationsphase gilt es jedoch, insbesondere auf Distanz, gedanklich vorwegzunehmen, welche Aufgaben als nächste anstehen und inwiefern Sie dafür geeignet sind. Sollten Sie sich unsicher sein, können Sie ab und an nachfragen, was geplant und ob hier eine spannende Aufgabe zu erledigen ist, bei der Sie sich und Ihre Kompetenzen perfekt einbringen können.
5. Analoge Aktivierungsphase
Für den Abschluss geht es darum, Ihrer Führungskraft aktiv Ihr Herzensprojekt zu vermitteln. Da dies nicht automatisch auf offene Ohren stoßen wird, bietet es sich an, dies in einem analogen Treffen zu verhandeln. In der letzten Phase geht es folglich darum, die eigene Kreativität und Innovationskraft spielen zu lassen und eigene Projekte anzubahnen, von denen die Führungskraft noch nicht einmal wusste, dass sie sie brauchte.
Ergänzend kommt noch eine Kompetenz hinzu, die nicht direkt zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden zum Tragen kommt, allerdings für jede zukünftige Team-, Projekt- oder Abteilungsleitung von unschätzbarem Wert ist: Kontakte knüpfen und andere Teammitglieder unterstützen. Dies ist digital sogar einfacher als vor Ort, da es sich über den Austausch auf Wissensplattformen und Expertennetzwerke leichter herausfinden lässt, wer welche Hilfe benötigt und wer welche Kompetenzen mitbringt. Damit kann ich Hilfe gezielter anbringen und mir die Dankbarkeit der Kolleginnen und Kollegen sichern oder auch Kompetenzen ausfindig machen und diese als Netzwerker weitervermitteln.
Die Arbeit im Homeoffice führt häufig zur Isolierung und Vereinzelung. Wer jedoch stringent an seinem Netzwerk arbeitet, punktet nicht nur in Sachen Karriere, sondern baut sich auch die Unterstützung im Team auf, auf die er sich verlassen kann, wenn es tatsächlich zu einer Beförderung kommt.
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Weitere Themen rund um “New Work” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt! Diesmal geht es um den Diversität-Gedanken und welches Konfliktpotential Diversität mit sich bringt.
Das Konfliktpotential des Diversität-Gedankens
Diversität hat viele Vorteile
Diversität ist in aller Munde und grundsätzlich eine feine Sache, weil sie in der Lage ist, komplexe Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten – und nur so sind nachhaltige Entscheidungen zu treffen. In meinem Buch “Die Bienenstrategie” beschreibe ich eingehend die Vorteile der Diversität, wobei es mir wichtig ist, damit nicht nur verschiedene Geschlechter, Lebensphasen, ein unterschiedliches Alter oder die sozio-kulturelle Herkunft zu bezeichnen, sondern auch verschiedene sich ergänzende Menschentypen.
Selbst die Diversität ist divers, was Diskussionen einerseits spannend und bereichernd macht, andererseits auch manchmal schwierig. Nichtsdestotrotz ist es – da sind sich die meisten Unternehmen wohl einig – unabdingbar, in einer sowohl globalisierten als auch komplexen Welt möglichst viele Perspektiven einzunehmen. Vor allem um diverse Kundenperspektiven zu berücksichtigen und damit zum einen nicht nur wenig anzuecken, sondern auch viele potentielle Wünsche vorwegzunehmen. Eine Kreativ-Methode wie Design-Thinking, die implizit beinhaltet, sich Personas als Kundenbeispiele auszudenken und Produkte oder Dienstleistungen aus deren Sicht zu erforschen, funktioniert erst dann richtig gut, wenn sie sich unterschiedliche Sichtweisen nicht erst künstlich „aus der Nase zaubern“ muss, sondern bereits im Entwicklungsteam Vertreter/innen der entsprechenden Sichtweisen vorhanden sind. Ein potentielles Team aus lauter männlichen 30-jährigen, autofahrenden, kinderlosen Ingenieuren vertritt nun einmal eine bestimmte Sicht auf die Welt. Während eine Alleinerziehende, ein Mensch mit Migrationshintergrund, der Vater einer kinderreichen Familie oder ein älterer Mensch logischerweise andere Sichtweisen einnehmen.
Ein Gruppenzugehörigkeits-Sein schafft Konflikte
Soweit kurz und knapp die Vorteile der Diversität in Unternehmen. Kommen wir nun zum Titel des Artikels und damit zu den angesprochenen Schattenseiten. Die große Gefahr der Diversität in Unternehmen lässt sich als Spiegelphänomen einer identitären Gesellschaft betrachten. Wir leben mittlerweile in einer Welt, in der vielen Menschen in Diskussionen das Sein ihres Gegenübers wichtiger ist als das, was er oder sie tut. Dass dem so ist, ist zuerst einmal eine gute Nachricht. Denn das eigene oder fremde Sein wichtig zu nehmen, könnte von einer hohen Wertschätzung zeugen.
Sind Menschen jedoch zu sehr mit dem Sein beschäftigt, erhöht dies ihre Konfliktbereitschaft. Sie ernähren sich dann nicht mehr vegan oder vegetarisch, sind alleinerziehend, haben einen Migrationshintergrund, sondern sind Veganer, Vegetarier, alt oder jung, männlich oder weiblich usw. Sie ziehen aus ihrem Sein einen gewissen Stolz. Das Sein bezieht sich damit weniger auf einzelne Personen oder deren Kompetenzen im Tun, sondern auf die stolze Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die auf der einen Seite klare Wertvorstellungen bis hin zu Klischees vermittelt und zu der ich mich auf der anderen Seite im Falle eines Konfliktes solidarisch zeigen möchte. Betonen wir dieses Gruppenzugehörigkeits-Sein in zu hohem Maße, verstärken sich auch die Abgrenzungen zu anderen Gruppen.
Konfliktpotential der Diversität für Unternehmen
Die Gefahr einer identitären und bisweilen auch ideologischen Bestrebung der Abgrenzung gegen andere Gruppen, die wir aus der Gesellschaft kennen, ist in Unternehmen glücklicherweise geringer, da hier der direkte und regelmäßige Austausch untereinander in der Regel einige Konfliktpotentiale abfedert. Kommunizieren wir jedoch auf Distanz oder befinden uns in einem sehr großen Unternehmen, ist dieses spalterische Potential durchaus vorhanden, wenn es heißt: Die wird nur genommen, weil sie eine Frau ist. Oder: Der wird nur genommen, weil wir noch jemanden brauchen, um eine bestimmte Quote zu erfüllen.
Gute Kommunikation entscheidend
Wie eingangs erwähnt: Die Vorteile, eine Person gerade wegen ihrem sozio-kulturellen Hintergrund ins Team zu holen, liegen auf der Hand. Dennoch sollten Unternehmen ebenso auf dem Schirm haben, dass sich damit eventuell bislang privilegierte Gruppen oder Personen, die sich um solche Themen bisher zumindest keine Gedanken machen mussten, nun benachteiligt fühlen. Das Thema totzuschweigen im Sinne von „Wir wollen uns nun einmal divers aufstellen und damit Ende der Diskussion” macht die Meckerer vielleicht mundtot. Das Thema ist damit jedoch nicht vom Tisch. Besser wäre es, offen anzusprechen, warum es wichtig ist, dass eine bestimmte Person mit ins Team soll und dass das sowohl mit ihrer Herkunft und ihrem sozio-kulturellen Hintergrund zu tun hat, als auch mit ihren ganz persönlichen Kompetenzen. Darin spiegelt sich genau das wieder, was mit der Sprachregelung “Mensch mit …-Hintergrund” verdeutlicht werden soll. Es zählen der Mensch und der Hintergrund.
Gleichzeitig kann eine Überbetonung des Seins eine Opfermentalität im Unternehmen fördern. Der Kampf um Aufmerksamkeit und Privilegien erfolgt heutzutage nicht nur über Leistung, sondern auch über Benachteiligungen. Wird Respekt lediglich für das eigene Sein beziehungsweise die Zugehörigkeit eingeklagt, entsteht eine Schieflage. Dann ginge es nicht mehr darum, voneinander zu lernen und gemeinsam mehr zu erreichen, sondern darum, sich am kleinsten gemeinsamen Nenner zu orientieren. Schlimmstenfalls entsteht ein Neid in beide Richtungen: Die einen neiden den anderen ihre Zugehörigkeit, aufgrund derer sie sich vermeintlich nicht anstrengen müssen, um Anerkennung zu erhalten, und haben Angst davor, alte Privilegien aufgeben zu müssen. Die anderen neiden den einen ihre alten Privilegien und bringen nun ihr bislang unterprivilegiertes Sein als Waffe in Stellung. Damit ist beiden Seiten nicht geholfen.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie Unternehmen damit umgehen sollten, wenn sie realisieren, dass bei ihnen eine doppelte Opferkultur entsteht. Die ehemals Privilegierten oder Sorglosen zurecht zu stutzen ist schwierig, da damit neue Konfliktpotentiale entstehen. Die Neu-Privilegierten ausnahmslos zu fördern, forciert womöglich bereits vorhandene Opfermentalitäten noch mehr, wenn das Motto lautet: Der am meisten Benachteiligte muss sich am lautesten beklagen, um unterstützt zu werden. In einer solchen Kultur kann niemand gewinnen.
Es geht folglich auch hier darum, die eigene Diversität und die damit eventuell verbundene Benachteiligung nicht als Waffe zu akzeptieren, sondern ebenso auf positive Aspekte der Qualität und der Arbeit im Zusammenspiel mit den Kolleginnen und Kollegen zu achten – beziehungsweise den gesamten Menschen zu sehen, um Stigmatisierungen zu vermeiden, die ja verhindert werden sollten. Es geht auch hier darum, Chancengleichheit herzustellen und gleichzeitig die Leistung jedes/r Einzelnen zu betrachten. Darin liegt jedoch auch die Möglichkeit einer echten, von Zugehörigkeiten unabhängigen Gleichberechtigung.
Eine oberflächliche Diversität verhindert echte Lösungen
Dass Sprache Wirklichkeit schafft, ist eine bekannte Tatsache. In diesem Sinne spiegelt Sprache nicht nur die aktuellen Verhältnisse wieder, sondern bereitet auch neue Verhältnisse vor. Bereits der Versuch, mit neuen sprachlichen Regelungen diesem Phänomen gerecht zu werden, ist ein Schritt zu einer Kultur der Gleichbehandlung. Auch wenn wir dies vermutlich niemals erreichen werden, da der Mensch zu etwa 50% von Natur aus ungleich ist, was seine Schnelligkeit, Klugheit, Aggressivität, sprachliche Gewandtheit und rhetorischen Fähigkeiten oder sein Charisma angeht. Eine vollkommene Gleichheit herzustellen wäre auch nicht Sinn der Sache. Denn dann würde man den eingangs beschriebenen Diversitätsgedanken seiner Vorteile berauben.
Denn wer gleich ist, nimmt die gleichen Sichtweisen ein. Es kann ja nicht darum gehen, die Leisen lauter zu machen und die Lauten leise, die Alten jung und die Jungen alt oder die Männer weiblicher und die Frauen männlicher, damit sich beide in der Mitte treffen. Man soll vielmehr die jeweiligen Qualitäten erkennen und erhalten und sich auf einer neuen Ebene der Gemeinsamkeiten treffen. Dies lässt sich mit gemeinsamen Zielen, Visionen oder Missionen erreichen. Aus diesem Grund sind in divers aufgestellten Unternehmen Leitbilder, auf die sich alle einigen können und wollen, noch wichtiger als mit einem homogenen Mitarbeiterstamm.
Diversität als Ablenkung
Die Beschäftigung mit Diversitätsthemen und Sprachregelungen kann jedoch auch dazu führen, dass weniger Zeit für andere Themen übrig bleibt. Mehr noch: Wer sich hauptsächlich um Sprachregelungen kümmert, verdeckt häufig echte Lösungen für Probleme. Wird wie in einem Video aus der Comedy-Serie “Kroymann” (YouTube-Video) nach einem Ausländer im Unternehmen gesucht, um sich ein Diversity-Image zu geben, „weil das heutzutage jeder braucht“ und werden gleichzeitig Bezeichnungen gegendert, „weil das als Zeichen für die Kundinnen und Kunden notwendig ist“, führt dies noch lange nicht zu einem echten Wandel der Geisteshaltung im Unternehmen. Ob es sich manche Unternehmen zu leicht machen, indem sie ein paar Schildchen austauschen oder ob eine Veränderung von Bezeichnungen langfristig tatsächlich zu einer Veränderung der Wirklichkeit führt, mag jede/r für sich selbst beantworten.
Verteilung der Kompetenzen
Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Debatte, wer sich um welche Themen kümmern sollte, in einem anderen Licht. Auf der einen Seite progagiert man im Zuge der Cancel Culture, dass man fremde Kulturen nicht okkupieren darf. Ein Mann sollte sich nicht um Frauenthemen kümmern und unterprivilegierte Minderheiten sollten von eben solchen vertreten werden, wie in der Debatte um die geplante Übersetzung des Inaugurationsgedichts von Amanda Gorman durch die Holländerin Marieke Lucas Rijneveld (siehe SZ-Artikel) deutlich wurde. Abgesehen davon, dass damit jede Gruppe in ihrer Filterblase eingeschlossen bleibt und die Empathie für andere Gruppen nicht geschult wird – was letztlich zu einer Entsolidarisierung und damit Erhöhung des Konfliktpotentials im Unternehmen führt –, kümmern sich schlimmstenfalls Unterprivilegierte um “Unterprivilegiertenthemen” und eben nicht um die prestigeprächtigen Themen der Mehrheit. Drastischer formuliert: Während Frauen sich mit Gleichberechtigungsthemen beschäftigen oder im Gleichstellungsbüro „geparkt“ werden, machen die Männer Karriere.
Lösungsansatz zum Konfliktpotential der Diversität
Unternehmen brauchen folglich eine Klammer, die alles zusammenhält: Die diversen Gruppenzugehörigkeiten ebenso wie die Individualität jeder einzelnen Person. Dies erreichen sie mit einer glaubhaften Vision und Mission oder einem Leitbild der Diversity, das nicht von oben herab gepredigt, sondern tatsächlich gelebt wird. Wer weiß, was alle im Unternehmen miteinander verbindet und dass jede/r, egal mit welchem Hintergrund und mit welcher Persönlichkeit gebraucht wird, kann auch seine eigenen Befindlichkeiten zeitweilig hinten anstellen und auf der Basis dieser Zivilität respektvoll miteinander umgehen.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Weitere Themen rund um “New Work” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Der Begriff “Hack” deutet bereits den IT-Hintergrund an und bedeutet auf Deutsch so etwas wie Kniff, um ein Problem zu lösen. Im englischsprachigen Raum gibt es dazu bereits einige Veröffentlichungen. Hierzulande sind Culture Hacks noch ein eher zartes Pflänzchen. Dabei können gezielt eingesetzte Hacks Kulturveränderungen in Unternehmen anstoßen. In seinem heutigen Beitrag der Bunker-Chroniken liefert Michael Hübler einige interessante Beispiele für schnell umsetzbare Culture Hacks in agilen Teams und klärt zudem die Frage: Was sind Culture Hacks überhaupt?
Was sind Culture Hacks?
Bei Culture Hacks handelt es sich um bewusste Interventionen, die in Unternehmen mit dem Ziel gesetzt werden, die aktuell gelebte Unternehmenskultur in eine gewünschte Richtung zu entwickeln. Während groß angelegte Kultur-Veränderungen von der Unternehmensleitung angestoßen werden, jedoch häufig wenig bewirken, da sich Kulturen nur langsam und schwerfällig verändern, lassen sich Culture Hacks von Führungskräften einsetzen, um mit kleinen Hebeln große Wirkungen zu erzielen. Culture Hacks kommen aus der Welt kleiner, agiler Unternehmen.
Culture Hacks vermischen auf der einen Seite das Wissen um die Symbolkraft manifester Handlungen mit provokanten Irritationen des Systems. Einzelne Mitarbeiter/innen werden dabei ebenso irritiert wie Teams. Ob sich damit auch das gesamte Unternehmen kulturell verändern lässt, ist letztlich eine Frage des Erfolgs. Das Spannende an Culture Hacks ist definitiv der niederschwellige Ansatz. Eine Idee kann meist sofort mit ein wenig Hintergrundwissen in die Tat umgesetzt werden, ohne bei der Geschäftsleitung um Erlaubnis zu bitten. Ist die Idee erfolgreich, wird sie sich durchsetzen. Ist sie es nicht, ist der Schaden überschaubar. Culture Hacks stellen damit das Verbindungsstück zwischen einer bewusst gesetzten Kulturstrategie und deren Umsetzung ins operative Handeln dar.
Werden beispielsweise in einem überharmonischen Team mit verbrieftem Nichtangriffspakt Post-its auf einer öffentlichen Pinwand verteilt mit Satzanfängen wie: “Ich bin genervt, wenn …” oder “Ich bin frustiert, wenn …”, damit die Mitarbeiter/innen diese entpersonalisiert ergänzen, kann dies zu einer höheren Ehrlichkeit und Offenheit im Kollegenkreis führen. Diese Methode kann auch auf einer digitalen Pinwand vorbereitet und über die Distanz reflektiert werden.
Die Erstellung solcher Hacks folgt dabei einem einfachen Prinzip:
Problem: Welches Problem nervt uns? In diesem Fall die Überharmonisierung, weshalb schwierige Themen nicht angesprochen werden.
Hack: Mit welcher Methode könnten wir dieses Problem minimalinvasiv angehen? In diesem Fall mit einer Pinwand für nervige Situationen.
Reflexion: Was würde dieser Hack bewirken? Vermutlich werden nur ein paar wenige Mitarbeiter/innen die Post-its ausfüllen, was aber eine Strahlwirkung auf andere haben kann. Werden die Nervereien zudem in einem Meeting besprochen, könnte dies auch anderen Kolleg/innen zugute kommen.
Dass solche Methoden nicht sofort bei der Belegschaft ankommen, zumal die provokante Idee dahinter ein integraler Bestand ist, leuchtet ein. Daher erfordert es sowohl Mut, etwas Neues auszuprobieren und bewusst Grenzen zu überschreiten, als auch die Empathie, um einzuschätzen, ob mit einem Hack eine moralisch-emotionale Grenze zu weit überschritten wird.
Hintergründe von Culture Hacks
Neben dem IT-Hintergrund finden wir die Idee eines Culture Hacks ebenso in der Kunst als Provokation aktueller kultureller Standards und Wertevorstellungen. In Kunst und Kultur gab es seit jeher Bewegungen, die den etablierten Kulturbetrieb herausforderten, beispielweise Surrealismus, Dadaismus, Bauhaus, Nouvelle Vague, Bebop, Hardbop, Freejazz, Punk oder Grunge. Solche Strömungen wurden später in der Regel oftmals selbst zu Klassikern. Während eine Band wie “The Clash” damals als Affront galt, stehen deren Alben heute in diversen gutbürgerlichen CD-Regalen. Andere Kunsterzeugnisse, wie beispielsweise einige Filme von Jean Luc Godard, wirken auch nach 50 Jahren noch verstörend.
Dieses Prinzip gezielt eingesetzter Provokationen lässt sich auch für Kulturveränderungen in einem Unternehmen verwenden, um Veränderungen anzuregen. Die Bedingungen sind jedoch anders. Während der gängige Kulturbetrieb durch Irritationen neuer Strömungen von außen irritiert wird, geschieht dies in Unternehmen von innen. Das kann ein Vor- oder Nachteil sein. Vorteilhaft ist der direkte Einfluss auf die Kolleg/innen. Verändere ich als Führungskraft die Meeting-Regeln, erzielt das sofort Wirkungen. Nachteilhaft ist eventuell das engere Korsett in einem Unternehmen. In strengen Hierarchien kann es sein, dass viele vermeintlich spannende und gewinnbringende Hacks gar nicht möglich sind und sogar sanktioniert werden.
Jede Kultur ist dabei ein System aus weitgehend unbewussten Codes, Vereinbarungen, Werten, moralischen Vorstellungen, Normen und Kommunikationsregeln. Kultur ist im Gegensatz zur Natur immer ein künstliches Konstrukt, um Individuen Halt und Orientierung in einer Gruppe zu geben. Unsere kulturellen Prägungen sind uns jedoch selten bewusst. Manifest gibt es Handlungen, Objekte und Artefakte wie beispielsweise Ablagesysteme oder die Kleidungsordnung. Latent gibt es unbewusste, soziale Regeln. Kulturelle Regeln funktionieren wie unsere Grammatik. Wir wenden sie täglich zielsicher an und zucken zusammen, sobald wir einen Fehler erkennen. Die Regeln hinter der Grammatik sind uns jedoch meist nicht bewusst. Daher ist es auch schwierig, solche unbewussten Regeln zu verändern.
Gilt beispielsweise die Regel, dass Fehler zu einem Karriereknick führen können, werden Fehler verschwiegen. Die Forderung, Fehler nach Projekten aufzuarbeiten, hilft also wenig, wenn die dahinter stehende unbewusste Regel nicht bewusst gemacht und bearbeitet wird. Die Irritation dieser Regel mit einem Culture Hack, beispielsweise indem die Teamleitung vom schlimmsten Fehler ihrer Karriere erzählt, könnte hingegen zu einer nachhaltigen kulturellen Veränderung führen.
Da Hacks aus der Computerwelt kommen, bietet sich auch der Vergleich zur Programmierung an. Auch hier ist der Code für die Benutzeroberfläche einer Internetseite versteckt. Und auch hier geht es darum, nicht die Oberfläche, sondern den dahinter liegenden Code zu knacken.
Beispiele für Culture Hacks
Die folgenden Beispiele sind Standards, die so oder so ähnlich aufgrund typischer Problemlagen auch bei Ihnen Erfolg haben könnten. Grundsätzlich ist jedoch jede Kultur anders. Daher ist es wichtig, Culture Hacks nicht als schnelle Lösungen von der Stange zu betrachten. Prüfen Sie daher gut, ob die folgenden Hacks wirklich bei Ihnen erfolgreich sein könnten. Im Zweifelsfall ist es sinnvoll, im Rahmen eines Workshops individuelle Culture Hacks zu erarbeiten.
Das Problem: E-Mail-Flut nach dem Urlaub
Ein typisches Problem vieler Mitarbeiter/innen sind überquellende Postfächer mit Hunderten von E-Mails nach dem Urlaub. Gängige Lösungen lauten: Heimlich einen Tag früher wieder anfangen zu arbeiten, damit der erste Tag nicht so schlimm wird. Oder den ersten Tag nach dem Urlaub im Homeoffice bleiben, damit nicht noch Ad-hoc-Aufgaben dazu kommen.
Hack: Alle E-Mails, die im Urlaub ankommen, umleiten oder sogar löschen. Der Wiedereinstieg nach dem Urlaub wird damit unbelastet.
Das Problem: Unruhige Meetings
Die Meeting-Kultur gibt regelmäßig Anlass für Unzufriedenheit. Manche kommen später, andere gehen früher. Für einen echten Austausch, gute Reflexionen und nachhaltige Beschlüsse bleibt oftmals keine Zeit.
Hack 1: Meetings beginnen und enden pünktlich, selbst wenn noch nicht alle da sind und es am Ende noch Themen gäbe.
Hack 2: Wer zu spät kommt, muss zur Strafe die unangenehmste Tätigkeit der Woche übernehmen. Das kann vor allem in agilen Teams, die mit Kanban arbeiten, interessant sein.
Das Problem: Endlose Meetings
Noch einmal zur Meeting-Kultur: In manchen Firmen ufern Meetings zu einem Marathon aus. Ständig kommen neue Themen auf. Die Konzentration ist nicht mehr vorhanden und am Ende sind die Teilnehmer/innen nur noch physisch anwesend.
Hack 1: Halten Sie Meetings im Stehen ab.
Hack 2: Sobald Sie merken, dass in einem Meeting nichts wirklich Wichtiges mehr passiert und es lediglich um den Status der Teilnehmenden geht, sagen Sie es ab.
Das Problem: Parallelarbeit im Meeting
Meeting-Kultur, die dritte: Im Meeting arbeiten die Kolleg/innen regelmäßig parallel und beantworten E-Mails.
Hack: Zu Beginn eines Meetings werden die Laptops und Smartphones an einer Techno-Sammelstelle eingesammelt. Stattdessen bekommen die Teilnehmenden Block und Stift für Notizen.
Das Problem: Fehler werden nicht aufgearbeitet
Fehler in Projekten werden nicht aufgearbeitet, sondern verschwiegen, um keine Schwierigkeiten zu bekommen.
Hack 1: Vergeben Sie Preise für den krassesten Fehler des Monats. Manche Unternehmen verteilen hierzu einen Wanderpokal.
Hack 2: Planen Sie Fehler in Projekten gezielt mit ein und sinnieren darüber, was Sie tun sollten, um Fehler zu machen. Das kann eine sowohl erheiternde, als auch abschreckende Wirkung haben.
Hack 3: Beginnen Sie das erste Meeting im Monat mit einer Runde über alle potenziellen Fehler, die in den kommenden vier Wochen passieren könnten und sprechen auch darüber, was Sie tun müssen, damit es auch wirklich so kommt.
Problem: Wichtige Entscheidungen werden aufgeschoben
In manchen Unternehmen werden Entscheidungen gerne aufgeschoben oder nach oben oder unten eskaliert, wenn die Konsequenzen unüberschaubar sind.
Hack 1: Erstellen Sie die Regel, dass alle Entscheidungen innerhalb von 48 Stunden getroffen werden müssen. Ergänzt werden kann diese Regel durch ein Punktesystem: Für jede Entscheidung gibt es zwei Punkte. War die Entscheidung erfolgreich, gibt es einen weiteren Punkt. War sie schlecht, wird ein Punkt abgezogen, sodass selbst eine schlechte Entscheidung noch besser ist als gar keine.
Hack 2: Führen Sie ein Informationsbegrenzungs-Bingo ein. Dazu erzählt ein Teammitglied von einer Entscheidungsfrage. Daraufhin werden reihum alle Informationen gesammelt, die für oder gegen eine Entscheidung sprechen. Ein Mitarbeitender achtet darauf, ab wann er/sie das Gefühl hat, dass genügend Informationen vorhanden sind und ruft laut “Bingo”.
Hack 3: Bilden Sie sich ergänzende Entscheidungsteams. Ein schneller Kollege trifft beispielsweise auf eine langsame Kollegin.
Das Problem: Überharmonisierung im Team
In manchen Teams werden wirklich wichtige Themen nicht angepackt. Stattdessen fassen sich die Mitarbeitenden mit Samthandschuhen an, wenn es beispielsweise um Fehler geht.
Hack 1: Führen Sie ein Ritual am Ende von Meetings ein, in dem Sie mindestens eine provokante bis tabulose Frage stellen. Dies kann in einer offenen Runde, anonym oder in kleinen Teams stattfinden.
Hack 2: Verteilen Sie auf einer Pinwand Post-its mit Satzanfängen: “Ich bin genervt, wenn…”, “Ich bin frustiert, wenn…” oder “Ich ärgere mich, wenn…” und lassen diese von den Mitarbeitenden ausfüllen. Die Ergänzungen sollten entpersonalisiert sein. Ein Beispiel: Ich bin genervt, wenn sich Aufträge in die Länge ziehen. Die Ergebnisse werden im Team aufgearbeitet oder stehen für sich.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Wenn man sich die Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt und die Diskussionen um „New Work“ ansieht, drängt sich der Eindruck auf, das Ende der Hierarchie stünde im Unternehmenskontext kurz bevor. Kannte man solche Forderungen anfangs vor allem von überschaubaren, selbstverwalteten Betrieben, vor allem aus dem Start-up-Umfeld oder IT-nahen Unternehmen, wird das Ende der Hierarchie seit einigen Jahren auch für größere Wirtschaftsunternehmen gefordert: Im Homeoffice entscheidet jeder Mitarbeitende selbst und von Scrum-Teams bis zum Großraumbüro wird Partizipation groß geschrieben. Tatsächlich hat sich die Kultur des Umgangs miteinander verändert. In der digitalen Welt macht uns das vorherrschende “Du” mit einem Mausklick um 20 Jahre jünger. Und wer das nicht will, gilt als Spielverderber. Jüngere Generationen wollen sich – außer in Pandemie-Zeiten – ohnehin nichts mehr sagen lassen. Deshalb stellt sich in der heutigen Ausgabe der Bunker-Chroniken die Frage: Hat wirklich bereits das letzte Stündlein von Hierarchien geschlagen?
Das Ende der Geschichte?
Die Welt teilt sich seit jeher auf in Mainstream-Meinungen und Nischenthemen. In der Wirtschaftswelt scheint mittlerweile der Mainstream eindeutig gegen Hierarchien zu sprechen: zu träge, zu intransparent, zu ungerecht, zu unkreativ, zu unmotivierend. OK. Ein paar Dinosaurier müssten noch überwunden werden. Aber dann steht der schönen neuen Netzwerkwelt mit einer perfekten Kommunikation auf Augenhöhe nichts mehr im Weg. Oder etwa doch?
Werfen wir einen Blick zurück in die Geschichte wird deutlich, dass eine Enthierarchisierung von Organisationen bereits in den 1940er-Jahren propagiert wurde, unter anderem von der Managementvordenkerin Mary Parker Follett. Dass dieser Gedanke in den 1960ern wieder aufgegriffen wurde, erscheint aufgrund der damaligen Aufbruchstimmung logisch. In den 1980ern ging das Prognostizieren weiter, unter anderem mit Tom Peters, einem der renommiertesten US-amerikanischen Management-Gurus. Schon damals gab es eine VUCA-Welt, an die man sich mihilfe flexibler Netzwerke anpassen wollte. Später kamen Diskussionen um Lean Nanagement und Agilität, vor allem in Projektteams hinzu. Die Diskussion um Hierarchien versus Netzwerke ist also alles andere als neu, wird jedoch seit Scrum, New Work und Feelgood Management vehementer geführt als jemals zuvor.
Dabei sollten wir zwei Gedankenstränge tunlichst voneinander unterschieden:
Ist oder wäre es sinnvoll, Hierarchien zu reduzieren? Wenn ja, warum?
Wie realistisch ist es, dass Hierarchien mittel- und langfristig auch in großen Firmen abgebaut werden?
In der Literatur wird diese Unterscheidung selten vorgenommen. Meist hat es den Anschein, dass der Abbau von Hierarchien herbeigeschrieben werden will, weil es sinnvoller erscheint, mithilfe von Netzwerken Veränderungen zu meistern. Und rein menschlich fühlt es sich auch richtig an, gegen die bösen Hierarchien zu wettern, die uns schlimmstenfalls an Militäroperationen erinnern. Die Forderung, Hierarchien endlich abzubauen, wird gerne mit einzelnen glorreichen Beispielen oder Umfragen unterfüttert, insbesondere auch dem Silicon Valley. Dabei gibt es wesentlich mehr Beispiele – alleine aus meinem direkten Arbeitsumfeld – in denen es im Wesentlichen hierarchisch zugeht. Literarisch spannend ist das nicht, doch leider die Wahrheit.
Und wenn wir uns das Buch Code kaputt von Anna Wiener über die männerdominierte Welt der Silicon Valley Start-ups zu Gemüte führen, wird deutlich, dass vermeintlich enthierarchisierte Arbeitswelten an der Oberfläche modern und lässig wirken, sich in Wirklichkeit jedoch neue unsichtbare Hierarchien im Gewand des Rechts der Stärkeren und Schnelleren herausbilden. Enthierarchisiert bedeutet nicht automatisch gleichberechtigt. Und wo es keine (hierarchischen) Regeln gibt, könnte dies zu einem neuen Feudalismus führen.
Über den Zusammenhang von Netzwerken und Hierarchien
Netzwerke und Hierarchien im geschichtlichen Kontext
Der Historiker Niall Ferguson geht in seinem Buch Türme und Plätze. Netzwerke, Hierarchien und der Kampf um die globale Macht der Frage nach, welchen Einfluss Netzwerke auf die Weltgeschichte hatten und betont, dass Netzwerke schon immer eine wichtige Rolle spielten, deren Bedeutung jedoch systematisch unterschätzt wurde. Meist erfolgt die Geschichtsschreibung auf der Sicht der Macht. Als Leitmetapher für sein geschichtliches Erklärungsmodell nutzt er die Piazza del Campo in Siena/Italien, die vom Turm des Rathauspalastes überragt wird, dem Torre del Mangia. Der weite Platz steht bei Ferguson für den freien Austausch der Bürger/innen von Informationen und Handelsgütern.
Der Turm hingegen steht für die Macht, die den freien Austausch der Individuen kontrollieren will. Spione, Banker, Wissenschaftler oder Freimaurer forderten die politischen Machthaber immer wieder heraus. Der Klerus der katholischen Kirche wurde durch das Netzwerk der Reformation, der Absolutismus durch das intellektuelle Netzwerk der Aufklärung und die Old Economy durch Netzwerke im Silicon Valley herausgefordert. Hierarchien wurden jedoch niemals komplett abgeschafft, sondern lediglich aufgefordert, ihre Ordnung und Regeln zu überdenken, als würden sie in einer Symbiose mit Netzwerken leben.
Es ist ein wenig wie ein Katz-und-Maus-Spiel. Ohne Katze keine Maus und ohne Maus keine Katze. Es geht ewig hin und her. Übertragen auf Unternehmen kann dieser Marktplatz der Kicker im Keller sein, die Teeküche, ein Innovation Lab mit einem offenen Kundenverkehr, ein Chatroom oder sogar eine digitale Plattform, die ähnlich wie ein Innovation Lab für Kunden zugänglich ist. Das Unternehmen richtet diese Orte zwar ein, weil es die Macht dazu hat und um den Austausch der Informationen dort weiß. Es kann die Abläufe an diesen Orten jedoch nur bedingt steuern. Gezielte Steuerungen werden immer wieder versucht, wenn die Geschäftsleitung Pinnwände mit Informationen vorbestückt, um den Informationsfluss in eine bestimmte Richtung zu lenken. Sie wird es jedoch niemals ganz schaffen, weil Netzwerke immer auch eigene Wege gehen.
Netzwerke und Hierarchien aus Sicht der Organisationsforschung
Das Leben in Organisationen ist wie jedes Leben komplexer als die Literatur erlaubt. Während es auf der einen Seite klare Regeln, einen Dresscode und Dienstbeschreibungen gibt, gibt es auf der anderen Seite unbewusste kulturelle Ebenen und informelle Informationskanäle, die Neulinge im Unternehmen leicht überfordern können, da sie nicht selten den offiziellen Regeln widersprechen. Häufig müssen Mitarbeiter/innen sogar gegen offizielle Regeln verstoßen, um arbeitsfähig zu bleiben.
Gleichzeitig formen sich in ehemals reinen Netzwerken neue Hierarchien heran. Sobald Netzwerke größer werden, bildet sich nach und nach eine innere Ordnung heraus, die meist wieder hierarchisch aufgebaut ist, ob dies nun die Freimaurer sind oder hippe Start-ups im Silicon Valley.
Die Erkenntnis, dass Organisationen neben den Formalstrukturen auch informelle Strukturen haben, ist so alt wie die Organisationsforschung selbst. Ohne in die Tiefe zu gehen, sei an dieser Stelle auf Max Weber, den Gründungsvater der Organisationstheorie verwiesen, der sich bereits in den 1920er- Jahren damit beschäftigte, wie Bürokratien mit den existierenden persönlichen Netzwerken in einer Organisation zu vereinbaren sind.
Auf Jakob Moreno aus den 1930er-Jahren geht das Verfahren der Soziometrie zur Messung von Netzwerken zurück, das auch heute noch verwendet wird. Elton Mayo et al. setzten die Soziometrie in den 1940ern zur Beschreibung von Beziehungen und Konflikten ein. 1973 schließlich stieß der Soziologe Mark Granovetter auf die These von der „Stärke schwacher Bindungen“, mit der er zeigte, wie wichtig Netzwerkverbindungen sind. Ronald Burt übertrug diese Grundidee der Wichtigkeit sozialen Netzwerkkapitals kurz darauf auf berufliche Erfolge. Und der Management-Professor Fred Luthans zeigte Ende der 1980er, dass erfolgreiche Manager fast die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit der Bildung von Koalitionen, der Pflege von Freundschaften mit beruflich relevanten Personen, dem Zelebrieren von Smalltalk auf wichtigen Anlässen und dem Beitritt zu karriereförderlichen Vereinen verbringen. An diesem kurzen Rundumschlag aus etwa 100 Jahren Organisationspsychologie zeigt sich ebenso, dass das Thema Hierarchien versus Netzwerke nicht gerade neu ist.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Häufig wird bei all der Euphorie zum Thema Partizipation und Führung auf Augenhöhe die rechtliche Seite vergessen. Hierarchien und damit die Verantwortlichkeit und im Zweifelsfall die Schuldfrage bei Schäden, sind jedoch klar in unserem Arbeitsrecht verankert. Ich möchte Ihnen auch hier lediglich einen Rundumschlag zum Thema Organisationsform anbieten, da das Arbeitsrecht ein komplexes Thema für sich ist. Jedoch möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Frage, wer was mitentscheiden darf auch davon anhängt, in welcher Unternehmensform eine Organisation auftritt.
Beispiel:
Ich hatte beispielsweise vor einigen Monaten einen Beratungsauftrag für eine gGmbH, also eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung. In dieser gGmbH gibt es eine jährliche Gesellschafterversammlung, zwei Geschäftsführer/innen und diverse Standortleitungen. Die Gesellschafter/innen geben die Ausrichtung der Organisation vor, mischen sich jedoch nicht in das operative Geschäft ein. Die Geschäftsführung setzt die Visionen, Ziele und Pläne der Gesellschafter bestmöglich um. Und die Standortleitungen versuchen in ihrem kleinen Rahmen Akzente zu setzen. Dabei kam der Wunsch von den Standortleitungen nach mehr Mitbestimmung auf, was rein kulturell in diesem Unternehmen durchaus möglich wäre. Die Geschäftsführung wäre auch gewillt, mehr Spielräume zuzulassen, muss dies jedoch mit Gesellschaftern abklären, die nicht im operativen Geschäft angesiedelt sind. Sie können also die Standortleitungen bestenfalls bis zur nächsten Jahreshauptversammlung vertrösten und dann für die neuen Ideen werben.
In der Realität ist diese holzschnitzartige Darstellung freilich komplexer. Hier gibt es immer kleinere Möglichkeiten, eigene Wege zu gehen. Sollte es jedoch um größere Themen gehen, die für eine umfassendere Neuausrichtung sprechen, tritt die Hierarchie dieser Unternehmensform deutlich zutage.
Letztlich geht es bei Hierarchien aus dem Blickwinkel der Unternehmensform immer um die Frage der Haftung. Wird mit einer Einlage wie bei einer GmbH von 25.000 Euro gehaftet oder sogar mit dem Privatvermögen? Stehen Aktien auf dem Spiel? Sobald Geld und im Falle von Verlusten die Schadensfrage eine Rolle spielen, werden aus Netzwerken schnell Hierarchien, bewusst oder unbewusst.
Schauen wir uns nach diesem Praxisbeispiel noch ein paar weitere Unternehmensformen an. Im deutschen Recht gibt es Personengesellschaften wie GbRs, OHGs, KGs und Kapitalgesellschaften wie GmbHs, UGs oder AGs.
Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist die einfachste Form der Personengesellschaft. Sie entsteht, wenn sich mindestens zwei Gesellschafter zusammenschließen, beispielsweise im Rahmen einer gemeinsamen Arzt- oder Anwaltspraxis. Hierarchien gibt es in GbRs eher weniger, da die Partner/innen in der Regel gleichberechtigt nebeneinander agieren. Große Netzwerke ergeben sich durch die üblicherweise kleinen Sozietäten jedoch auch nicht. Eine Offene Handelsgesellschaft ist ähnlich einfach aufgebaut wie eine GbR, wird jedoch häufig von Handelsunternehmen genutzt.
Bei einer Kommanditgesellschaft als spezielle OHG werden Rollen und damit quasi auch Hierarchien in Unternehmensformen eingeführt. In einer KG gibt es neben den normalen Gesellschaftern einen Kommanditisten und einen Komplementär. Der Komplementär haftet gegenüber den Gläubigern im Zweifelsfall auch mit dem eigenen Vermögen. Der Kommanditist haftet lediglich mit seiner Kapitaleinlage. Damit ergibt sich logischerweise ein hierarchisches Verantwortungsgefühl.
Der zentrale Aspekt einer Aktiengesellschaft ist freilich die Verteilung von Aktien, wodurch sich ebenfalls Hierarchien entwickeln. Wer mehr Aktien besitzt, hat zum einen mehr Stimmrechte und übernimmt zum anderen schon allein aus Eigeninteresse mehr Verantwortung.
Plädoyer für ein Zusammenspiel zwischen Hierarchie und Netzwerk
Vor- und Nachteile von Hierarchien und Netzwerken
Grob formuliert schaffen Hierarchien Ordnung, weil klar wird, wer…
wofür verantwortlich ist.
was bestimmen oder mitbestimmen kann.
bei Fehlern oder im Falle einer Insolvenz haftet.
Produktionsmittel zur Verfügung stellt.
gegenüber Kunden, Lieferanten und Kooperationspartnern, rechtlich gegenüber dem Staat und moralisch gegenüber einer Gesellschaft haftbar ist.
Hierarchische Ordnungen schaffen nicht nur Sicherheit und regeln Karrierewege. Sie schaffen es auch, eine Organisation an gemeinschaftlichen Zielen auszurichten, während die Ziele in Netzwerken häufig persönlicher und wechselhafter sind.
Netzwerke hingegen bringen diese Ordnung durcheinander. Sie sind kreativ, übertreten Regeln und fördern damit im besten Fall die Entstehung einer neuen, sinnvolleren Ordnung. Würden sich in meinem gGmbH-Beispiel die Standortleitungen absprechen und gegen den Widerstand der Gesellschafter und am besten ohne das Wissen der Geschäftsleitungen eigene Angebote erstellen und damit die Macht der Gesellschafter unterwandern, könnten sich damit neue Ideen etablieren, die im Erfolgsfall später von den Gesellschaftern abgesegnet werden.
Solche Irritationen gleichen für die Beteiligten einem Drama. Von außen betrachtet erinnern sie jedoch eher einem shakespeare-reifen Schauspiel, in dem alle Akteure eine Rolle spielen (müssen): Die Standortleitungen als trotzige Kinder folgen ihrem Herzen. Sie können nicht anders als gegen die offiziellen Vorgaben verstoßen, wenn sie sehen, dass die Realität etwas anderes erfordert. Die Gesellschafter wiederum können die Übertretungen nicht einfach abnicken, um ihre Machtposition nicht zu gefährden. Sie müssen also offiziell „mit den Kindern schimpfen“, auch wenn sie insgeheim froh über die neuen Ideen sein sollten.
In einem anderen Fall aus meiner Beratungspraxis sagte ein Abteilungsleiter zu einem Teamleiter, er solle in einem bestimmten Fall eine Regel bewusst übertreten, um handlungsfähig zu bleiben. Soll der Auftrag eines Kunden fristgerecht bearbeitet werden, kann es durchaus passieren, dass eine Auftrag genehmigt wird, auch wenn noch nicht alle Informationen zur Verfügung stehen. Er darf dem Abteilungsleiter dies jedoch nicht erzählen. Andernfalls müsste dieser die Compliance einschalten.
Während Hierarchien unpopuläre Entscheidungen treffen können, sofern der hierarchische Platz dem Entscheider sicher ist, besteht in Netzwerken ein Autoritätsvakuum, in dem die Mehrheit bestimmt, was zu tun ist. Dies klingt im ersten Moment positiv. Wenn jedoch unklar ist, wie diese Mehrheit zustande kommt, wird es heikel. Wer sich mit der sogenannten Spieltheorie auseinandersetzt, erkennt schnell, wie leicht sich eine Gruppe von Menschen manipulieren lässt, um zu einer Entscheidung zu kommen. Ein simples Beispiel soll dies verdeutlichen:
Beispiel:
In einer Gruppe von zehn Personen soll eine Entscheidung getroffen werden. Dazu gibt es zwei Meinungen. Gehen wir davon aus, dass drei Personen die Meinung A vertreten, drei die Meinung B und vier noch unentschieden sind. Person A beginnt mit der Meinung A und beeinflusst damit die noch unentschiedene Person B. Daraufhin hängt sich Person C ebenfalls mit der Meinung A an die entstehende Gruppe. innerhalb weniger Minuten steht es 3 zu 0 für die vermeintliche Mehrheitsmeinung A. Wenn nun nicht schnellstens die drei Vertreter der Meinung B, die oftmals nichts voneinander wissen, einhaken, werfen sich die drei übrigen Unentschiedenen ebenso auf die Seite von A und der Fall ist klar. Hätte jedoch Person D mit der Meinung B begonnen, hätte es ganz anders ausgehen können.
Die persönliche Sichtweise
Wir sollten dabei nicht vergessen, dass Hierarchien oder Netzwerke auch unterschiedliche Menschentypen ansprechen. Bei aller Sehnsucht nach New Work und einer menschenfreundlichen Arbeitswelt, sind die Menschen verschieden in ihren Bedürfnissen. Während Hierarchien auf die einen aufgrund klarer Regelungen entspannend wirken, erfreuen sich andere an dem kreativen Chaos von Netzwerken. Streng genommen sind Netzwerke jedoch ebenso hierarchisch gegliedert, allerdings in der Regel unsichtbar: Wer die Fähigkeit mitbringt, sich elegant in Netzwerken zu tummeln, Kontakte pflegt, Verbindungen knüpft und gerne auf Veranstaltungen geht, hat in einer Netzwerkwelt alle Trümpfe in der Hand. Wer Smalltalk nicht ausstehen kann und grundsätzlich ein sozial reservierter Typ ist, wird in der unsichtbaren Netzwerk-Hierarchie kaum einen Stich machen.
Zudem gibt es Mitarbeitende, die nun einmal nicht alles mitbestimmen wollen, teils weil sie es nicht gewohnt sind, zumindest im Arbeitskontext, teils weil sie lediglich ihren Job machen und Geld verdienen wollen. Der Rest des Lebens spielt sich zu Hause ab, beim Hausbau, im Urlaub oder im Verein. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob Mitbestimmung in der Arbeit nicht ab und an eine Augenwischerei ist. In manchen Unternehmen wird es als große Errungenschaft verkauft, wenn Putzkräfte ihre Putzmittel selbst bestimmen und einkaufen können, anstatt dies einer zentralen Besorgung zu überlassen. Sie können sich ja im informellen Netzwerk absprechen, welche Mittel am besten funktionieren. Für die Putzkräfte ist dies jedoch beileibe keine Verbesserung oder sogar Wertschätzung, sondern zuerst einmal eine unbezahlte Mehrarbeit. Mit einer echten Mitbestimmung hat das wenig zu tun.
Kann es sein, dass mit der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung der Auflösung der Grenzen zwischen Privatleben und Arbeit Unternehmen am liebsten den gesamten Menschen kapern möchten? Das Homeoffice verlagerte die Arbeit in die eigenen vier Wände. Und vor Ort werden moderne Unternehmen mit Feelgood-Charakter zum Wohlfühlpalast. Während Arbeit früher Arbeit war, ist sie heute ein Rundumpaket. Der Abstand von der Arbeit zur Regeneration geht dabei jedoch verloren.
Der moderne Mitarbeiter darf im Sinne des Netzwerkgedankens sein Herzblut in die Firma einbringen und soll zu allem eine Meinung haben. Er muss jedoch auch rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Ich übertreibe ein wenig. Doch die Euphorie in manchen Unternehmen scheint in diese Richtung zu gehen. Kein Wunder, dass sich manche Mitarbeitende lieber wieder Hierarchien und Regeln wünschen, in denen klar ist, wer was bestimmt und was richtig oder falsch ist.
Hybridlösungen als Fazit
In vielen Firmen herrscht derzeit eine Aufbruchstimmung. Es sollte doch möglich sein, die hohe Kreativität und Eigenverantwortung eines netzwerkorientierten Scrum-Teams auch auf andere Bereiche des Unternehmens auszudehnen. Was im kleinen Kreis eines Teams funktioniert, muss jedoch nicht zwangsläufig für die gesamte Organisation gelten. Ein paar Rahmenaspekte sollen dies verdeutlichen:
Vision: Welche gemeinsame Vision ist vorhanden und wer kümmert sich um welche operativen Umsetzungen der Vision?
Kreativität:
Geht es in unserer Arbeit mehr um kreative Prozesse oder um Verwaltungstätigkeiten?
Welche informellen Netzwerke sind wichtig, um neue Ideen zu fördern und wie werden diese mittel- und langfristig in das Unternehmen eingebunden?
Verantwortung: Sind die Verantwortlichkeiten im Schadensfall klar geregelt?
Verhältnis zwischen Hierarchien und Netzwerken:
Inwiefern wird der freie Charakter von Netzwerkorganisationen wie Scrum-Teams oder Innovation-Labs vor einem hierarchischen Einfluss von außen geschützt? Wo liegen die Grenzen dieses Schutzes?
Was sollte klar geregelt sein? Und worin sollten Freiräume bestehen?
Worin bestehen bei uns die Vor- und Nachteile lockerer Netzwerke? Worin bestehen die Vor- und Nachteile strenger Hierarchien? Wann können Hierarchien oder Netzwerke sogar schädlich sein?
In diesem Sinne ist es essentiell, die Verzahnung von Hierarchien und Netzwerken im Unternehmen klar zu benennen und die Vorteile beider Organisationsformen zu nutzen:
Hierarchien …
Netzwerke …
schaffen eine gemeinsame motivierende Vision.
ermöglichen das Ausleben persönlicher Motivatoren und Ziele.
regeln die Verantwortung und Haftungsfrage im Schadensfall.
schaffen Spielräume in den Grenzen der Haftungsfrage.
bestimmen, was getan werden muss.
eröffnen Möglichkeiten für persönliche Vorlieben.
ermöglichen schnelle Entscheidungen.
fördern durch das Prinzip der Schwarmintelligenz nachhaltige Entscheidungen.
kommen sachorientierten Mitarbeitenden zugute.
kommen beziehungsorientierten Mitarbeitern zugute.
ermöglichen die Durchsetzung unpopulärer Entscheidungen.
fördern das Commitment der Mitarbeitenden.
Der Aspekt der Schnelligkeit ist jedoch unterschiedlich zu betrachten. Agilität bedeutet schließlich auch, im operativen Geschäft schnelle Entscheidungen ohne Rückmeldung mit hierarchisch höher stehenden treffen zu können, das heißt konkret bei einer Beschwerde den Kunden nicht zu vertrösten, sondern autonom 20 Prozent Rabatt geben zu können. Damit dies jedoch nicht in Willkür ausartet, sollten solche Spielräume wiederum vorab für alle Mitarbeitenden hierarchisch abgesegnet werden.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Gibt es ein Geheimrezept, um gut durch Krisen und Veränderungen zu kommen? Die einen sagen: Du musst auf deine Resilienz achten und damit stabil bleiben, wie Michael Hübler es im allerersten Logbucheintrag der Bunker-Chroniken vor über einem Jahr beschrieb. Die anderen: Du muss dich flexibel aufstellen und agil sein. Also was denn nun? Sich flexibel an die neue Situation anpassen? Oder stabil und stoisch alles erdulden? Was wäre, wenn wir die beiden Konzepte der Stabilität und Agilität mischen – und noch ein wenig Antifragilität hinzufügen?
Agil durch Krisenzeiten – der Dreiklang aus Agilität, Reaktivität und Stabilität
Im Prinzip wurde zum Thema Agilität, eng verwandt mit dem Begriff der Antifragilität von Nassim Taleb, schon alles von beinahe jedem gesagt. Die Agilität lässt sich in zwei Punkte aufspalten: Der Begriffsursprung der Lebendigkeit lässt uns stetig nach kreativen Lösungen suchen und die ursprüngliche Idee der Agilität, die Adaptivität zeigt uns, ob unsere agilen Ideen für unser Umfeld relevant sind. Die Resilienz und Antifragilität wiederum verleihen uns Stabilität. In meinem Buch New Work: Menschlich, demokratisch, agil beschrieb ich, wie wichtig eine Qualitätspolitik und Wertehaltungen für die Stabilität eines Unternehmens sind. Dies gilt selbstredend auch für Einzelpersonen: Worauf kann ich mich als Führungskraft, Selbstständige/r oder Mitarbeiter/in verlassen? All das gibt es bereits reichhaltig nachzulesen. Das Internet ist bereits resilient, wenn Sie so wollen.
Das Zusammenspiel zwischen diesen drei Herangehensweisen in Krisen wurde meines Wissens jedoch noch nicht beschrieben. Gerade diese drei Strategien zusammenzubringen ist jedoch essentiell, um Umbrüche und Veränderungen nicht nur kurz-, sondern auch langfristig zu meistern. Würden wir lediglich reagieren, ginge es uns schnell so wie den Restaurantbesitzern, die zuerst mit ihren Hygienekonzepten alles unternahmen, um ihre Läden offen zu halten und später demotiviert und frustriert wurden, weil sie dennoch schließen mussten. Hätten wir lediglich stetig agil neue kreative Ideen, um auf Veränderungen zu reagieren, ohne auf deren Wirkung zu achten, befänden wir uns schnell im hyperagilen Burnout. Würden wir lediglich auf Resilienz bauen, würden wir uns vielleicht stabil fühlen, hätten jedoch keine kreativen Ideen zum Umgang mit der Krise. Der Dreiklang trägt allen drei Strategien Rechnung.
Agilität und Reagilität
Als kurzer Rundumschlag zum Thema Agilität folgt nun ein kurzer Auszug aus einem Interview, das ich vor einigen Monaten gab, in Form von Fragen und Antworten:
Warum und wofür wollen oder sollten wir agiler werden?
Die meisten Firmen wollen agiler werden, um in einer immer schneller werdenden Welt mithalten zu können. Dabei stellt sich dennoch je nach Unternehmen die Frage, wofür genau ein Unternehmen agiler werden möchte: Um mehr als früher auf Kundenwünsche zu reagieren? Um sich auf neue Interessen der Belegschaft einzustellen? Oder um innovative Ideen für Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln?
Was ist der Unterschied zwischen einer aktiven und reaktiven Agilität?
Auch hier bestehen einige Missverständnisse, die es auszuräumen gilt. Auf der einen Seite gibt es agile Vorgehensweisen, beispielsweise im Gamification-Bereich, mögliche Fehler gezielt vorweg zu nehmen, um daraus zu lernen. Auf der anderen Seite gibt es Veränderungen im Umgang mit Kundenanliegen, die flexibler gehandhabt werden wollen und natürlich auch das Reagieren auf Veränderungen und Krisen.
In Krisen gilt also eher der reaktive Ansatz, während der agile Ansatz sozusagen Krisen in der Zukunft vorwegnimmt und darauf bereits heute Antworten bietet.
Stabiliät durch Antifragilität
Der Begriff der Antifragilität geht auf Nassim Taleb zurück. Der Finanzmathematiker schreibt in seinem Buch Der Schwarze Schwan von höchst unwahrscheinlichen Ereignissen, die dennoch eintreten und unser Leben gehörig durcheinander würfeln. In den letzten Jahrzehnten scheinen sich solche vermeintlich unvorhersehrbaren Ereignisse mit weitläufigen Folgen zu häufen, wenn wir an 9/11, Staatspleiten, Börsencrashs und jetzt die Zoonose mit Covid-19 denken.
Taleb unterscheidet drei Haltungen zum Umgang mit solchen Ereignissen, die sich gut anhand aktueller Beispiele erläutern lassen:
Fragil: Beispielsweise ein Musiker, der nur ein Geschäftsmodell verfolgt.
Robust: Beispielsweise ein Bildungsträger, der über viele Trainer/innen verfügt, mit großen Firmen zusammenarbeitet und in der Krise in Hauruck-Aktionen all seine Trainings auf online umstellen konnte.
Antifragil: Beispielsweise eine Gaststätte, die normalerweise einen Mittagsbrunch anbietet und sich in der Krise ein Catering-Auto besorgt, um Firmen in der Mittagspause zu beliefern. Oder wir nehmen nochmal den Musiker, der sowohl in Bands auftritt als auch als Studiomusiker arbeitet und im zweiten Fall in der Krise gefragter ist als jemals zuvor. Oder den Trainingsanbieter, der sowohl kleinere Gruppen in Präsenz mit Hygienekonzept anbietet als auch Online-Trainings als Massenveranstaltung.
Grundsätzliche Regeln der Antifragilität
Sind Unternehmen zu groß, zu einseitig oder werden streng-hierarchisch geführt, sind sie zwar robust, in der Regel jedoch nicht sonderlich flexibel. Wir kennen hierzu den bildhaften Vergleich vom großen Tanker und dem kleinen wendigen Schiff. Ein großes Bildungsunternehmen kann in seiner Robustheit weiteragieren. Das funktioniert allerdings nur, weil es von einem Markt abhängig ist, der ebenso robust aufgestellt ist, in diesem Fall die Kooperationspartner. Ein Unternehmen, das von den Wirren des Markts abhängig ist, sollte sich entsprechend flexibler aufstellen. Das bedeutet konkret, sein Angebot zu verbreitern und diejenigen Angebote zu forcieren, die funktionieren und die anderen wieder aufgeben.
Die Angst vor einem Scheitern oder einem zeitweiligen Chaos sollte hinten anstehen. Auch aus Fehlern zu lernen macht langfristig antifragil. Das wiederum erfordert die Bereitschaft in Unternehmen, Befugnisse abzugeben. Warum nicht die Mitarbeiter/innen wie Bienen auf der Suche nach einem neuen Nestplatz ausschwärmen und verschiedene Plattformen und Onlinetools ausprobieren lassen? Sagen wir einen Monat lang. Wildbienen tanzen anschließend in einem Schwänzeltanz vor, was sie erlebt haben. Die Mitarbeiter/innen können berichten, was funktioniert hat und was nicht. Ein Monat lang Kakophonie und Chaos, eine Menge Erfahrungen und anschließend die Einigung auf die besten virtuellen Tools. Top-down ist bestenfalls robust, bottom-up ist bestenfalls antifragil.
Antifragile Strategien
Dies klingt freilich leichter als getan. Schauen wir uns daher einige Strategien an, um langfristig Ihre Antifragilität zu erhöhen – persönlich oder in Ihrem Team und Unternehmen:
Selbstvergiftung: Fehler zu machen wie im Falle der Online-Tools-Testungen erinnert an das Antidotum Mithridatium, einer Antifragilität durch dauerhafte, leichte Vergiftung. Der Namensgeber Mithridates VI, König von Pontos, Kleinasien, 132 vor Christus nahm stetig ein wenig Gift zu sich, um sich zu immunisieren. Tatsächlich schlug ein Mordanschlag auf ihn wegen der stetigen Selbstvergiftung fehl. Wer in seinem Leben bereits viele schwierige Zeiten erlebte, immunisiert sich gegen Krisen. Wir sollten schwierigen Situationen also nicht aus dem Weg gehen, sondern sie begrüßen und daraus lernen.
Erhöhung der Wachsamkeit: Der Begriff Hormesis geht in dieselbe Richtung: Eine kleine Dosis einer ansonsten giftigen Substanz. Ein wenig Kaffee oder Wein beispielsweise führen zu einer positiven Wirkung. Ein kleiner Fehler macht uns wach und zeigt uns, was passieren könnte, wenn wir nicht aufpassen. Fehler lassen sich jedoch selten wirklich herausfordern. Stattdessen passieren sie einfach oder werden in Kauf genommen. In diesem Sinne können auch in der Krise immer wieder Testballons sinnvoll sein. Der zuvor angesprochene Catering-Wagen kann einen durchschlagenden Erfolg haben oder auch nicht. Er muss ja nicht gleich gekauft werden. Und vielleicht bieten sich Kooperationen an. Schule könnte im Freien stattfinden. Fitnessstudios bieten ebenfalls Gerätetrainings an der frischen Luft an. Autokinos verzeichneten nicht gerade einen durchschlagenden Erfolg. Aber einen Versuch war es wert. Theater probieren neue Gamification-Konzepte aus, indem Sie den virtuellen Besucher/innen vorab Briefe und Bastelmodelle zur Vorbereitung schicken und sie während der späteren Online-Veranstaltung aktiv einbinden. Manche Konzepte werden später wieder verworfen werden. Andere jedoch werden bleiben und damit die Immunität gegen jede weitere Krise erhöhen.
An die Grenze gehen: An die eigenen Grenzen können wir beispielsweise im Fitnessstudio gehen, um unserem Körper die Nachricht zu übermitteln: Nächstes Mal wird noch eine Schippe drauf gepackt. Als freiberuflicher Autor kann ich noch einen und noch einen Artikel schreiben, ein E-Book oder Buch schreiben oder ein Audiobook aufnehmen. Es gibt hier keine Grenze. Die agile Grenzenlosigkeit zeigt mir, sofern es nicht ganz unsinnig ist, was ich mache, dass ich mir selbst Grenzen setzen muss, um nicht auszubrennen.
Ressourcenerhaltung: Ressourcenerhaltung heißt auf dem vorhandenen Level zu bleiben. Habe ich die Grenzen eines gesunden Arbeitens erkannt, kann ich auf diesem Niveau verharren.
Umgang mit Feedback: Damit komplexe, organische Systeme (Firmen genauso wie einzelne Menschen) wachsen und damit ihre Antifragilität und sich selbst in ihrer Umwelt weiter entwickeln, brauchen Sie Feedback bzw. Informationen aus dem Umfeld. Ein Feedback ist niemals gut oder schlecht, sondern immer als wertvolle Information zu betrachten, um meine Angebote zu verfeinern. Wird das Catering-Angebot abgelehnt, kann es am Kontext liegen, am Unternehmen, an der Werbung oder am Angebot. Je konkreter und detaillierter eine Rückmeldung ist, desto wertvoller. Unterschiedliche Organismen reagieren dabei unterschiedlich auf Stressoren:
Robuste Organismen gehen in Gegenwehr oder verfolgen ein Mehr-vom-Gleichen-Muster.
Fragile Organismen ziehen sich zurück, stellen sich tot oder sterben aus.
Antifragile Organismen interpretieren Stressoren als Hinweise zu einer Weiterentwicklung. Sie wechseln vom Mehr-vom-Gleichen- zum Warum-nicht-mal-was-anderes?-Muster.
Bewegung und Anpassung: Nicht-Bewegung, Nicht-Reaktion führt langfristig zu Muskelschwund. Altern in dem Sinne ist ein falsch verstandener Prozess der Fehlanpassung. Wir werden älter, passen uns jedoch der Umwelt falsch an, indem wir Medikamente nehmen statt mehr Sport zu treiben. In Japan, dem Land von Qigong und TaiChi, sind alte Menschen wesentlich beweglicher. Einem älteren japanischen Menschen fällt es leicht, sich mit seinem gesamten Körper umzudrehen, um nach einer Tasse hinter ihm zu greifen. Sie können dies selbst einmal ausprobieren. Die meisten Menschen in unseren Breitengraden haben bereits ab 40 Probleme damit, den Kopf nach hinten zu drehen. Nach einem Jahr im Homeoffice wird sich dies nicht unbedingt verbessert haben.
Das Short-Sharp-Shock-Prinzip: Wir lernen am besten durch kurze, schnelle Schocks – Aha-Effekte oder kritische Lebensereignisse – und darauf folgende Phasen der Erholung. Langanhaltende Stressoren höhlen uns dagegen aus. Auch das sehen wir in der aktuellen Krise. Während die Kreativität im ersten Lockdown wahnwitzige Höhen erreichte – Masken wurden genäht, Hygienekonzepte erstellt, Wegmarkierungen aufgemalt, an Digitalstrategien gebastelt – wird seit Beginn des Jahres 2021 von vielen Menschen berichtet, dass die Luft draußen ist. Die Menschen haben kapiert, dass sie sich anders aufstellen müssen, sowohl im privaten Bereich als auch im beruflichen. Sie passten sich adaptiv an. Nun befinden sie sich in einer Dauerschleife. Nach der hyperagilen Frühlingsphase, dem genussvollen Sommer und dem reflexiven Herbst kam der Winter. Nun heißt es Einbunkern und die Ereignisse verdauen. Welche Geschäftsideen aus 2020 waren wirklich erfolgreich und welche nicht?
Das Use-it-or-loose-it-Prinzip: Für Maschinen gilt das Use-it-and-loose-it-Prinzip. Eine Nutzung nutzt sie ab. Für Organismen gilt das Use-it-or-loose-it-Prinzip. Organismen altern, wenn sie nicht gebraucht werden. Wir sollten uns daher gut überlegen, was wir am Laufen halten sollten und auf was wir verzichten können. Manche Künstler beispielsweise haben derzeit Angst, nach Monaten der Pause wieder einzusteigen. Sie befürchten, ihre Fähigkeiten zu verlernen. Mit Recht. Als Seminarleiter nahm ich unter anderem Lern-Videos auf, um im Fluss zu bleiben und nicht einzurosten. Es ist also wichtig, weiterzukochen, weiterzuüben, Podcasts aufzunehmen und in Kontakt zu bleiben.
Jeder Organismus besteht aus einem Teil Fragilität, Robustheit und Antifragilität. Auf die Robustheit können wir uns verlassen. Doch erst durch das Scheitern des fragilen Teils ist der Rest antifragil und kann sich evolutionär weiterentwickeln:
Unumgängliche Trennungen: Es kann sein, dass einzelne Abteilungen abgestoßen werden müssen, um andere zu retten. Dies ist meist schmerzhaft und dennoch in vielen Situationen unumgänglich.
Erhöhung des Bewusstseins: Durch die Atomkatastrophe in Fukushima erhöhte sich das Bewusstsein für die Risiken der Atomkraft und veränderte gleichzeitig die Wahrnehmung für die restlichen Bereiche.
Es geht hier nicht darum, reflexhaft die rosarote Brille aufzusetzen, sondern sich den ganzheitlichen, antifragilen Nutzen vor Augen zu führen, der entsteht, wenn Systeme in Unordnung gebracht werden. Krisen sind in der Regel im ersten Moment Gift, ein Schock, eine negative Rückmeldung. Auf Distanz betrachtet führen alle zu einer langfristig höheren Antifragilität.
Von der aktuellen Reaktivität zur zukünftigen Stabilität
Auf der Basis dieser theoretischen Ausführungen haben Sie nun die Möglichkeit, den Dreiklang aus Agilität, Reagilität und Stabilität für sich selbst gedanklich durchzuspielen:
1 Die Gegenwartsanalyse
Blicken wir zuerst in die Gegenwart:
Worauf müssen Sie reagieren?
Welche kreativen Maßnahmen haben Sie bislang aus dem Hut gezaubert?
Was lernen Sie aus dem kurzen, harten Schock der Krise?
Was sagt Ihnen das aktuelle Feedback aus Ihrer Umwelt?
2 Ressourcen aus der Vergangenheit
Schauen wir uns nun an, welche Ressourcen aus der Vergangenheit Sie bislang resilient oder antifragil machten:
Welche Krisen haben Sie bereits gemeistert?
Auf welche Menschen konnten Sie sich bislang verlassen?
Welche Sinn konnten Sie bisher aus Ihrer Tätigkeit ziehen?
Was gibt Ihnen sonst noch Kraft und Energie?
Welche Stärken bringen Sie aus der Vergangenheit mit?
Welche Schwächen machen Sie sympathisch?
3 Ressourcen in der Gegenwart
Blicken wir nun auf die Ressourcen in der Gegenwart. Krisen haben es so an sich, dass manche Beziehungen und Sinnhaftigkeiten durcheinander gewürfelt werden:
Auf welche Ressourcen oder Personen können Sie sich nicht mehr verlassen?
Welche Ressourcen sollten Sie sich auf jeden Fall erhalten?
Welche Ressourcen oder Personen, auf die Sie sich verlassen können, kamen neu hinzu?
Wäre es hilfreich, aktiv auf die Suche nach neuen Ressourcen oder Personen zu gehen? Wenn ja, wie könnte diese Suche aussehen?
Welche Stärken, Kompetenzen oder Fähigkeiten sollten Sie ausbauen oder neu hinzu gewinnen?
4 Meine Aufstellung in der Zukunft
Nun folgt der Blick in die Zukunft:
Was könnte in der Zukunft noch auf Sie zukommen?
Welche Szenarien, die sich bereits beruflich oder privat anbahnen, können sich wie weiterentwickeln?
Welche vorausgreifend agilen Ideen haben Sie, um sich gut darauf vorzubereiten und nicht wieder reagieren zu müssen?
5 Aktuelle Handlungsmöglichkeiten
Schauen wir uns zu guter Letzt Ihre konkreten Handlungsmöglichkeiten an:
Welche Ziele leiten Sie von Ihren Ideen für die Zukunft ab?
Empfinden Sie diese Ziele als sinnvoll für sich?
Welche Stärken, Ressourcen und Unterstützer können Ihnen auf dem Weg zur Ihren Zielen helfen?
Was können Sie konkret unternehmen, um sowohl in der aktuellen Krise zu überleben als auch langfristig gut zu leben?
Inwiefern können Sie sich aktuell selbst vergiften, um für die Zukunft gewappnet zu sein?
Inwiefern können Sie Ihre Wachsamkeit bezüglich Krisen durch Frühwarnsysteme erhöhen?
Wo liegt Ihre Grenze des Machbaren?
Wie weit können Sie diese Grenze im Sinne einer Antifragilität ausdehmen? Wofür könnte das sinnvoll sein?
Wie lange können Sie diese Grenze überschreiten?
Ab wann wird es gesundheitlich riskant?
Machen Sie nun aus Ihren Zielen und sonstigen Erkenntnissen ein oder mehrere Projekte und leiten davon konkrete, nächste Handlungsschritte ab.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Die Prinzipien des Stoizismus sind die vielleicht relevantesten und praktischsten Regeln für Unternehmer, Selbstständige, Freiberufler, Schriftsteller und Künstler. Aber auch Mitarbeiter/innen im Homeoffice können enorm davon profitieren. Um diesen Ansatz geht es im heutigen Beitrag der Bunker-Chroniken von Michael Hübler:Mit Stoizismus durch Krisenzeiten
Prinzipien des Stoizismus
Der Stoizismus hat seinen Ursprung im antiken Griechenland und erstreckt sich seitdem über fast sechs Jahrhunderte. Seine wichtigsten Vertreter sind Seneca, Epiktet und Mark Aurel.
Schauen wir uns moderne Techniken aus dem Zeit- und Selbstmanagement oder Achtsamkeitspraktiken an, haben sie hier ihren Ursprung, sind jedoch als Haltung wesentlich radikaler, als das, was wir normalerweise als Methode kennen.
Der Verlust eines Angehörigen oder Freundes, eine unheilbare Krankheit, ein traumatisches Erlebnis, Krisen, Arbeitslosigkeit oder Insolvenz sind Schicksalsschläge, die uns mitten im Leben treffen und sich in unseren Weg zum Glück stellen. Müssen wir nun mit unserem Schicksal hadern? Oder können wir uns wehren? Ist unser Schicksal unabdingbar oder müssen wir uns nur mehr anstrengen im Leben?
Die meisten Philosophien oder Lebensmaximen tendieren dazu, sich mehr anzustrengen und sein Schicksal in die Hand zu nehmen. Diese Denkweise ist tief in unsere kapitalistische Welt verankert. Mache mehr vom Gleichen und du wirst Erfolg haben und damit auch glücklich werden. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied, wie es im sogenannten “pursuit of happiness” der Vereinigten Staaten heißt.
Der Stoizismus hingegen predigt eine Philosophie des Loslassens, Minimalismus und Essentialismus, und passt damit als Sehnsuchtsmodell ideal in die heutige Zeit. Es gibt eben nicht nur den Mainstream des agilen Höher, Schneller, Weiter. Sondern auch – nicht zuletzt durch das Gewahrwerden der Umweltkrise – die Gegenbewegung der Reduzierung auf das Wesentliche. Wir müssen nicht immer mehr haben, um glücklich zu werden. Oftmals macht uns ein Weniger von allem glücklicher.
Der Stoizismus kann hierzu wichtige innere Haltungen vermitteln, die weit über eine Entschlackung von Gütern hinausgehen. Im Stoizismus geht es auch um die kritische Betrachtung belastender Beziehungen oder einen reflektierten Umgang mit schwierigen Situationen. Der Stoizismus hilft dabei, Schicksalsschläge zu akzeptieren und zu überwinden. Er ist daher eine geradezu therapeutische Philosophie. Ein Stoiker erträgt sein Los, ohne zu klagen oder andere Menschen für sein Leiden verantwortlich zu machen.
Vom Stoiker Epiktet, einem ehemaligen Sklaven, ist eine Geschichte überliefert, die dieses Ertragen auf den Punkt bringt: Eines Tages vertrieb sich sein Herr die Zeit damit, ihm sein Bein mit einem Folterinstrument zu verdrehen. Epiktet warnte ihn in ruhigem Ton vor dem Risiko, ihm das Bein zu brechen, worauf er nicht mehr voll leistungsfähig sein würde. Der Herr wollte nicht hören und das Bein brach tatsächlich. Vielleicht ist dies auch nur eine besonders drastische Anekdote. Dennoch verdeutlicht sie, worauf es im Stoizismus geht. Es wäre weltfremd zu behaupten, Epiktet hätte nicht gelitten oder keine Schmerzen gehabt. Er betrachtete die Situation jedoch ganz nüchtern, da sein Herr sich am Ende mindestens ebenso schadete.
Eine ähnliche Geschichte gibt es über einen Mann, dessen Sohn vom Pferd fiel und sich ein Bein brach. Die Dorfbewohner bemitleideten ihn. Er jedoch sagte: “Hört auf. Wer weiß wozu es gut ist.” Wenige Wochen später brach ein Krieg aus und alle jungen Männer wurden eingezogen – bis auf den Sohn mit dem gebrochenen Bein.
Der Stoizismus definiert Glück durch ein Negativ, das heißt durch die Abwesenheit von Leiden, Zorn, Gier, Neid, übertriebenen Sehnsüchten oder Maßlosigkeit. Wir können heutzutage beinahe alles haben. Wir haben unendliche Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung. Und sollen diese Möglichkeiten auch nutzen, suggerieren uns die Werbung und der Vergleich mit anderen Menschen in den digitalen Medien. Glücklich macht es uns jedoch meistens nicht. Stattdessen machen sich Müdigkeit, Unzufriedenheit und Unausgeglichenheit breit. Der Stoizismus ist jedoch keine reine Philosophie des Verzichts, er verfolgt lediglich einen reduzierten Weg zum Glück.
Stoisch durch Krisenzeiten
Eine Krise wie Corona, Arbeitslosigkeit, der Tod eines geliebten Menschen oder ein Auftrag, der mir vor der Nase weggeschnappt wurde, weil ich zu teuer war, sind alles Ereignisse, die ich nicht beeinflussen kann. Das Problem an unserer Zeit ist jedoch, dass wir dank dem Internet sehr viel wissen oder zu wissen glauben, uns sehr viel mit anderen Menschen vergleichen und dennoch kaum einen Einfluss auf die Welt haben. Wir können unsere Familie, Freunde, Arbeitskollegen oder Nachbarn beeinflussen. Die große Weltpolitik jedoch nicht, selbst wenn wir täglich 100 Nachrichten auf Twitter absetzen. Auch wenn wir insgeheim glauben, wir würden damit andere Menschen beeinflussen, ist es den meisten von uns nicht vergönnt, große Influencer zu sein.
Epiktet betonte, dass es wichtig sei, zu unterscheiden, worauf wir einen Einfluss haben und worauf nicht: „Was wir beeinflussen können, das sind unsere Auffassungen, unser Verlangen, unsere Abneigungen – also Akte unseres Geistes. Was wir nicht beeinflussen können, das ist unser Körper oder unser Ansehen.“ Sofern wir etwas nicht beeinflussen können, ist es müßig, sich darüber aufzuregen. Die gesamte stoische Ethik dreht sich daher um den reflektierten Gebrauch unserer Vernunft, die es uns ermöglicht, vor allem in stressigen Situationen die Selbstkontrolle zu behalten. Können wir jedoch etwas beeinflussen, sollten wir dies auch tun. Es wird also nicht, wie manchmal fälschlicherweise überliefert, jeder Schicksalsschlag stoisch hingenommen und erduldet.
Um dies zu erreichen, gibt es im Stoizismus vier zentrale Prinzipien:
Die wachsame Achtsamkeit achtet darauf, im Moment präsent zu sein, um zu realisieren, was gerade um mich herum und in mir drin passiert, um gute Entscheidungen fällen zu können.
Mit Unerschütterlichkeit werden Schicksalsschläge hingenommen, die sich nicht mehr ändern lassen.
Selbstdisziplin hilft, Emotionen wahrzunehmen, ohne von ihnen vereinnahmt zu werden.
Mit Selbstreflexivität wird der Einfluss auf mich durchleuchtet, um die eigenen Handlungsmöglichkeiten auszuloten.
Stoische Achtsamkeit
Das griechische “prosoché” bedeutet Aufmerksamkeit, Wachsamkeit, Wachheit oder Achtsamkeit. Es geht darum, mit wachen Augen durch die Welt zu gehen, sich auf den Augenblick einzulassen, in aktuellen Aufgaben bei der Sache zu sein und sich nicht ablenken zu lassen.
Die Achtsamkeit im gegenwärtigen Moment ist eine wichtige Voraussetzung für den Umgang mit negativen Gefühlen. Ängste und Sorgen entstehen durch eine zu starke Verschiebung des Fokus in die Zukunft. Ich schaffe es dann nicht mehr, mich auf aktuelle Herausforderungen zu konzentrieren. Achtsamkeit im gegenwärtigen Moment ist auch notwendig, um nicht von einer aufkeimenden Wut überwältigt zu werden. Es ist nicht möglich, Wut zu unterdrücken. Ich kann jedoch lernen, sie bewusst wahrzunehmen und zu kontrollieren, bevor sie mich übermannt.
Die stoische Achtsamkeit verfolgt dabei zwei Zielrichtungen: Sie ist einerseits nach innen auf die Selbstwahrnehmung gerichtet – vor allem auf Veränderungen der eigenen Gedanken und Gefühlswelt – und andererseits nach außen auf das momentane Geschehen und den Umgang mit den Mitmenschen. Dies setzt ein gewisses Maß an Distanz zu sich selbst voraus. Ich sollte also in der Lage sein, mich selbst von außen ohne Vorurteile kritisch wahrzunehmen.
Unerschütterlichkeit gegenüber den Widrigkeiten des Lebens
Der Begriff “stoisch” ist mit einer Vielzahl von Vorurteilen behaftet. Ein Stoiker ist kein emotionsloser Mensch. Er ist nicht unsensibel oder abgestumpft. Er gibt sich seinen Gefühlen jedoch nicht so hin wie manch andere, sondern sortiert in seinem Gehirn, ob es in diesem Fall sinnvoll ist, sich zu ärgern. Es kann durchaus rational sein, seinen Verstand als Fan bei einem Fußballspiel zu verlieren, weil es Spaß macht, mit den Kollegen wie ein 6-Jähriger auszuflippen. Es ist jedoch sinnlos, in einem Auto zu sitzen und auf die anderen lahmen Schnecken zu schimpfen, während vorne die Ampel auf Rot steht.
Jede Emotion kann sinnvoll sein. Wut aktiviert uns. Sie kann uns jedoch auch blind machen. Freude verbindet die Menschen miteinander. Sie kann uns jedoch auch naiv machen. Streng genommen ist es auch wenig sinnvoll, wegen einer Kündigung oder einem verpassten Geschäft zu trauern. Die Emotionslogik der Trauer sagt uns: Es ist gut zu trauern, um eine Situation abzuhaken und damit loslassen zu können. Diese emotionale Logik kannten die alten Stoiker noch nicht. Dann jedoch ist es genauso wichtig, nach einer Trauerphase wieder nach vorne zu blicken.
Die Stoiker betrachten also Zorn, Hass, Neid, Gier oder Angst als eine Gefährdung ihrer Seelenruhe. Nur wer seine Affekte im Griff hat, wird glücklich. Das Ziel besteht jedoch nicht im Unterdrücken jeglicher Emotionen. Wenn ich im Straßenverkehr als Fußgänger angehupt werde, weil ich unachtsam auf die Straße gelaufen bin, lässt mich das wieder “aufwachen”. Hier ist Angst sinnvoll. Selbst davor Angst zu haben, nach einer Kündigung nie wieder einen Job zu bekommen, kann sinnvoll sein, wenn mich die Angst motiviert, mich bei möglichst vielen Firmen vorzustellen. Die Angst kann mich jedoch auch lähmen. Dann ist sie hinderlich.
Der Stoiker strebt stattdessen eine Grundstimmung an, ein stoisches Bei-sich-sein, eine Seelenruhe, Gemütsruhe, Selbstzufriedenheit, Genügsamkeit oder Grundachtsamkeit – das griechische Ataraxia. Am besten suchen Sie selbst nach einem guten Begriff, der ausdrückt, wie es Ihnen geht, wenn Sie mit sich im Reinen sind. Während die meisten Menschen heutzutage ständig aktiv und rastlos sind, zeigt sich der Stoiker ruhig und unerschütterlich. Dazu müssen vor allem die Affekte unter Kontrolle gebracht und die sinnlosen von den sinnvollen Emotionen unterschieden werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt im Umgang mit Widrigkeiten ist die Akzeptanz von Fehlern. Du kannst Monate oder sogar Jahre an einem Produkt tüfteln, nur um zu sehen, dass es letztlich niemanden interessiert. Ich selbst bin seit 15 Jahren selbstständig und kann wahrlich nicht behaupten, dass jedes Projekt aus all diesen Jahren erfolgreich war. Ein Trainer in meiner Coaching-Ausbildung sagte dazu einmal etwas, das ich über all die Jahre nicht vergessen habe: „Wir machen viele Dinge nicht, um sofort Erfolg zu haben.
Stattdessen ist alles eine Kette verschiedener Ereignisse, die in der Rückschau einen Sinn ergeben. Wir sollten jedoch lernen, dies auch in der Vorausschau so zu sehen. Damit lassen sich gescheitere Projekte viel leichter als Teil des Lebens betrachten.“ Das erste Buch, das du schreibst, will niemand lesen. Doch damit erarbeitest du dir die Fähigkeiten, ein zweites zu schreiben usw. Oder etwas martialischer: Der Kampf ist vielleicht verloren. Aber der Krieg ist noch lange nicht vorbei.
Selbstbestimmtes Urteilsvermögen
Die stoische Grundhaltung der Autarkie, nach einem heutigen Verständnis von Selbstständigkeit und Selbstbestimmung, führt ebenso leicht zu Missverständnissen. Autarkie bedeutet nicht, dass dem Stoiker die Ansichten anderer egal sind. Wir sollten die Meinungen anderer Menschen anhören. Denn zu einer ausgewogenen Situationsanalyse gehört die Berücksichtigung unseres Umfelds. Wir sollten jedoch die Meinungen anderer niemals ungeprüft übernehmen oder uns von den Ansichten anderer abhängig machen, indem wir uns uns bei anderen Menschen anbiedern. Dies ist gerade in den digitalen Medien schwierig, wenn der soziale Druck entsteht, sich einer herrschenden Meinung anzuschließen. Umso wichtiger ist es, sich diesen Druck bewusst zu machen und sich eine eigene kritische Rationalität zu bewahren.
Der Stoiker strebt daher zuallererst seine eigene, innere Ausgeglichenheit an. Liebe, Anerkennung oder Status sind ihm nicht so wichtig. Doch genau diese Lossagung von sozialen Erwünschtheiten führt langfristig zu tragenderen, sozialen Begegnungen als eine Orientierung an sozialen Interessen.
Da sich soziale Erwünschtheiten auch in unseren inneren Mustern, Maximen und Gewohnheiten widerspiegeln, verlangt die Autarkeia nicht nur Unabhängigkeit von den Meinungen anderer, sondern ermutigt auch zur stetigen Hinterfragung der eigenen Prinzipien und deren Sinnhaftigkeit. Ein Stoiker wird daher nie an starren Ideologien und fundamentalistischen Ansichten festhalten.
Maßvolle Selbstdisziplin
Der Stoiker nimmt auch nicht alles hin, wie uns der Begriff der Apathie nahelegen will. Er lässt sich nicht demütigen oder siecht dahin, wenn er krank ist. Er denkt nach, tut, was in seiner Macht steht und ruft einen Arzt oder macht seinen Standpunkt klar. Und er ärgert sich jedoch nicht darüber, wenn der Arzt im Schneesturm stecken bleibt oder seine Argumente nicht verstanden werden.
Apatheia als eine weitere stoische Grundhaltung beruht auf Selbstdisziplin und Mäßigung. Der Stoiker ist kein Asket, hält jedoch in allem, was er tut, Maß. Er genießt sein Leben, es sollte jedoch nicht in eine Völlerei ausarten. Der Stoiker isst sozusagen nur die halbe Tafel Schokolade oder den halben Schweinshaxen. Er trinkt am Abend genussvoll ein Bier, jedoch keine zwei. In der Arbeit ist es genauso. In der Corona-Krise lässt er sich von Freizeitbeschränkungen nicht seine gute Laune verderben. Dann genießt er eben die Wanderung im Umland, statt nach Mallorca zu fliegen. Auch seine Arbeit sollte ihm Spaß machen. Er ist jedoch nicht arbeitssüchtig.
Stoiker gehen Aufgaben und Projekte nicht mit zu viel Leidenschaft an. Das Leben ist kein 100-Meter-Lauf, sondern ein Marathon. Wir sollten uns unsere Kräfte gut einteilen. In unserer hektischen Zeit habe ich allerdings das Gefühl, dass alles immer schneller werden muss. In einer globalisierten Welt müssen wir ständig schneller sein als die Konkurrenz. Aus „The winner takes it all“ wurde in den letzten Jahren „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. Dass dieses Prinzip in der digitalen Welt eine Gültigkeit hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Es ist ja tatsächlich so, dass derjenige, der sein Produkt am schnellsten auf den Markt bringt, die Konkurrenz abhängt. Die Videoplattform Zoom liefert dazu ein aktuelles Beispiel. Es stellt sich nur die Frage, ob wir hier immer und jederzeit mitmachen wollen und wo unsere persönlichen Grenzen sind.
Auch hier beißt sich der Stoizismus mit dem Zeitgeist. Heutzutage scheinen maßvolle Gefühle aus der Zeit gefallen zu sein. Wir sollten unser Leben in vollen Zügen genießen. Jeder Urlaub muss zum Abenteuer werden. Ein Auto ist kein fahrbarer Untersatz mehr, sondern ein Zeichen eines Lebensstils. Und der Job sollte sowieso der Traumjob sein. Dass die Realität für viele Menschen anders aussieht, macht diese neuzeitlichen Maximen umso bedrückender. Hätten wir die Erlaubnis, einfach unser Leben zu leben und auch mit kleinen Dingen zufrieden zu sein, jenseits des neuesten Smartphones und einem Fernseher, von dem wir kaum wissen, wie er aufgrund seiner Größe in unsere Wohnung kommen soll, wären wir vermutlich glücklicher.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Anlässlich des Welttag des Buches möchten wir Ihnen heute das Team von metropolitan einmal vorstellen.
Wie vor drei Jahren hätten wir gerne wieder einmal die Türen für die tolle Aktion “Verlage besuchen” geöffnet, doch selbst ein virtueller Rundgang würde einen traurigen Blick auf verlassene Schreibtische gewähren, da sämtliche Verlagsmitarbeiter im Homeoffice sitzen.
metropolitan Team Vorstellung
Trotzdem ist es an der Zeit, Ihnen die kreativen Köpfe, die hinter der Marke metropolitan stecken, vorzustellen: Nikoline Kullmann, Sylvia Gelinek, Andreas Karl, Oliver Hums und Melanie Krieger
Natürlich kommen die eigentlichen Protagonisten des Verlags, die Autorinnen und Autoren mit ihren tollen Büchern nicht zu kurz.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Und auch im Jahr 2021 geht es weiter mit den Bunker-Chroniken, denn auch wenn wir es uns zu Beginn der Pandemie niemals hätten vorstellen können, bestimmt Corona nach wie vor unser tägliches Leben – beruflich wie privat.
Im heutigen Beitrag der Bunker-Chroniken beschäftigt sich Michael Hübler mit dem Konzept der Salutogenese und dem wichtigen Bestandteil der Kohärenz. Wie uns das Bewusstwerden und Entwickeln eines Gefühls von Kohärenz helfen, uns in schwierigen Situationen nicht komplett ausgeliefert zu fühlen, erfahren Sie hier.
Mit Kohärenz durch Krisenzeiten
Kohärenz als Teil der Salutogenese
Eine gesundheitsförderliche Führung setzt an den Potenzialen und Ressourcen von Mitarbeiter/innen an und ist mit dem Konzept der Salutogenese eng verknüpft. Das Wort “Salutogenese” setzt sich aus “salus” (lat. für Gesundheit, Glück oder Heil) und “genesis” (griech. für Entwicklung und Entstehung) zusammen und zeigt einen Paradigmenwechsel von einer Defizit- zur Ressourcenorientierung der Mitarbeiter:innen, ihren Stärken und kreativen Ideen. Dabei geht es nicht darum, negative Situationen oder Konflikte naiv auszublenden, sondern um eine Verschiebung von “Reparaturarbeiten” zur Prävention, von einer negativen Sicht auf Situationen zu einem kraftvollen Optimismus.
Als ein wichtiger Ausgangspunkt für das Konzept der Salutogenese gilt eine Studie des israelisch-amerikanischen Medizinsoziologen Aaron Antonovsky. Antonovsky stellte bei überlebenden Frauen aus Konzentrationslagern fest, dass erstaunlicherweise etwa 30 Prozent der befragten Frauen das KZ gesundheitlich und psychisch relativ gut überstanden. Die Bewältigung dieser enormen Stressbelastung meisterten sie mit etwas, das Antonovsky als Kohärenzgefühl bezeichnete. Kohärenz bedeutet wörtlich übersetzt “Zusammenhang”. In einem tieferen Sinn lässt sich der Begriff auch mit einem roten Faden im Leben beschreiben. Unter einem Kohärenzgefühl verstehen wir seitdem ein optimistisches Selbstbild der Handlungs- und Bewältigungsfähigkeit eines Menschen trotz aller Widrigkeiten und Rückschläge im Leben.
Es geht einher mit der Gewissheit, sich einer Situation nicht komplett ausgeliefert zu fühlen, sondern sich selbst und die eigenen Lebensbedingungen steuern und gestalten zu können. Auch wenn die Frauen eingesperrt waren und schlimme Dinge erlebt hatten, hatten die Aufseher keinen Zugriff auf den Geist der Insassinnen. Sie bauten sozusagen einen mentalen Schutzmantel um sich herum, auf den niemand außer ihnen einen Zugriff hatte. Gleichzeitig sahen sie ihr Leben als Kontinuum: Egal, was passiert, ich werde das Beste daraus machen und auch diese negativen Erfahrungen in mein Leben einbinden.
Das Kohärenzempfinden zeigt uns also, wie ein Mensch mit Herausforderungen und Schwierigkeiten im Leben zurecht kommt. Je ausgeprägter diese Überzeugungen sind, umso besser kommt er mit seinen Aufgaben zurecht, ohne die Schuld auf andere zu schieben. Auch wenn die Auslöser von persönlichem Stress meist im Umfeld zu finden sind, lassen sich kohärente Menschen davon nicht so sehr beeindrucken, dass sie handlungsunfähig werden. Menschen mit einem hohen Kohärenzgefühl machen sozusagen das, was möglich ist, ohne zu klagen. Sie suchen nach Auswegen und Schlupflöchern, in denen sie weiterhin frei agieren können.
Komponenten des Gefühls der Kohärenz
1. Verstehbarkeit von Kohärenz
Um das eigene Gefühl für Kohärenz zu steigern, sollte ich verstehen, was um mich herum passiert, warum dies so ist und welche Auswirkungen dies auf mich und meine Emotionen hat. Selbst einen tätlichen Angriff, einen Unfall oder eine Kündigung lässt sich logisch erklären. Gleiches gilt für die gedankliche, emotional-körperliche Reaktion und wird dadurch begreifbar. Es ist emotional-logisch, dass wir in einer Krise Angst haben oder wütend werden, wenn wir eine Situation als ungerecht empfinden.
Wir sollten folglich zuerst die systemischen Zusammenhänge und Hintergründe einer schwierigen Situation verstehen lernen. Wenn ich beispielsweise in der Corona-Krise als Restaurantbesitzer unter den Maßnahmen zur Eindämmung des Virus leide, kann ich versuchen nachzuvollziehen, warum Politiker/innen handeln wie sie handeln.
Unter Ärger beziehungsweise wenn ich leide, liegt es nahe, die Schuld auf andere zu schieben. Und natürlich tragen andere Menschen oftmals dazu bei, dass wir persönlich leiden. Bei einer Kündigung lässt sich die Frage stellen, ob mein Unternehmen schlecht gewirtschaftet oder geplant hat. Und während die Chefs eventuell noch Boni kassieren, bevor ein Unternehmen veräußert wird, werde ich vielleicht entlassen. Selbst in solchen Situationen ist es jedoch wichtig, die Situation zuerst einmal zu verstehen, auch wenn ich für die Handlungen anderer Menschen kein Verständnis haben muss. Ich kann also das, was mich stresst, schlecht finden und die Beweggründe der Menschen um mich herum kritisieren und dennoch verstehen, warum die Situation so ist wie sie ist.
Gleichzeitig kann ich verstehen, warum ich emotional reagiere wie ich reagiere und mir die Frage stellen, ob ich mit mir selbst zufrieden bin. Ich muss mich nicht darüber ärgern, Angst zu haben, wütend zu werden oder enttäuscht zu sein, kann mich allerdings fragen, ob ich nach einem ersten Anflug von Angst, Wut oder Enttäuschung dabei bleiben will und ob mich meine emotionalen Reaktionen wirklich weiterbringen.
2. Handhabbarkeit und Selbstkompetenzerfahrung
Nachdem ich sowohl die Situation verstehe, also auch meine emotionale Reaktion darauf, geht es nun darum, zu ergründen, welche Möglichkeiten ich konkret habe, Aufgaben und Anforderungen zu lösen: Ich weiß, was ich tun kann, kenne meine Stärken und Schwächen, Ressourcen, Kontakte, Chancen und Risiken. Ich weiß, wen in meinem Netzwerk ich zur Not fragen kann.
Menschen mit einem hohen Kohärenzempfinden fühlen sich vom Leben und den Ereignissen nicht in eine Opferrolle gedrängt oder dauerhaft benachteiligt. Wenn unangenehme Dinge passieren, sind sie in der Lage, sich darauf einzustellen und sich neu zu orientieren, teilweise sogar ihr gesamtes Leben neu zu definieren, anstatt mit ihrem Schicksal zu hadern. Sie stellen sich letztlich eine essentielle Frage: “Egal, wie schlimm die Umstände auch sind … Was kann ich selbst tun, um die Situation für mich ein klein wenig zu verbessern?”
3. Sinnhaftigkeit
Mit der Sinnhaftigkeit machen wir uns auf die Suche nach dem Sinn eines Rückschlags oder einer Krise. Welche Rolle spielt ein Hindernis in meinem Leben? Gibt es dahinter einen tieferen Sinn und Zweck? Inwiefern lässt sich eine schwierige Situation in mein Leben integrieren? Wie werde ich in drei Jahren in der Rückschau auf diese Situation blicken? Zwang mich eine Krise vielleicht sogar dazu, mein Leben in eine positive Richtung zu verändern?
Stecken wir mitten drin in einer Krise, ist es meist schwer, einen tieferen Sinn dahinter zu erkennen. Im Nachhinein liegt dieser häufig auf der Hand. Verliere ich meinen Job, zwingt mich dies zu einer Neuorientierung und zur Aneignung neuer Kompetenzen. Werde ich kritisiert, zwingt mich dies, an meiner Standhaftigkeit und Schlagfertigkeit zu arbeiten.
Auch hier muss ich nicht naiv aus jedem Rückschlag einen Sinn ziehen. Dies wäre in manchen Situationen geradezu zynisch. Doch selbst im Umgang mit einem toxischen Chef oder Mitarbeiter geht es nicht nur darum, diesen schnellstmöglich loszuwerden, sondern auch und vor allem darum, wie ich dies erreiche und welche Fähigkeiten ich dazu brauche, gut mit der Situation umzugehen, um Kollateralschäden möglichst gering zu halten. Es geht also auch hier darum, die eigenen Kompetenzen zu erweitern.
Wie sich das eigene Gefühl von Kohärenz steigern lässt
Diese drei Komponenten eines wachstumsorientierten Umgangs mit stressigen Situationen und der Steigerung von Kohärenz lassen sich durchaus erlernen.
Verstehbarkeit lässt sich trainieren, indem wir hinter die Beweggründe von Menschen und auf soziale Dynamiken blicken. Es gibt immer wieder Situationen, die wir aus unserer Sicht heraus nicht verstehen, aus der Sicht anderer jedoch schon. Eine Führungskraft handelt anders als seine Mitarbeiter/innen. Frauen handeln oft anders als Männer, Kinder anders als Erwachsene. Eine Führungskraft beispielsweise geht in der Regel diplomatisch vor, da sie sich gegenüber mehreren Seiten zu rechtfertigen hat. Sie muss das Topmanagement, Shareholder, Kunden, ihre Kollegen und Kolleginnen im Führungszirkel und die Mitarbeiter/innen im Blick haben. Sie nimmt eine Langzeit- und Kurzzeitperspektive ein. Ebenso weiß sie auch mehr als ihre Mitarbeiter/innen.
Dies verändert logischerweise ihre Entscheidungen und Handlungen. Wenn ich das verstehe, kann ich mich als Mitarbeiter/in immer noch darüber ärgern, dass mir bestimmte Informationen über eine geplante Reorganisationsmaßnahme nicht mitgeteilt wurden. Ich kann dies jedoch zumindest aus der Sicht meiner Führungskraft nachvollziehen. Das Zurückhalten von Informationen ist dann keine Lüge oder kein böser Wille mehr, sondern Diplomatie vor dem Hintergrund einer betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit.
Mit dieser neuen Information kann ich mich nun selbst betrachten und mich fragen, wie ich mit diesem neuen Verstehen umgehen will und welche Anliegen ich dennoch habe:
Was ist mir trotz Verstehbarkeit wichtig?
Wofür trage ich persönlich eine Verantwortung?
Welche Verantwortung liegt bei meinem Gegenüber?
Worauf habe ich ein Recht?
Was muss ich mit mir selbst ausmachen?
Was tue ich entsprechend, um meine Bedürfnisse für mich oder im Kontakt mit anderen zu erfüllen und zu meinem Recht zu kommen?
Damit sind wir bereits mit einem Bein bei der Handhabbarkeit angekommen, zumal die Verstehbarkeit und Regulation der Emotionen eng mit einer neuen Handlungsstrategie zusammen hängen. Was kann ich also konkret tun, um mich als handlungsmächtig zu empfinden? Welche Forderungen kann ich verlangen? Welche unberechtigte Anforderungen an mich sollte ich auf eine souveräne Art zurückweisen?
Das Gefühl der Handhabbarkeit besteht bestenfalls aus einem dauerhaften Wechsel zwischen einer leichten Überforderung und der entsprechenden Erweiterung der persönlichen Kompetenzen, das unser Wachstum kennzeichnet.
Zur Klärung persönlicher Stärken und Schwächen eignet sich gut die SWOT-Analyse (Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken beziehungsweise Strenghs, Weaknesses, Opportunities und Threads):
Stärken: Auf welche eigenen Kompetenzen und Stärken kann ich mich verlassen? Welche Ressourcen helfen mir, beispielsweise Wissen und Erfahrungen?
Schwächen: Was wird schwierig? Welche Kompetenzen, welches Wissen und welche Erfahrungen fehlen mir, um die Situation zu meistern?
Chancen: Welche Chancen ergeben sich in der Situation?
Risiken: Was kommt wahrscheinlich an Schwierigkeiten auf mich zu?
Stärken und Chancen: Welche Stärken könnte ich ausbauen, um Chancen besser zu nutzen?
Schwächen zu Stärken machen: Welche Schwächen lassen sich in Stärken verwandeln, um Chancen besser zu nutzen?
Stärken und Risiken: Welche wichtigen Hinweise teilen mir mein Befürchtungen mit? Wie lassen sich vorhandene Stärken nutzen, um Risiken zu verringern?
Schwächen und Risiken: Welche Schwächen sollte ich abbauen, um vorhandene Risiken zu vermindern?
Auch den Sinn hinter schwierigen Situationen zu erkennen, lässt sich trainieren. Oftmals zeigt uns der Blick in die Vergangenheit, dass unser Leben durch Höhen und Tiefen bestimmt ist. Im Moment des Erlebens fühlen wir uns logischerweise bei einer Höhe, wie einer Beförderung oder einen tollen Geschäftsabschlusses, super. Wir haben ein Ziel erreicht, auf das wir lange Jahre hinarbeiteten. Dies zu erreichen ist jedoch nur möglich, wenn wir anhand von Tiefschlägen und unserem Umgang damit lernen und uns weiterentwickeln. Wenn Sie wollen, zeichnen Sie auf einer Zeitlinie alle Höhe- und Tiefpunkte der letzten zehn bis 20 Jahre ihres Lebens ein. Stellen Sie sich für die Höhepunkte die Frage, was diese ermöglicht hat und für die Tiefpunkte, was Sie daraus gelernt haben.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Und auch im Jahr 2021 geht es weiter mit den Bunker-Chroniken, denn auch wenn wir es uns zu Beginn der Pandemie niemals hätten vorstellen können, bestimmt Corona nach wie vor unser tägliches Leben – beruflich wie privat.
Das ewige Hin und Her der Corona-Maßnahmen, zwischen Lockdown, ersten Lockerungen, Impfchaos und nächsten Lockdown, führt bei vielen Menschen mittlerweile zu gesundheitlichen Einschränkungen, denn die Nerven liegen blank und fehlende Perspektiven trüben die Stimmung. Einen Weg aus persönlichen Krisen könnte die Traditionelle Chinesische Medizin weisen, die auf fünf zentralen Elementen fußt. Was es damit auf sich hat, behandelt der heutige Beitrag der Bunker-Chroniken!
Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) – die fünf Elemente
Vor ein paar Tagen erzählte mir eine gute Bekannte von ihrem Aufenthalt in einer TCM-Klinik. Sie berichtete, dass es aktuell eine große Zahl von Leberproblemen gibt. Offensichtlich führten die Corona-Maßnahmen bei vielen Menschen zu einem Energiestau, der schwer abzubauen ist, wenn das Leben still steht. Dieser Satz weckte meine Neugier. Und da die Traditionelle Chinesische Medizin auf einer sehr alten und weisen Philosophie beruht, reizte es mich, mich in deren Hintergründe zu vertiefen.
Wer sich im Internet umschaut, findet eine Menge 5-Elemente-Coachings. Die Einschätzung, welcher Typ ich bin, ist freilich nicht so wissenschaftlich validiert wie die Big 5-Dimensionen oder das System der DISG-Typen. Zum einen ist dies evtl. gar nicht möglich, weil ein solches System eher erfühl- als messbar ist. Zum anderen ist es aus meiner Sicht auch nicht nötig, wenn sie lediglich als Gedankenanstoß dienen. Wird ein solches Coaching nicht allzu ernst genommen, sondern lediglich als Orientierung für schwierige Situationen oder als Metapher zum Nachdenken genutzt , kann meines Erachtens wenig schief gehen.
Das Problem an der Esoterik ist nicht, dass das darin vermittelte Wissen falsch wäre, sondern dass die Informationen genutzt werden, als würde es sich dabei um das Wissen aus einem naturwissenschaftlichen Labor handeln. Gieße ich zwei Stoffe zusammen und es macht “Bumm!”, weiß ich, wie viel Milliliter ich von dem einen und dem anderen Stoff brauche, um zu einem Bumm zu kommen. Esoterisches Wissen ist jedoch unscharf, weil es sich mit unscharfen Phänomenen auseinandersetzt. Der Mensch, seine Psyche und sein Verhalten lassen sich nur bedingt berechnen und vorhersagen. Es lassen sich lediglich Wahrscheinlichkeiten bestimmen.
In diesem Sinne dienen auch die folgenden Aussagen über die fünf Elemente aus der TCM als Reflexionsansatz über sich selbst, was wir später in den Kontext von Veränderungsphasen übertragen werden:
Ein Holz-Typ gilt als Pionier. Er bahnt neue Wege, bringt Dinge in Bewegung, ist neugierig und engagiert.
Ein Feuer-Typ übernimmt die Führung, überschreitet Grenzen, testet sich in der Rolle, die er in der Welt einnehmen möchte gerne aus, begeistert andere Menschen, ist herzlich, offen und direkt.
Einem Erde-Typ sind Stabilität, Sicherheit, Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit wichtig. Er hat seinen Platz in der Welt gefunden, was man ihm auch anmerkt. Während die Holz- und Feuer-Typen zwar mitreißend sind, aber auch unruhig wirken können, strahlt ein geerdeter Typ Ruhe aus.
Ein Metall-Typ agiert häufig als Lehrer oder Mentor. Er zeichnet sich durch eine innere Klarheit und Struktur aus bzw. reflektiert, verfeinert und optimiert Prozesse. Und er lässt anderen den Raum zur Entwicklung.
Der Wasser-Typ wird geprägt von einer inneren Berater. Er lässt den Dingen ihren Lauf und blickt wohlwollend auf ihren Fluss. Wenn er gefragt wird, steht er beratend zur Seite. Wenn nicht, ist das auch in Ordnung.
Diese Typen bezeichnen Tendenzen. In meiner langjährigen Karriere als Coach habe ich es noch nie erlebt, dass ein Mensch nur einen Typen in Reinkultur verkörpert. In der Regel, so ist dies auch in vielen anderen Persönlichkeitstypologien, werden wir von einem Typen am stärksten geprägt. Wir fangen zum Beispiel als Holz-Typ schnell Feuer, reißen als feuriger Typ andere mit, lassen uns als geerdeter Typ selten aus der Ruhe bringen, sind als metallischer Typ eher nachdenklich oder stehen als wässriger Typ über den Dingen. Andere Typen können jedoch insbesondere in Phasen von Stress, Veränderungen und Krisen ebenso zum Tragen kommen. Oder aber unser Haupttyp erscheint in normalen Phasen in einem positiven Licht und tendiert in Krisenzeiten zu extremen Ausformungen:
So könnte ein Holz-Typ unter Stress ständig neue Projekte anfangen, ohne etwas zu Ende zu bringen.
Ein Feuer-Typ wird diktatorisch und überfährt damit seine Kolleg:innen im Team.
Ein geerdeter Typ ist sich seiner Sache zu sicher und verpasst dabei, sich auf die neue Situation einzustellen.
Bei einem metallischen Typen wird das Reflektieren zu einem Dauergrübeln.
Ein wässriger Typ redet sich die Welt schön und verfällt in Lethargie.
Die fünf Elemente im Kontext von Veränderungen
Die fünf Elemente lassen sich zudem fünf Wandlungsphasen zuordnen, die wir nicht nur in den Jahreszeiten, sondern auch in der Entwicklung eines Menschen oder im Rahmen eines Projekts wiederfinden. Holz steht für Frühling oder den Beginn eines Projekts. Feuer steht für Sommer oder das Aufgehen in der Arbeit. Erde steht für den Spätsommer und damit für gesättigte Erkenntnisse. Metall steht für den Herbst oder die Erntephase und den Erfolg. Und das Wasser steht für den Winter und die Erholung.
Im chinesischen Weltbild spielen Zyklen eine große Rolle. Die alten Chinesen waren gute Beobachter und erkannten in den kosmischen Kreisläufen oder den Jahreszeiten Muster, die sie auf den Menschen übertrugen. Im alten China ging man davon aus, dass sich die fünf Wandlungsphasen in der gesamten Natur, im Makro- und Mikrokosmos widerspiegeln. Wir finden in jedem Tag, Monat, Jahr, aber auch in unserer gesamten Lebensspanne den Kreislauf von Entstehen, Aktivität, Reife, Ruhe und Loslassen.
Schauen wir uns die Elemente genauer an:
Holz
Die Wandlungsphase Holz wird in der chinesischen Medizin der Jahreszeit Frühling zugeordnet. Sie ist eine Zeit des Aufbruchs, des Neubeginns und des Wachstums. Der Frühling ist eine kurze und schnelle Jahreszeit, genau wie der frühe Morgen und die Kindheit. Die Holzphase wird gestärkt durch Gelassenheit, Tatkraft, das Vertrauen in sich und andere Menschen und ab und an auch durch eine gute Portion jugendlicher Naivität.
Feuer
Die Wandlungsphase Feuer entspricht in der TCM dem Sommer. Im Sommer drängt es uns nach draußen. Die Sonne weckt unsere Lebensgeister und unsere Lebensfreude. Feuer ist die Phase der Leidenschaft. Wir lassen uns mitreißen und können Feuer und Flamme sein – für andere Menschen oder auch ein spannendes Projekt. Die Feuerphase wird gestärkt durchFreude, Begeisterungsfähigkeit, Lebendigkeit und Herzlichkeit.
Erde
Das Element Erde nimmt in der Traditionellen Chinesischen Medizin eine besondere Stellung ein. Zwischen dem Sommer und Herbst kommt der Hochsommer. Die Hitze zwingt uns zur Langsamkeit. Das Element Erde symbolisiert unsere Mitte – oder den Boxenstopp in einem Projekt – und die Fähigkeit, sich auf der Welt, in diesem Körper oder in einem Team zu verorten und bestenfalls wohl zu fühlen. Ich weiß, was ich kann und fühle mich gut dabei. Die Erdephase wird gestärkt durch die innere Klarheit, welche Rolle ich in der Welt oder einem Team spiele und die Bereitschaft, von sich und anderen Menschen zu lernen.
Metall
Die Metallphase bietet uns eine weitere Möglichkeit der Reflexion an, jedoch weniger eine Statusanalyse, sondern mehr als Reflexion der Vergangenheit gedacht. In der Natur kommt nach der üppigen Zeit des Wachstums und Reifens eine Zeit des Innehaltens. Der Herbst beginnt und somit die Phase der inneren Einkehr und Rückschau – auf den Tag, das Jahr, das Leben oder ein gescheitertes Projekt. Wir holen die Zeit der Ernte unseres Lebens ein und sortieren uns neu. Was hat funktioniert? Was eher nicht? Und woran lag das? Die Metallphase wird gestärkt durch Reflexivität, Zuversicht und Optimismus.
Wasser
Das Element Wasser steht in der TCM für den Winter. Es ist die Zeit der Ruhe, des scheinbaren Stillstands und der inneren Einkehr. Es wird nicht einmal mehr reflektiert, sondern losgelassen. Alles ist erledigt. Alles ist auch ohne mein Zutun im Fluss. Das Tagewerk ist getan und ich kann mich vollkommen entspannen und neue Kräfte tanken, bevor der Kreislauf von neuem startet. Die Wasserphase wird gestärkt durch das Selbstvertrauen loszulassen, Vergeben, Verzeihen und die Dankbarkeit dafür, was funktioniert hat – trotz schwieriger Umstände.
Zusammenhänge zwischen den Wandlungsphasen
Die Wandlungsphasen hängen jedoch, das ist ein wichtiges Prinzip der 5 Elemente, miteinander zusammen. Besser noch: Sie bauen aufeinander auf. Nur wenn der Start erfolgreich gemeistert wird, kann ich begeistert sein. Erst wenn ich begeistert war, darf ich sesshaft werden. Nur wenn ich sesshaft wurde, kann ich reflektieren und entspannen. Erst wenn ich reflektiere, kann ich loslassen und wieder ein neues Projekt beginnen.
Es wird also nicht nur die Energie aus der einen Phase in die nächste übertragen. Das Holz nährt das Feuer. Aus Feuer entsteht Asche, welche der Erde entspricht. Aus der Erde wird Metall gewonnen. Metall nährt das Wasser durch Mineralstoffe. Und das Wasser spendet dem Holz Energie, damit es wachsen kann und schließt den Kreislauf. Es kann auch zu einem Energiestau kommen, wenn eine Phase nicht zufriedenstellend abgeschlossen wurde. Und damit sind wir beim Thema der Krise angekommen.
Der Energiestau in der Leber, den ich zu Beginn angesprochen habe, hängt damit zusammen, dass Planungen aufgrund des Lockdowns nicht umgesetzt werden konnten. Als nach dem ersten Lockdown 2020 die ersten Öffnungen kamen, befanden sich viele Betroffene in einer Holzphase. Das Leben wurde unterbrochen und musste neu gestartet werden. Hotel-, Cafe- und Restaurantbesitzer dachten sich Hygienekonzepte aus. Theater dachten sich neue Formate aus. Coaches, Mediator:innen und Trainer:innen erforschten die Möglichkeiten von Online-Begleitungen. Anschließend begann die Umsetzungsphase.
Das hatte aus meiner Wahrnehmung durchaus etwas von einem Feuer, als würden sie sagen: “Endlich geht wieder etwas. Lasst es uns versuchen! Lasst uns die Chancen erkennen!” Die Musiker:innen im Konzertsaal vergrößerten die Abstände zueinander und bekamen dadurch neue Erkenntnisse. Die Musiker:innen lernten dadurch, besser aufeinander zu hören. In Online-Trainings geht vieles nicht, während anderes sogar besser geht. Als Trainer fiel es mir oft schwer, mir die Namen meiner Teilnehmer:innen zu merken. Online ist das kein Thema mehr. Dennoch lassen sich im Kontext der 5 Elemente bzw. Wandlungsphasen derzeit drei Problem-Komplexe erkennen:
Dauerfeuer: Musiker:innen oder Trainer:innen beispielsweise befinden sich zum Teil in einem “Dauerfeuer”-Zustand, da niemand weiß, wie es mittelfristig weitergeht. Soll ich nun doch wieder Präsenz-Termine ausmachen? Finden im Sommer wieder Konzerte statt? Vielleicht als Open-Air? Das Element der Erde und damit Stabilität und Sicherheit ist noch nicht abzusehen. Kurzum: Diejenigen, für die trotz Krise “a bisserl was” geht, pendeln beständig zwischen Holz und Feuer. Das geht laut TCM auf Dauer auf das Herz auf den Dünndarm.
Energiestau: Diejenigen wiederum, die komplett in der Luft hängen, das heißt Fitnessstudio-, Restaurant-, Cafehaus-, Hotelbesitzer, usw. wurden aus der kurzen Feuerphase im Herbst 2020 wieder in die Erdephase zurückgeworfen. Das wirkt auf Dauer frustierend, deprimierend und führt bei vielen Menschen zu dem bereits erwähnten Energiestau, der langfristig zu Leberproblemen führen kann.
Fehlende Erholung: Während die beiden Elemente Holz und Feuer offensichtlich überstark bedient werden, kommen die Menschen nicht zu anderen Elemente. Die Erde würde zu Stabilität führen, Metall zu Ruhe und Reflexion. Wasser zu Loslassen. Entsprechend fühlt sich die aktuelle Zeit für viele Menschen rast- und ruhelos an. Interessant ist auch, mit welchen Metaphern die Menschen derzeit unterwegs sind: Das Wasser steht ihnen bis zum Hals. Sie bekommen keine Luft mehr. Wir befinden uns noch mehr als sonst in einem Rattenrennen.
Wird also ein Element nicht abgeschlossen, bekomme ich nicht nur Probleme mit dem nächsten Element, sondern auch Probleme durch den Energiestau im vorhergehenden. Ich befinde mich damit in einer Dauerschleife. Der Körper strebt nach dem nächsten Schritt. Es ist ihm jedoch aufgrund der äußeren Bedingungen nicht erlaubt, diesen zu gehen.
Wird ein Element im Übermaß bedient oder gelebt, kommt es zu Überreaktionen. Das Kraftvolle in chinesischen Philosophien ist die reichhaltige Bilder- und Metaphernwelt. In der Natur lässt zu viel Hitze Böden austrocknen. Zu viel Regen weicht die Erde auf und hinterässt ein Schlammfeld, auf dem nichts mehr wächst. Aus einem dünnen Zweig lässt sich kein großes Feuer machen. Metall wiederum könnte rosten, wenn es zu schnell, das heißt ohne Veredelung in Berührung mit Wasser kommt.
Eine Disbalance innerhalb des Kreislaufs, ein Energiestau, eine mangelhafte Achtung und Erfüllung einer Phase oder ein hektisches Springen zwischen Phasen, können sich negativ auf das gesamte System auswirken. Die fünf Elemente sollten jedoch nicht als streng statisches System verstanden werden, sondern stehen miteinander in einer ständigen Balance. Alles andere wäre dogmatisch. Wenn ich aufgrund einer Störung merke, dass ich eine Phase übersprungen oder ungenügend bedient habe, kann ich durchaus “zurückgehen”, um mich dieser Phase nachträglich zu widmen und damit frei zu sein, die darauf folgenden Phasen optimaler zu nutzen. Ich kann also auch Probleme in einzelnen Phasen als Signal nutzen, um herauszufinden, wo etwas fehlt:
Bin ich wenig begeistert von einer Aufgabe, bietet es sich an, einen Schritt zurückzugehen, und mir die Frage zu stellen: War die Wachstumsphase lange genug? Sollte ich mir mehr Zeit lassen?
Fehlt mir in einem Projekt Stabilität und Klarheit, könnte es auch daran liegen, dass es zuvor keine euphorische, lebendige und neugierige Sturm- und Drang-Phase gabe, in der viele Möglichkeiten ausprobiert wurde. Vielleicht sollten wir etwas Paradoxes tun und anstatt nach Stabilität zu suchen einen Schritt zurückgehen, um erst im übernächsten Schritt Klarheit zu erlangen.
Fällt es uns schwer, zur Ruhe zu kommen, könnte dies daran liegen, dass wir das Gefühl haben, noch nicht alles ausprobiert zu haben, was möglich ist oder noch keine Stabilität erreicht haben, also nicht wissen, wann es genug ist. Ein typisches Thema von Selbstständigen und in Krisenzeiten ein Dauerthema. Es kann also sein, dass wir nicht nur eine Phase, sondern zwei Phasen zurückgehen müssen, um uns selbst die Erlaubnis geben zu können, uns zu entspannen.
Haben wir schließlich Schwierigkeiten damit, loszulassen, im Beruf oder privat, könnte es daran liegen, nicht genügend Abenteuer im Leben erlebt zu haben, das Gefühl zu haben, seinen Kindern nicht genug beigebracht zu haben, oder die Angst davor, nicht mehr wichtig zu sein und damit über keine innere Reife und Stabilität zu verfügen. In diesem Fall müssen wir drei Phasen zurückgehen, um uns selbst schließlich die innere Erlaubnis zu geben, mit etwas abzuschließen.
Tatsächlich berichtete meine eingangs erwähnte Bekannte davon, dass TCM-Kliniken normalerweise etwa drei Wochen benötigen, damit sich Patient:innen von Stress regenerieren. Aktuell dauert es jedoch eher sechs Wochen, weil man mehr Phasen berücksichtigen muss.
Die Wandlungsphasen vermitteln uns eine Orientierung und werden damit zu einem Kompass im Leben, wenn wir Probleme bekommen oder Schwierigkeiten im Beruf, mit einer Aufgabe oder in einem Projekt haben. Dabei lassen durchaus körperliche Probleme wie Rast- und Schlaflosigkeit, Erschöpfung oder Müdigkeit auf den Stand einer Tätigkeit übertragen. Auch für diese müssen wir fit sein. Sie kann uns begeistern oder langweilen. Wir können uns damit wohl und kompetent fühlen oder überfordert. Wir können an Tätigkeiten wachsen, wenn wir uns Gedanken darüber machen, was eine Aufgabe mit uns zu tun hat und was wir daraus lernen können. Oder wir hetzen schnellstens zur nächsten oberflächlichen Herausforderung. Dann jedoch fällt es uns schwer, zur Ruhe zu kommen und zufrieden auf ein erfülltes Leben oder ein erfolgreiches Projekt zurück zu blicken.
Sie können also, wenn Sie das Gefühl haben, dass es in einem Projekt stockt oder Sie selbst Probleme mit einem Energiestau, Gereiztheit, Erschöpfung oder Müdigkeit zu tun haben, mit den fünf Elementen spielerisch auf Problemsuche gehen, um in dem ein oder anderen Fall auf überraschende Erkenntnisse zur Lösung des Problems und damit langfristig zu einer besseren inneren Balance zu kommen.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Viele erinnern sich noch an Rudi, unseren metropolitan–Osterhasen, der sich bereits im letzten Jahr hervorragend um die Bestückung der Osternester für Bücher-Freunde gekümmert hat.
In diesem Jahr hat sich Rudi aber noch Verstärkung geholt, nämlich Schnuffel und Keks, sozusagen die Generation Z an metropolitan-Osterhasen. Schließlich wird das Programm immer umfangreicher und daraus eine gute Auswahl zu treffen, ist nicht leicht.
Kein Wunder also, dass die beiden Azubis Unterstützung vom erfahrenen Osterhasen Rudi brauchen.
Zusammen haben sie es aber geschafft und sich für einen besonderen Titel entschieden. Was glaubt ihr? Welches Buch legen die metropolitan-Osterhasen er wohl am liebsten ins Nest?
Dafür müsst ihr nur unseren Kanal liken und im Kommentar das richtige Buch erwähnen. Dann nehmt ihr teil. Der/die Gewinner/in darf sich sein/ihr Lieblingsbuch aus dem Korb aussuchen.
Hier das Video:
Teilnahmebedingungen
Die Teilnahmebedingungen zu unseren Gewinnspiel findet ihr hier:
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Und auch im Jahr 2021 geht es weiter mit den Bunker-Chroniken, denn auch wenn wir es uns zu Beginn der Pandemie niemals hätten vorstellen können, bestimmt Corona nach wie vor unser tägliches Leben – beruflich wie privat.
Im ersten Teil dieser zweiteiligen Reihe ging es darum, dass uns ein kurzfristiger Stress durchaus gut tut, ein langfristiger Krisenmodus jedoch sehr zermürbend für unsere Gesundheit und unser immunsystem ist. Wenn also die dauerhafte Anspannung zwischen dem, was ich will und dem, was ich darf, zu Depressionen oder Wutausbrüchen führt, keine Auflösung in Sicht ist, der Sinn mancher Maßnahmen persönlich nicht ersichtlich ist und die Reserven aufgebraucht sind, weil das Ganze schon so lange andauert, was kann ich dann für mich tun? Darum geht es im heutigen Teil der Bunker-Chroniken!
Teil 2: Mit mehr Selbstverantwortung und Mikroabenteuern die Gesundheit verbessern
Resilienz auf Sicht
Die Antwort liegt dort draußen. Während zu Beginn der Krise Maßnahmen eher übererfüllt wurden, um nichts zu riskieren, ist zu beobachten, dass das Pendel mittlerweile in die Gegenrichtung ausgeschlagen hat. Wer im Grünen wandelt, sieht wieder mehr Menschen ohne Maske spazierengehen. Auch kleine Grüppchen sind wieder vermehrt unterwegs.
Es scheint so, als würden diese Menschen ihr Gummiband im Rahmen der Verordnungen wenigstens für ein paar Stunden in der Sonne entspannen und damit ihr Resilienz-Reservoire wieder auffüllen. Andere trainierten benahe den ganzen Winter durch an Fitnessgeräten im Freien. Auch die Jogger nehmen wieder zu, je schöner das Wetter wird.
Dies mag für Menschen, die gerade um ihre Existenz bangen, zynisch klingen. Dennoch ist es vielleicht die einzige Möglichkeit, wenigstens für ein paar Stunden dem Grübeln zu entkommen und den eigenen Stresslevel herunter zu regulieren. Vielleicht kennen Sie den Spruch „Gott gebe mir die Kraft, Dinge zu ändern, die ich ändern kann; die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann und die Weisheit, das eine von dem anderen zu unterscheiden”, ursprünglich verfasst von dem Theologen Friedrich Christoph Oetinger. Damit werden keine Probleme gelöst. Aber es fördert wenigstens die eigene Gesundheit und stärkt das Immunsystem, indem es Freiheiten dort nutzt, wo sie möglich sind.
Gesundheit in Selbstverantwortung
Als Coach wird mir von einer enormen digitalen Verdichtung der Arbeitszeiten berichtet. Eine Videokonferenz jagt die nächste. Die Befürchtung mancher Führungskräfte, dass die Mitarbeiter/innen zu Hause abschlaffen, hat sich nicht bewahrheitet. Die Anspannung hat stattdessen zugenommen. Genauso wie die Maßnahmenregeln von der Mehrzahl der Menschen eher übererfüllt wurden, will auch die Mehrzahl der Mitarbeiter/innen im Homeoffice alles richtig machen und geht eher den Weg der Übererfüllung.
Das Über-Ich als Moralinstanz scheint auch über die Ferne mächtiger zu sein als viele dachten. Braucht es da noch einen smarten “Big Brother” als Kontrollinstanz, der die Anwesehnheit über die Distanz überwacht? Dies ist gut für das Vertrauen in die Mitarbeiter/innen, jedoch schlecht für jede/n Einzelne/n. Fällt das Regulativ der sozialen Kontrolle weg, muss sich jeder Mensch selbst um seine innere Balance und Gesundheit kümmern. Während bei Menschen, die sich derzeit in einer prekären, finanziellen Situation befinden, das Gummiband nach einem Jahr ausgeleiert ist, ist das Band bei manchen Menschen in Lohn und Brot bis zum Reißen angespannt.
Eine im März und April 2020 über die Weiterbildungsplattform Udemy durchgeführte Studie ergab, dass sich seit Beginn der Pandemie bei über 40 Prozent der Befragten der geistige Gesundheitszustand verschlechterte. Entsprechend schnellte der Bedarf an Themen wie Achtsamkeit und Resilienz in die Höhe. Ausgehend von den teilweise vierstelligen Prozentwerten, um die sich die Nutzung von Kursen zu den Themen Umgang mit Angst und Nervosität, Stressbewältigung und Resilienz auf Lernplattformen erhöhte, ließ sich zumindest aktuell von einer exponentiellen Entwicklung sprechen.
Dabei befinden wir uns unternehmerisch in einer paradoxen Situation. Das Thema Gesundheit, insbesondere im psychischen Bereich, nahm bereits vor Corona stetig an Bedeutung zu. Früher galt es im Berufsleben als Tabuthema. Körperlich krank zu sein war erlaubt. Aber psychisch? Im Mai 2019 erkannte die WHO Burnout offiziell als Krankheit an, bedingt durch unbewältigten Stress am Arbeitsplatz. Seitdem gehen viele Unternehmen die Ursachen dieses Krankheitsbildes an. Mittlerweile bekommen einerseits psychische Krankheiten wesentlich mehr Aufmerksamkeit. Andererseits gerät auch die Wirkung einer guten Atmosphäre in Unternehmen immer mehr in den Fokus. Dies zeigt sich deutlich am Interesse an allem, was mit New Work und Feelgood Management zu tun hat.
Eine positive Atmosphäre wird also in Zukunft vor allem in Großraumbüros eine wichtig Rolle spielen, wenn New Work und Feelgood Management ernst genommen werden. Was jedoch machen wir mit den Menschen im Homeoffice?
In den angesprochenen Studien gab die Mehrzahl der Mitarbeiter/innen an, sich lieber von einem Algorithmus in Gesundheitsfragen beraten zu lassen, als sich der eigenen Führungskraft anzuvertrauen. Diese Aussage könnten wir erschreckend finden. Oder auch nachvollziehbar. Eine Führungskraft ist kein Yogalehrer, keine Fitnesstrainerin, kein Live-Coach und keine Resilienzberaterin. Die Trennung zwischen Privatem und Beruflichem, zwischem Sachfragen und persönlichen Themen, kommt nicht von ungefähr. Auch wenn eine Verquickung sinnvoll und menschlich ist, sollte eine Führungskraft jederzeit ihre Grenzen kennen. Und wer weiß, ob die Offenbarung einer gesundheitlichen Schwäche Mitarbeiter/innen nicht zum Nachteil gerät?
Fakt ist auch: Die Nachfrage nach Therapien nahm in der Krise sprunghaft zu. Die Mehrfachbelastung durch die virtuelle Arbeit, Homeschooling und Zukunftsängsten führt negativ betrachtet zu einem psychoneuroimmunologischen Teufelskreis: Wer Angst hat, erhöht das Risiko einer Ansteckung, wodurch er wiederum mehr Angst haben muss, weil er sich schwach fühlt.
Positiv betrachtet könnte genau dies zur Erhöhung der Eigenverantwortung in Gesundheitsfragen führen, ob mit einer Smartwatch, die weiß, was wir brauchen, weil sie unsere Herzfrequenz misst und Haltungsschäden erkennt, mithilfe von Coaches, Psycholog/innen und Traumatherapeut/innen oder in Eigenregie.
Die gesundheitliche Fürsorge von Führungskräften für Mitarbeiter/innen im Homeoffice besteht nun darin, genau dies im Blick zu haben: Brauchst du einen Coach, eine Psychologin, eventuell eine App als Unterstützung oder schaffst du das in Eigenverantwortung? Und warum nicht eine Gruppe bilden, in der sich die Mitarbeiter/innen gegenseitig beraten – unter Ausschluss der Führungskraft? Etwas, das bislang beim Smalltalk in der Teeküche stattfand.
Manche Führungskräfte werden dies in einem einfachen Gespräch klären können und auf ihr Bauchgefühl vertrauen. Andere werden einen Fragebogen zurate ziehen. Ein kurzer Fragebogen oder sogar eine Gesunheitsheuristik hätte den Vorteil die Peinlichkeit des Hilfebedarfs aus der gesellschaftlichen Schmuddelecke zu holen. Unternehmen würden sich damit aus der Haltung “Gelobt ist, was hart macht” verabschieden und in eine neue Ära eintreten, in der es nicht nur erlaubt, sondern angezeigt ist, sich professionelle Hilfe beim Umgang mit psychischen Belastungen zu holen.
Unternehmen sparen derzeit eine Menge Geld für ausgefallene Hotel- und Reisekosten. Warum nicht dieses Geld sinnvoll in die Gesundheit der Mitarbeiter/innen investieren, indem sie ein deutliches Zeichen setzen und einen Pool an Coaches, Psycholog/innen und Therapeut/innen aufbauen?
Mit Mikroabenteuern das Leben zurückerobern
Die Welt im Homeoffice wird bestimmt von einer extremen Überplanung des Lebens. Digitaltrainer beispielsweise empfehlen, Seminare im Fünf-Minuten-Takt zu planen: Eine schnelle Umfrage im Chat. Anschließend drei mal fünf Minuten Input. Die Arbeitsaufgaben müssen bis ins Detail beschrieben werden. Dann eine kurze Teilgruppen-Session. Zwei mal fünf Minuten reichen aus. Ich muss mich ja nicht einmal bewegen und den Raum wechseln. Anschließend checken, ob noch alle anwesend sind, auch geistig. Bitte einmal die Hand heben: Seid ihr noch alle da? Angesiedelt irgendwo zwischen Kasperletheater für Erwachsene und preußischem Perfektionismus, zwischen digitaler Infantilisierung und Arbeitsverdichtung auf einem ganz neuen Niveau: “Alles so schön bunt hier! Und bitte denkt daran, euch regelmäßig zu bewegen.” Kein Wunder, dass Führungskräfte berichten, dass Mitarbeiter/innen am Abend über Kopfschmerzen klagen, weil sie vergessen haben, Pausen zu machen und genügend zu trinken. Und nein: Damit ist nicht der Wein in der Kaffeetasse gemeint.
Jenseits von externer Hilfe ist es also gleichzeitig unabdingbar, nicht nur das arbeitsorganisatorische, sondern ebenso das gesundheitliche Selbstmanagement und die Selbstfürsorge der Mitarbeiter/innen zu stärken. Die Möglichkeiten dazu sind enorm vielfältig. Eine eher körperliche geht in Richtung Ein Gespür für den eigenen Körper bekommen: Wann brauche ich eine Pause? Und was tut mir dann gut? Sozusagen Achtsamkeitstrainings für alle Mitarbeiter/innen anbieten. Eine andere Möglichkeit geht in Richtung Mehr Egoismus wagen: Warum erlaube ich mir keine Pause? Und welche inneren Monsterchen flüstern mir ein, dass ich bis 18 Uhr durchhalten muss und erst nach draußen darf, wenn die Sonne bereits untergegangen ist?
Eine weitere Möglichkeit der Selbstfürsorge steht weniger im Zeichen eines Auftankens Ihrer Resilienz-Reserve-Kanister, sondern mehr im Zeichen eines aktiven Trainings der Dynamik Ihres Gummibands und damit einer Rückeroberung von Lebendigkeit im Leben.
Vielleicht brauchen wir dafür etwas, das vor ein paar Jahren als Mikroabenteuer propagiert wurde. Vermeintlich albern, da der Trend damals eher zu einem “Mehr vom Gleichen” ging: mehr Fernreisen, mehr Safaritouren, mehr dreiwöchige Praktika in einem südamerikanischen Slum als Statussymbol im Zeugnis einer angehenden Führungskraft.
Doch im Zuge verhinderter Fernreisen, geplatzter Praktika-Träume und dem Damokles-Schwert der drohenden Ausgangssperren, braucht es offensichtlich Abenteuer auf Sicht. Ein Mikroabenteuer ist per Definition ein kleines, spontanes, spannendes Erlebnis, das sich ohne große Planung umsetzen lässt. Während Mikroabenteuer vor der Krise dazu dienten, ohne große Vorbereitung ein wenig aus dem Alltag auszubrechen, könnten sie uns nun dazu verhelfen, die eigene Lebendigkeit in kleinen Schritten zurückzuholen, ohne mit geltenden Regeln in Konflikt zu kommen.
Wie wäre es zum Beispiel damit, auf dem Weg von der Arbeit nach Hause spontan eine U-Bahn-Station später auszusteigen und einen Stadtteil zu entdecken, den ich noch nicht kenne? Mit dem Fahrrad wild durch die Gegend zu fahren? Oder eine Landkarte ausbreiten, mit dem Finger auf eine Stelle zeigen, dorthin fahren und sich überraschen lassen? Die ewig gleiche Runde ums Haus erscheint nach einem Jahr nun doch ein wenig dröge. Oder warum nicht erst am Abend losfahren, mit der Taschenlampe im Gepäck, mit den Kindern eine kleine Nachtwanderung unternehmen und sich den Sonnenuntergang ansehen?
Als Trainer bin ich normalerweise viel in fremden Städten unterwegs und genieße die neuen Eindrücke, die mir nun fehlen. Stattdessen stieß ich in der Stadt, in der ich mittlerweile seit beinahe 20 Jahren lebe, in den letzten Monaten auf einige Ecken, die ich noch nicht kannte. Neulich entdeckte ich zudem in einem Bücherregal ein Thailändisch-Kochbuch. Anschließend gab es zwei Wochen lang täglich thailändische Küche. Zur landesgerechten Umsetzung der Rezepte entdeckte ich einen fernöstlichen Supermarkt in einem Stadtteil, in den ich sonst nur selten hinkomme. Vermeintlich unscheinbar in einem Hinterhof gelegen, im Inneren jedoch schien mich der Geruch von Koriander und Zitronengras nach weit weit weg zu transportieren. Das war freilich nicht ganz so spontan, aber dennoch spannend. Dort ließ sich nur bar bezahlen, was sich für einen Supermarkt dieser Größe fremd anfühlte.
Da Essen einkaufen derzeit am regelkonformsten ist, ist es ein Leichtes, Lebensmittelshopping-Touren zu kleinen Abenteuern zu stilisieren. Neulich hatte ich das Gefühl zuerst in Fernost zu verweilen und eine Stunde später den Nahen Osten mittels geräucherten rumänischen Karpfen, bulgarischem Räucherkäse und russischem Bier zu erkunden. Der geräucherte Echsenfisch als Knabberspaß an der Kasse ist beim nächsten Mal dran.
Eine weitere reichhaltige Quelle für Mikroabenteuer in der Nachbarschaft sind Gespräche. Mein Tipp: An einer Infotafel in der Natur stehen bleiben oder sich an einen etwas belebteren Platz auf eine Parkbank setzen und abwarten. Die Menschen (oder ihr Es) scheinen gerade ein immenses Mitteilungsbedürfnis zu haben. Meist vergehen nur wenige Minuten und es öffnet sich ein Raum für den Austausch persönlichster Geschichten. Die letzten beiden Begegnungen von mir und meiner Frau auf einem Spaziergang brachten uns innerhalb von einer Stunde Einblicke in die Erlebnisse eines Pfandflaschensammlers aus seinem früheren Leben als Restaurant-Angestellter und detaillierte Schilderungen von Artzbesuchen und einer Knie-Operation von einem über den Fürther Wiesengrund humpelnden Frührentner. Solche Begegnungen muss man freilich mögen und auch so manche politische Unkorrektheit aushalten. Während wir jedoch in der Ferne nach Ursprünglichkeit suchen, liegt die wahre Exotik oftmals näher als wir glauben.
Und wer so privilegiert ist, einen Garten zu haben, könnte diesen nicht nur zum Gärtnern nutzen, sondern auch für eine spontane Nacht im Freien oder in einer kleinen Holzhütte. Es mag kalt sein und ungemütlich. Aber genau diese Erfahrung dehnt unser Gummiband ein wenig aus und lässt es anschließend wieder entspannen.
Für die kleinen Pausen zwischendurch entdeckte ich neulich eine alte Hängematte für mein Büro. Natürlich ließe sich die Pause auch in einem Sessel verbringen. Doch alleine die Symbolkraft der Hängematte in Regenbogenfarben ist unschlagbar.
Überhaupt erscheint mir der Mensch mittlerweile in vielen Dinge zu zivilisiert und angepasst zu sein. Wir funktionieren perfekt. Selbst in vermeintlichen Freiräumen achten wir auf korrekte Verhaltensweisen. Ein Kind, das im Wald spazieren geht, zieht seine Schuhe aus, wenn es Lust dazu hat, um den Waldboden zu spüren. Wir jedoch denken daran, was andere von uns halten. Neulich waren wir mit Freunden auf einer Wanderung, als diese mitten im Wald laut losbrüllen wollten. Zuerst dachte ist: Wie spleenig. Auch mein eigenes Über-Ich funkt bei Verrücktheiten oftmals dazwischen. Aber warum eigentlich nicht? Und warum nicht vollkommen sinnlos bis zur Erschöpfung mit der Familie oder Freunden einen Berg hinaufrennen?
Selbst in unseren Urlauben waren die minimal geplanten Momente am schönsten und spannendesten. Manche Orte werden besucht, damit sie besucht wurden. Wer in Venedig nicht auf dem Markusplatz stand, war nicht in Venedig. Doch nach dem Abhaken der Sehenswürdigkeiten beginnt das Abenteuer. In den Stadtteil Cannaregio beispielsweise verirrt sich kaum ein Tourist. Stadtdessen tobt das normale Leben der Einheimischen in Restaurants an den Kanälen. Ein jüdisches Viertel dort ist ebenfalls sehenswert und transportiert einen 100 Jahre zurück in die Vergangenheit. Und während die Masse der Menschen am Strand in der Sonne schmort, kann eine Flussaufwärtswanderung, die in keinem Reiseführer steht, zu dem Abenteuer werden, über das wir uns noch Jahre später unterhalten.
Vielleicht verbirgt sich hinter diesen Gedanken die Chance, statt nach der Pandemie wieder durchzustarten und Mallorca zu überfluten, unser Reiseverhalten grundlegend zu überdenken. Ist es wirklich gesund, monatelang von 9 bis 17 Uhr zu malochen, abends ins Fitnessstudio zu hetzen oder online Poweryoga zu praktizieren und sich drei mal im Jahr im Urlaub zu erholen – nach der ersten Woche Leisure-Sickness? Brauchen wir wirklich einen Reiseanbieter, der uns zeigt, was uns gut tut? Oder entdecken wir stattdessen eine neue Qualität direkt in unserem Alltag ohne Gummiband-Effekt? Alles, was wir dazu brauchen, sind ein wenig Fantasie und Mut zu Nonkonformismus.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Und auch im Jahr 2021 geht es weiter mit den Bunker-Chroniken, denn auch wenn wir es uns zu Beginn der Pandemie niemals hätten vorstellen können, bestimmt Corona nach wie vor unser tägliches Leben – beruflich wie privat.
Heute, am 18. März jährt sich die Ansprache von Frau Merkel zur Verkündigung der kommenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens sowie der freien Berufsausübung vieler Berufsgruppen. Damit einher gehen viele Ängste vor einer Ansteckung, über drohende Arbeitslosigkeit, eine drohende oder bereits stattfindende Insolvenz bis hin zu Stress aufgrund von Isolation und Einsamkeit. Doch welche Auswirkung hat dauerhafter Stress auf unsere Gesundheit? Darum geht es im heutigen Teil der Bunker-Chroniken!
Teil 1: Die Wirkung von dauerhaftem Stress auf unsere Gesundheit
Kurzfristiger vs. Dauer-Stress
Auch wenn die Ursachen unterschiedlich sind, ist der Effekt derselbe: Angst und Stress, wofür wir nach mittlerweile einem ganzen Jahr eine Menge Durchhaltevermögen und Resilienz benötigen.
Dabei beobachten Therapeut/innen an Ihren Klient/innen zwei durchgehende Muster:
Der erste Lockdown ließ sich noch relativ gut verkraften. Die Resilienzreserven vieler Menschen sind jedoch im Zuge des zweiten Lockdowns aufgebraucht.
Wer über kein festes Einkommen verfügt, tut sich besonders im zweiten Lockdown schwer, nicht in Depressionen abzurutschen.
Nun gibt es verschiedene Aspekte für eine gute persönliche Resilienz im Umgang mit Krisen. Wir sollten
der Krise beziehungsweise den Begleitumständen der Krise eine Sinnhaftigkeit abgewinnen können,
ein klares Ziel vor Augen haben,
uns als kompetent im Umgang mit der aktuellen Situation empfinden und
uns auf andere Menschen verlassen können.
In einem überschaubaren Zeitabschnitt ist eine Krise in der Regel gut bewältigbar. In der Corona-Krise igelten sich viele Menschen zu Beginn ein. Sie genossen vielleicht die Auszeit vom alltäglichen Rattenrennen. Sie lasen ein paar Bücher, die schon lange den Nachttisch übervölkerten. Kurzfristig ist es ebenso sinnvoll ins Tun zu kommen. Hoteliers und Gaststättenbesitzer feilten an Hygienekonzepten. Dort wo es möglich war, wurden Angebote digitalisiert. Die Öffnungen im Herbst letzten Jahres brachten für Gaststätten- und Fitnesstudiobesitzer, Kulturschaffende und einige andere einen Hoffnungsschimmer. Es waren Ziele vorhanden. Andere Freiberufler entdeckten neue Handlungsfelder. Virtuelle Welten wurden als neues, spannendes Betätigungsfeld entdeckt.
Ende November folgte die Ernüchterung. Das nicht ganz unanstrengende Homeschooling ging weiter. Die Hygienekonzepte waren erst einmal obsolet. Und virtuelle Meetings sind ein nettes Spielzeug, ersetzen jedoch den menschlichen Kontakt nur unzureichend. Der kurzfristige Stress chronifizierte sich bei vielen Menschen.
Unseren Körper kurzfristig zu ärgern ist sogar laut dem Psycho-Neuro-Immunologen Christian Schubert wichtig, um unser Immunsystem zu stärken. Schubert vergleicht dies mit Kneippbädern. Unser Immunsystem wird kurzfristig “geschockt” und damit gestärkt. Wir fühlen uns im Anschluss erfrischt und wach. Anders sieht es aus, wenn wir dauerhaft in Eiswasser baden oder uns analog dazu dauerhaft psychisch gestresst fühlen. Unser Körper wird damit nicht wach, sondern langfristig geschädigt, wodurch auch Viren eine leichtere Chance haben, uns gefährlich zu werden. Wer sich hierin vertiefen möchte: Die Bücher “Gesunde Psyche” von Bannasch und Junginger oder “Was uns krank macht” von Schubert bieten hierzu einen guten Überblick.
Was also tun, wenn das Licht am Ende des Tunnels eher nach einem Zug aussieht als nach einem Ende mit Schrecken?
Resilienz ist wie ein Gummiband
Unsere Resilienz lässt sich anschaulich mit einem Gummiband vergleichen. Unter Stress wird das Band gespannt. In Entspannung entspannt sich auch das Gummi. Wird das Band, ähnlich wie unsere Muskeln, dauerhaft beansprucht, kann dies zwei Folgen haben:
Es reißt oder ist kurz davor zu reißen.
Es leiert aus.
Bei depressiven Menschen, die im letzten Monat aus Angst vor einer Ansteckung jegliche Therapie oder sogar private Kontakte abbrachen, können wir uns gut vorstellen, dass die Ängste langfristig zu einem Ausleiern des Bandes führen. Der Mensch schlafft ab und kann sich gerade noch grundversorgen. Ansonsten fehlt ihm jegliche Energie, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken.
Bei Menschen, die lautstark auf andere Menschen einbrüllen, weil diese keine Maske tragen, nicht verstanden haben, was hier läuft oder andere Verkehrsteilnehmer/innen wutentbrannt anhupen, passt das Symbol eines reißenden Gummibands. Einige Menschen befinden sich offensichtlich dauerhaft in einem Zustand auf der Kippe. Mark Twain sagte einmal: “Der Wahnsinn hält sie bei Verstand.”
Die innere Zerrissenheit zwischen Moral und Bedürfnissen
Zur Erklärung, was dabei psychisch in uns abläuft, ist die Psychoanalyse hilfreich. Laut Freud wird unsere Psyche durch ein Zusammenspiel aus Über-Ich, Es und Ich bestimmt:
Unser Es verspürt das Bedürfnis, sich sicher zu fühlen.
Das Über-Ich, das sich in diesem Fall aus internalisierten Moralvorstellungen aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung des Virus speist, gibt uns vor, was wir zu tun oder besser noch zu lassen haben.
Unser Ich schließlich sucht den Sinn hinter all dem, vermittelt zwischen Es und Über-Ich und setzt unser Denken möglichst kompetent in Handlungen um.
In uns findet folglich seit einem Jahr ein innerer Kampf statt, vor allem in jungen Menschen beziehungsweise Kindern, die es möglichst richtig machen wollen. Unsere Moralvorstellungen sagen uns, wie wir andere Menschen nicht gefährden, indem wir Abstand halten, unsere Hände waschen und Masken tragen. Unser Ich überträgt die (AHA-) Regeln für uns in möglichst logische Handlungen. Unser bedürftiges Es wiederum würde so gerne wieder einmal einen Menschen umarmen, ein wenig Kultur erleben, in Urlaub fahren, die Großeltern besuchen und möchte sich natürlich auch wieder selbst – ohne Zahlungen vom Staat – um die eigene finanzielle Versorgung kümmern. Für Selbstständige ist die Abhängigkeit von anderen ein Greul, weshalb das Angebot, Hartz IV zu beziehen, wenig hilfreich war.
Als zivilisierte Menschen sind wir es gewohnt, nicht jedem Befürnis nachzukommen, weil unser Bedürfnis, denken wir an den Aggressionstrieb bei Freud, anderen schaden zufügen kann. Stattdessen werden manche dieser Bedürfnisse oder Triebe kanalisiert. Auf Sportveranstaltungen ist es erlaubt, den Gegner anzupöbeln, sofern es bei Verbalattacken bleibt. Auch eine gemeinsam erlebte Theateraufführung hat oftmals eine kathartische Wirkung. Gemeinsam lachen und weinen lässt uns nicht nur den Alltag vergessen, sondern hat zudem eine gesellschaftspolitisch verbindende Bedeutung, ähnlich wie die vorpolitischen Räume in Kneipen, die wir nun auf virtuellen Plattformen wiederfinden, wo sie den Stress eher erhöhen als zu entspannenden Klärungen führen. Auch diese Möglichkeiten fehlen folglich aktuell, wodurch wir mit unserer inneren Zerrissenheit mehr oder weniger alleine bleiben.
Wie es zu Wutausbrüchen kommt
Kein Wunder, dass sich diese innere Zerrissenheit ab an nach außen entlädt, wenn das Gummiband zum Zerreißen angespannt ist. Um zu erklären, was hier passiert, ist ein System des Psychologen Richard Schwartz hilfreich, das ebenfalls auf einer Dreigliederung aufbaut:
Unser inneres, verletzliches Kind würde sich zu gerne endlich einmal wieder wohl fühlen. Es soll doch bitteschön bald wieder so werden wie früher. Unser inneres Kind wird also nicht nur von Verrücktheiten, sondern auch von Unsicherheiten und Ängsten bestimmt.
Unser innerer Manager tat bislang alles, um gut durchs Leben zu kommen. So entwickeln unsichere Menschen häufig einen inneren Perfektionisten, der ihrem Umfeld zeigt, dass sie alles im Griff haben, ohne ihre Unsicherheiten preis zu geben. Dies muss nicht schlecht sein. Perfektionismus kann uns schließlich zu Höchstleistungen antreiben. Doch auch hier hilt die Gummibandregel: Ein dauerhafter Stress führt zu Abnutzungserscheinungen. Der Perfektionismus verselbständigt sich, ohne die dahinter liegenden Ängste zu reflektieren. Stattdessen managen wir unsere Ängste, anstatt sie zu lösen.
Unter einem zu großen und / oder dauerhaften Druck versagt der innere Manager seinen Dienst. An dieser Stelle kommt ein innerer Feuerbekämpfer ins Spiel. Auch dieser schützt das innere Kind vor einer Bloßstellung, jedoch nicht mit Hilfe einer sachlichen Souveränität, sondern mit Aggressivität.
Hinter jedem Wutausbruch auf der Straße, am Telefon, in der Arbeit oder in den digitalen Netzwerken steckt also mit großer Wahrscheinlichkeit ein verborgene Angst, die bewusst oder unbewusst nicht geäußert werden möchte. “Angriff ist die beste Verteidigung”, sagt der Volksmund. Dies mag tatsächlich für die Psyche gesünder sein als ein ausgeleiertes, depressives Gummiband. Dennoch kann auch dies eines Tages reißen. Zudem führt ein dauerhaft angespanntes Band zu Konflikten, die sich vielleicht nach der Krise nicht so einfach kitten lassen.
Nachdem wir in diesem Teil geklärt haben, wie sich dauerhafter Stress auf unsere Gesundheit auswirkt, geht es in den nächsten Bunker-Chroniken um die Frage, wie wir mithilfe von mehr Selbstverantwortung und Mikroabenteuern unsere Gesundheit, Resilienz und unser Immunsystem stärken.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Und auch im Jahr 2021 geht es weiter mit den Bunker-Chroniken, denn auch wenn wir es uns zu Beginn der Pandemie niemals hätten vorstellen können, bestimmt Corona nach wie vor unser tägliches Leben – beruflich wie privat.
Offensichtlich haben viele Unternehmen erkannt, dass eine strenge Top-Down-Führung zwar einerseits Klarheit schafft, was in Krisensituationen sinnvoll ist, andererseits komplexe Probleme jedoch nur gemeinsam nachhaltig gelöst werden. Wie aber kann eine solche Partizipation der Mitarbeiter/innen gelingen? Wie lässt sich Klarheit mit Offenheit verbinden? Mit der Klärung dieser Fragen – eben zum Mindset einer fragenden Haltung – beschäftigt sich der heutige Beitrag der Bunker-Chroniken!
Warum Fragen in der Führung sinnvoll sind
In vielen Situationen gerät Führung an ihre Grenzen. Da ist zum einen die hektische Welt, die uns unter Druck setzt. Wenn jedoch bereits viel Druck im Kessel ist, beispielsweise in Zeiten der Veränderung, ist es wenig sinnvoll, noch mehr Druck hineinzugeben. Zum anderen stößt ein zu hoher Druck mit klaren Anweisungen und einem strengen Zeitkorsett auf Widerstände in jüngeren Generationen. Diesem Phänomen wird durch neue Führungsstile Rechnung getragen, einem Führen auf Augenhöhe, wie wir das von Scrum-Mastern kennen, einer Führung als Moderator oder einem Führen mit einer dienenden Haltung. Sie können dies ganz einfach im nächsten Mitarbeiter/innen-Gespräch testen:
Alternative A: Ich will, dass die Aufgabe bis Freitag erledigt ist.
Alternative B: Mir ist bewusst, dass der Auftrag sportlich ist. Wie also wollen Sie es schaffen, die Aufgabe bis Freitag zu erledigen? Und wie kann ich Sie dabei unterstützen?
Offensichtlich haben viele Unternehmen erkannt, dass eine strenge Top-Down-Führung zwar einerseits Klarheit schafft, was in Krisensituationen sinnvoll ist, andererseits komplexe Probleme jedoch nur gemeinsam nachhaltig gelöst werden. Wie aber kann eine solche Partizipation der Mitarbeiter/innen gelingen? Wie lässt sich Klarheit mit Offenheit verbinden?
Eine fragende Führungskraft, die weiß, was sie tut, schafft es, ihre Mitarbeiter/innen mit Fragen aus der Reserve zu locken. Gleichzeitig folgt sie einem schrittweisen Prozess, der ihr zeigt, dass nicht jede Frage zu jedem Zeitpunkt sinnvoll ist. Bevor wir jedoch zu prozesshaften Fragen kommen, schauen wir uns zuerst einige Vorzüge des Fragens an:
Wissen: Führungskräfte wissen oft wenig über die wirklichen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter/innen. Im Zweifel ist es hilfreich nachzufragen.
Wertschätzung: Wer gefragt wird, fühlt sich gewertschätzt. Jedoch nur, wenn die Frage ernst gemeint ist.
Widerstände: Fragen umgehen den Stolz und Trotz der Mitarbeiter/innen. Gerade in Veränderungen sind Fragetechniken eine nicht zu unterschätzende Methode, um Mitarbeiter/innen elegant mitzunehmen.
Kreativität und Neugier: Fragen werfen Lücken auf, die geschlossen werden wollen. Sie triggern damit die Neugier und Kreativität bei den Mitarbeiter/innen an, um diese Lücken mit Antworten zu schließen.
Unbewusste Bahnungen: Mit Fragen werden Akzente gesetzt, die in den Gehirnen der Mitarbeiter/innen weiterarbeiten, da diese zuvor nicht in Widerstand gehen mussten. Hypnotherapeuten und Neurowissenschaftler sprechen in diesem Fall vom sogenannten Priming. Das Gehirn wird sanft vorgebahnt. Böse können wir auch sagen: Dem Gehirn wird ein Virus eingepflanzt, der im Unbewussten heranwächst.
Eine fragende Haltung aufbauen
Wer fragend führen möchte, braucht eine innere Haltung, die weder allzu fordernd ist, noch allzu naiv. Ein häufiger Vorwurf an eine fragende Haltung in der Führung betrifft das kindliche Element. Ein Kind kommt ungeprägt in die Welt und entdeckt diese neu, erlebt und erfährt alles zum ersten Mal. Dies ist für Erwachsene weder möglich, noch sinnvoll. Erwachsene machten bereits mit dem ein oder anderen Typus Mensch ihre Erfahrungen. Gute wie schlechte. Diese Erkenntnisse zu ignorieren wäre naiv. Gerade von einer Führungskraft wird zudem erwartet, vorbereitet und souverän zu agieren. Sozusagen vorausschauend und wissend. Das Wissende wird schließlich in Kommunikations- und Menschenkenntnis-Seminaren vermittelt.
Auf der anderen Seite könnte aufgrund dieser Menschenkenntnis etwas Bohrendes entstehen: “Ich habe bereits eine Vermutung und fühle einem Mitarbeiter fragend auf den Zahn.“ Diese Art einer fragenden Haltung kann zu einer spanischen Inquisition führen. Oberflächlich betrachtet werden Fragen als Instrument gemäß dem letzten Kapitel benutzt, um mit dem Mitarbeiter gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Unter der Oberfläche ist der Fall schon klar und wir wollen lediglich, dass unser Gegenüber es zugibt oder zumindest erkennt, dass ich als Fragender recht habe. Fragen als Lügendetektor oder bahnendes Instrument für einen Weg, den ich bereits kenne.
Wer Fragen so einsetzen will, dass die zuvor beschriebenen Vorteile auch tatsächlich eintreten, braucht eine Haltung, die zwischen dem Wissenden und einer Neugier liegt, die bereit ist, tatsächlich etwas Gemeinsam-Neues zu entdecken. Der Philosoph Thomas Stölzel beschreibt dies als eine staunende Haltung. In der Tat ist der Begriff des Staunens für erwachsene Ohren ungewohnt. Das Staunen und die Neugier, die diesem voran geht, besitzen jedoch eine Qualität der Wahrnehmung, die uns abhanden gekommen ist. Die Möglichkeit, Mitarbeiter/innen mit einer staunenden Haltung wahrzunehmen, führt in meinen Seminaren häufig selbst zu staunenden Blicken. Anstatt bereits zu glauben, alles über meine Leuten zu wissen und sie mittels Fragen dahin zu bringen, wohin ich sie bringen möchte, könnte ich mich mit einer neugierig-staunenden Haltung darauf vorbereiten, positiv überrascht zu werden.
Solche nach Virginia Wolf benannten „moments of being“ – Momente der Lebendigkeit – zeigen uns, ähnlich wie die unbändige Neugier von Kindern eine hohe Qualität des Lebens auf. Wir lernen neue Aspekte von Mitarbeiter/innen und damit auch die Mitarbeiter/innen selbst neu kennen. Damit realisieren wir auch, wie stark unsere Wahrnehmung davon geprägt wird, was wir von anderen zu wissen glauben. Manchmal liegen wir freilich richtig. Doch manchmal tun wir ihnen damit unrecht.
Für einen ersten Einstieg in diese fragend-neugierig-staunende Haltung können Sie an solche „moments of being“ zurückdenken: Wann wurden Sie zuletzt positiv von Mitarbeiter/innen überrascht? Wann gab es Momente, über die Sie staunten? In letzter Zeit erlebe ich einige Führungskräfte, die über den Fleiß und die Stabilität ihrer Mitarbeiter/innen im Homeoffice zutiefst erstaunt sind.
Das Staunen nimmt dabei eine Schwebeposition ein, die der freischwebenden Wahrnehmung aus der Psychoanalyse ähnelt. Das neugierige Staunen bewertet nicht. Es nimmt lediglich wahr und wartet ab, was noch alles passiert. Dieses Schwebende wirkt sich auch in Mitarbeiter/innen-Gesprächen positiv aus. Es schafft einen Raum, in dem die Sprechenden offen miteinander umgehen können. Mitarbeiter/innen müssen dann nicht befürchten, für die Antwort auf eine Frage kritisiert zu werden, sondern können sich in dem, was sie sagen, frei fühlen.
Schauen wir uns an, wie eine solche neugierig-fragende Haltung mit der Bereitschaft, überrascht zu werden und staunen zu dürfen, gepflegt wird:
Lassen Sie sich gerne überraschen? Oder glauben Sie, bereits alles zu wissen?
In welchen Bereichen Ihres Arbeitsalltags überrascht Sie gar nichts mehr?
Was hat Sie so überrascht, das Ihr Weltbild ins Wanken geriet und Sie zum Umdenken zwang?
Was brauchen Sie, um sich neugierig auf andere Menschen einzulassen?
Welche Wirkung hätte es in einem Mitarbeiter/innen-Gespräch oder einem Meeting auf Ihr Team oder einzelne Personen, wenn Sie es sich erlaubten, wirklich neugierig darauf zu sein, was andere sagen und damit zu akzeptieren, dass Sie überrascht sein könnten?
Inwieweit würde sich Ihre Neugierde nicht nur auf andere Menschen auswirken, sondern auch auf Prozesse, zum Beispiel ein Brainstorming in einem Projekt oder auf den Verlauf eines Gesprächs?
Wie ginge es Ihnen selbst damit, neugieriger zu sein? Würde es Ihre Lebensqualität erhöhen? Würden Sie sich wohler fühlen?
Wie viel Neugierde verträgt Ihr Arbeitsalltag? Ist es zeitlich erlaubt, sich so viel Muße zu nehmen? Und was sagt die Unternehmenskultur, in der Sie arbeiten? Ist es erlaubt, neugierig zu sein? Vielleicht sogar erwünscht?
Wären Sie am Ende der Einzige, der die Haltung echter Neugierde verkörperte? Wenn ja, wie ginge es Ihnen damit?
Glauben Sie, Sie würden Ihre Ziele leichter oder schwerer erreichen, schneller oder langsamer, insbesondere in Bezug zu Ihren Zielen auf Mitarbeiter:innen bezogen?
Wollen Sie eine neugierig-fragende Haltung auf Dauer in sich verankern, ist es hilfreich, eine innere Teilperson aufzubauen oder aus Kindheitstagen zu reaktivieren. Teilpersonen oder innere Anteile haben nichts mit Schizophrenie oder einer multiplen Persönlichkeit zu tun. Wir haben alle innere Teilpersonen, beispielsweise das berühmte Kind im Manne sowie innere Kritiker oder Antreiber, die uns zu Höchstleistungen ansporen. Der Unterschied zu einer Ich-Störung besteht jedoch darin, dass das Ich als regulierender Moderator in einer Schizophrenie ausgeschalten wurde, während dieses moderierende Element in einer gesunden Person präsent ist. Mein Ich kann damit entscheiden, ob ich mich antreiben lasse oder ich eine offen-neugierige Haltung einnehme.
Innere Anteile entstehen durch die Auseinandersetzung mit äußeren Ansprüchen und Erwartungen. Irgendwann einmal im Leben vieler Kinder kommt der Moment, in dem der Satz fällt „Jetzt beginnt der Ernst des Lebens“. Gemeint ist die Schule und später die Arbeit. In der Arbeit wiederum erwartet man von Erwachsenen, dass sie Leistung bringen und sich nicht allzu albern benehmen. Die Albernheit findet entweder für uns alle am Wochende oder im Karneval statt und stellvertretend für uns in Comedy-Sendungen. Damit werden jedoch kindliche Elemente der spielerischen Neugier oder Albernheit von Elementen der Strenge überdeckt oder gehen sogar nach und nach verloren.
Um Ihre inneren Anteile der Neugier wieder zu entdecken, können Sie gezielt nach einer solchen inneren Teilperson suchen:
Wenn ich offen und neugierig bin, wie blicke ich dann in die Welt?
Wie alt bin ich dann?
Bin ich eher männlich oder weiblich?
Bin ich klein oder groß?
Welche Körperhaltung nehme ich ein?
Wie agil fühle ich mich? Wie bewege ich mich?
Gibt es typische Sätze, Mottos oder Gesten, die zu dieser Teilperson von mir passen?
Wie wirke ich auf andere mit einer solchen inneren und äußeren Haltung der Neugier?
Mit Fragen Veränderungen begleiten und Entwicklungen vorbereiten
Es geht bei Fragen häufig um die Balance zwischen der Wertschätzung des Vergangenen und dem Blick in die Zukunft. Dabei ist es hilfreich, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft als Kontinuum zu betrachten. Getreu dem alten Motto, Gesprächspartner dort abzuholen, wo sie sich befinden. In Zeiten der Veränderung, beispielsweise im Angst-, Wut- oder Trauer-Modus, um anschließend achtsam und neugierig für den Prozess der Veränderung und Weiterentwicklung gewonnen zu werden. Schauen wir uns diese Balance anhand einiger Fragen und wertschätzender Anmerkungen zur Anbahnung von Veränderungen an:
Wertschätzung der Bewahrung und des Selbstschutzes
Es ist verständlich, dass ihr angespannt seid. Schließlich weiß man nie, was auf einen zukommt. Gerüchte gab es ja schon zuhauf.
Vielleicht fühlt ihr euch, als würdet ihr in der Luft hängen, was in einer solchen Situation nachvollziehbar ist.
An eurer Stelle wäre ich auch geschockt/wütend.
In solchen unklaren Situationen ist es normal, zurückhaltend zu sein. Lasst euch Zeit, das zu verdauen.
Nach so einer Nachricht wäre ich auch enttäuscht.
Nach dieser Wertschätzung des emotionalen Zustands können konkrete Fragen gestellt werden, um vorhandene Kompetenzen anzusprechen:
Welche Erfahrungen und Kompetenzen im Umgang mit Veränderungen bringt ihr bereits mit?
Was habt ihr früher in ähnlichen Situationen gemacht? Was hat gut funktioniert? Und was nicht? Woran lag das? Was lernt ihr daraus?
Was machen andere Teams in ähnlichen Situationen? Sind die Situationen dieser Teams übertragbar? Was lernt ihr daraus?
Was würdet ihr tun, wenn ihr vollkommen freie Hand hättet? Ist das realistisch?
Was könntet ihr tun, um einen Konflikt mit dem Management/der Belegschaft heraufzubeschwören oder zu verschlimmern? Was könntet ihr stattdessen tun? Und wie lassen sich eure Ideen konkret umsetzen?
In einem letzten Schritt können Weiterentwicklungen emotional vorgebahnt werden:
Was könnte euch helfen, euch auf die Veränderung in Ruhe einzulassen?
Was braucht ihr, um euch aktiv einzubringen und die Herausforderung der Veränderung anzunehmen?
Wofür würdet ihr euch engagieren?
Was würdet ihr gerne ausprobieren?
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Und auch im Jahr 2021 geht es weiter mit den Bunker-Chroniken, denn auch wenn wir es uns zu Beginn der Pandemie niemals hätten vorstellen können, bestimmt Corona nach wie vor unser tägliches Leben – beruflich wie privat.
In den Jahren 2000 bis 2018 stieg die Anzahl der versendeten E-Mails um den Faktor 26. In nackten Zahlen von 32 auf 848 Milliarden E-Mails pro Jahr, wohlgemerkt ohne Spam. Die E-Mail wurde damit das von Mitarbeiter/innen am häufigsten genutzte Kommunikationsmittel. Doch ist die Nutzung noch zeitgemäß? Sind wir nicht alle die tägliche E-Mail-Flut leid? Was könnten Alternativen sein – Stichwort “Business-Chats”? Darum geht es im heutigen Beitrag!
Der aktuelle Stand zur Nutzung von E-Mails in Unternehmen
Der Grund für die E-Mail als bevorzugtes Kommunikationsmittel in Unternehmen ist einfach. E-Mails sind schnell versendet. Wir können alle Betreffenden in CC setzen, ohne uns darüber Gedanken zu machen, ob sich diese auch wirklich mit dem Thema auseinandersetzen sollten. Und wir selbst können das Thema von unserer Agenda streichen. E-Mails folgen damit dem klaren Schema einer asynchronen Kommunikation.
Das Telefon hingegen ist das klassische Beispiel einer synchronen Kommunikation. Hier muss ich mich zuweilen mit Widerworten auseinandersetzen. Zum Telefon greife ich nur, wenn ich bereits klar weiß, was ich will und mich mit meinem Gegenüber auseinandersetzen möchte.
E-Mails bedienen damit ein System, das der Neurobiologe Antonio Damasio Homöodynamik nennt. Der Mensch möchte Stress gerne schnell vom Tisch haben. Mit einer E-Mail gebe ich den Stress weiter an andere, ohne mich mit Details auseinandersetzen zu müssen. Bei 1:1-Gesprächen setze ich mich dem Stress möglicher Rückfragen aus. Deshalb entwickeln sich manche E-Mails zu wahren Kettenbriefen. Was mit einer vermeintlichen Information beginnt, wird hin und her geschickt. Anhänge werden angefügt. Leute, die nur am Rande mit dem Thema zu tun haben, werden in CC gesetzt und wissen nicht, ob sie die Mail lediglich zur Kenntnis nehmen oder antworten sollen.
Kurzum: Was als einfache Methode begann, um Informationen mit möglichst vielen Menschen zu teilen, entwickelt sich in vielen Fällen zu einem Informationsmonster voller ungeklärter Erwartungen.
Ungeklärte Regelungen
Zwar gibt es in vielen Unternehmen eine Netiquette zum Umgang mit E-Mails. Ungeklärt bleibt jedoch, wer in CC gesetzt werden sollte und warum. Meist hat es mit Hierarchien zu tun: Der Chef soll doch wissen, was ich mache. Oder aber um sich nichts zu Schulden kommen zu lassen: Ich hatte dich doch informiert. Die Chefin hat jedoch gar keine Zeit, all die E-Mails zu lesen, die sie bekommt. Und der Freispruch von der Schuld funktioniert nur mit dem klaren Auftrag, eine E-Mail zur Kenntnis zu nehmen.
Hinzu kommt, dass bei Antworten auf E-Mails vorher vorhandene Anhänge entfernt und wie von einem schwarzen Loch verschluckt werden. Das spart zwar einerseits Ressourcen auf unseren Rechnern und bei der Übertragung der E-Mail, führt jedoch andererseits dazu, dass Informationen verloren gehen, sofern das Wesentliche nicht in der E-Mail enthalten ist oder zusammengefasst wird. Dokumente, die für das Verständnis der E-Mail unerlässlich waren, sind einer Weiterleitung verschwunden.
Der Sinn und Zweck von E-Mails wird folglich häufig verfehlt. Grund genug, sich andere Kommunikationsmittel anzusehen, die diesem Sinn besser gerecht werden.
Die Vorteile von Business-Chats
Für die schnelle asynchrone Kommunikation im privaten Umfeld nutzen wir Chat-Apps. Facebook, Whats-App, Threema oder Telegram. All diese Programme haben eines gemeinsam: Der Dialog wird fortgeschrieben, sodass ich jederzeit den Kommunikationsverlauf durchsehen kann. Auch Anhänge lassen sich hinzufügen. Damit ergibt sich ein roter Faden, der zum einen kreativ genutzt werden kann und zum anderen Missverständnisse und Konflikte vermeidet. Damit könnten Business-Chats nicht nur der Kommunikation dienen, sondern auch langfristig dem Wissensmanagement.
Die Grundfunktion von Business-Chat-Systemen sind mit Chat-Programmen wie Whats-App vergleichbar. Die Gesprächspartner finden sich in Kanälen oder Channels zusammen. Die können projektbezogen oder öffentlich für alle Unternehmen diskutieren. Die Channels können thematisch oder gruppenbezogen sein. Der Titel eines Kanals könnte lauten Projekt XY, Vertrieb oder auch Umgang mit schwierigen Kunden. Die Mitarbeiter/innen können sich folglich verschiedenen Gruppen zuordnen. Um die Übersicht innerhalb eines Kanals zu behalten, lassen sich in der Regel mehrere Gesprächsfäden bzw. Threads) knüpfen. Und natürlich lassen sich hier auch Bilder, Links oder andere Dateien anfügen.
Business-Chats = Bündelung von Kommunikation
In gut gemachten Business-Chats bündelt sich die gesamte Kommunikation.
Austausch zu dem Projekt, an dem wir aktuell arbeiten
Informationen der Personalabteilung und des Betriebsrats für die Mitarbeiter/innen
Kommunikation, die wir intern und mit unseren Kunden führen
Der Smalltalk-Chat mit Kollegen/Kolleginnen, den wir zwischendurch führen
Informationen der Geschäftsführung für alle Mitarbeiter/innen
Diskussionen über aktuelle Probleme und deren Lösungen in Business-Chats
Ankündigungen, Termine, Veranstaltungen oder langfristige Veränderungen
Damit entsteht letztlich auch das, was viele Firmen sich seit Jahren wünschen: ein umfassendes Wissensmanagement zu alten Projekten und neuen Problemen. Der Business-Chatraum wird damit zum zentralen Platz der Kommunikation. Meetingraum, Gang, Raucherecke, Teeküche und Kaffeeautomat in einem. Allerdings mit dem Unterschied, dass die dort ausgetauschten Information auch festgehalten werden.
Anders als bei E-Mails, die jeder für sich ablegt (oder auch nicht), gibt es im Business-Chat nur eine gemeinsame Ablage. Das was ich dort finde, ist auch für meine Kollegen/Kolleginnen verfügbar. Dies spart nicht zur Ressourcen, sondern dient auch der Transparenz und schafft damit Vertrauen.
Hürden auf dem Weg zu einer neuen Unternehmens-Kommunikation
Die Macht der Gewohnheit
Die Vorteile klingen verlockend, zumal es kaum jemanden gibt, der nicht über einen zu vollen E-Mail-Ordner klagt. Wären da nicht unsere Gewohnheiten, die eine Veränderung erschweren. Über Jahre haben sich E-Mails so in unserem Arbeitsalltag etabliert, dass manche Mitarbeiter/innen kaum noch nachdenken, ob nicht ab und an das Telefon der bessere Weg für manche Klärung wäre, was freilich auch an unserer Mobilität liegt.
Wie schnell sich Kommunikationsgewohnheiten verändern, haben wir im Privaten erlebt. Innerhalb von wenigen Jahren wurden Chat-Systeme wie WhatsApp zur Nummer 1 in unserer Kommunikation. Anfangs noch ungewohnt und eingeschränkt nutzbar. Beinahe in jeder Lebenslage. Der Schlüssel dazu ist die Universalität und Einfachheit. Waren Chat-Systeme vor ein paar Jahren nur ein Hype für wenige, sind sie seit einigen Jahren fester Bestandteil unserer privaten Kommunikation. Noch sind E-Mails bequemer, weil üblicher. Dies wird sich jedoch nach und nach ändern.
Datenschutz
Im beruflichen Umfeld haftet solchen Chat-Systemen noch der Ruf der Unseriösität an. Facebook, WhatsApp und Co. genießen nun mal nicht den besten Ruf, unter anderem was datenschutzrechtliche Bedenken angeht. Die Diskussion um den Datenschutz zeigt jedoch, dass sich etwas tut in diesem Bereich. Business-Chat-Systemen wie Slack oder Microsoft Teams sind mittlerweile auch datenschutzrechtlich gut abgesichert.
Kommunikation als Kulturfrage
Die wichtigste Frage bei der Nutzung von Chats besteht jedoch in der Klärung der Kommunikationskultur. Viele Firmen fremdeln noch mit der Lockerheit in der Chat-Kommunikation. E-Mails schrieben die Tradition der Briefkommunikation fort, mit förmlicher Anrede und Gruß. In Chats regiert der schnelle, schnörkellose Austausch. Dass traditionelle Unternehmen damit Schwierigkeiten haben, ist verständlich, zumal bei dieser eher juvenilen Art der Gespräche stets ein Hauch Kulturrevolution mitschwingt. Während bei E-Mails noch wert auf eine korrekte Ansprache, insbesondere im Umgang mit Vorgesetzten gelegt wurde und sich lediglich der Chef eine statusbedingte und zeitsparende Flapsigkeit erlauben konnte, negiert ein Chat-Verlauf jegliche Hierarchien.
Die Kulturfrage zeigt uns wieder einmal, welche Schlüsselrolle die Kommunikation in Unternehmen einnimmt. Es ist nicht auszuschließen, dass es Business-Chats trotz aller Vorteile in Unternehmen noch lange schwer haben werden, wenn die Hierachiefrage und der Umgang miteinander nicht geklärt werden.
Sieben Tipps, um Business-Chats im Unternehmen zu etablieren
1. Kommunikation ist Chefsache
Die Frage nach der Kommunikationskultur macht deutlich, dass es ein Go-Signal von oben geben muss, wie bei jeder Veränderung. Führungskräfte sollten daher zum einen klären, wie kommuniziert wird und zum anderen mitmischen.
2. Einbindung des Teams
Die Top-Down-Strategie sollte sich mit einer Bottom-Up-Strategie verknüpfen. Nur weil der Chef es nutzt, müssen die Vorzüge von Chatrooms noch lange nicht im Team angekommen sein. Deshalb ist es wichtig, die Vorteile ebenso wie Bedenken und mögliche Lösungen im Team zu besprechen.
3. Leuchtturmprojekte
Sollen Business-Chats im gesamten Unternehmen eingeführt werden, empfiehlt es sich, ein Projektteam auszusuchen, das sich dafür leicht begeistern kann, um daraus für alle anderen Erkenntnisse zu ziehen.
4. Ordnung und Struktur
Business-Chats lassen sich nach Themen, Projekten oder Personenkreisen ordnen. Zudem sind in Chatrooms Unterthemen möglich. Darüber braucht es jedoch einen Konsens, der entweder zuvor geklärt werden sollte oder im gemeinsamen Tun entsteht. Hier kann es zu Meinungsverschiedenheiten kommen, worauf sich Führungskräfte einstellen sollten.
5. Transparenz fördert den Wissenszuwachs und das Vertrauen
Wenn ich jemandem 10 Euro schenke, ist das Geld fort. Teile ich mein Wissen, ist es bei mir immer noch vorhanden, mein Gegenüber besitzt es nun jedoch auch. Zudem lädt es meinen Gesprächspartner dazu ein, sein Wissen ebenfalls zu teilen. Das eigene Wissen transparent zu machen, erhöht jedoch nicht nur die Erkenntnisse aller, sondern knackt auch das jahrhundertealte Dogma „Wissen ist Macht“. Auch hier zeigt sich das kulturelle Veränderungspotenzial von Business-Chatrooms, wenn der Austausch von Wissen zu einer Egalisierung der Macht durch gemeinsames Wissen führt.
Gleichzeitig kann die Veröffentlichung von Erkenntnissen eine wackelige Angelegenheit sein. Meinungen oder Fragen zum Umgang mit schwierigen Kunden können vermeintlich peinliche Wissenslücken offenbaren. Auch dies gilt es im Team zu klären, nach dem Motto: Es gibt keine peinlichen Fragen und niemand kann alles wissen. Denn genau darum geht es beim Austausch von Wissen. Der Austausch vermittelt folglich nicht nur Wissen, sondern auch Unwissen. Dazu braucht es Vertrauen und schafft wiederum Vertrauen, wenn sich die Gesprächspartner auf Augenhöhe im Netz begegnen.
6. Anfüttern und Zusammenfassen
Damit Chats angenommen werden, ist es wichtig, das Eis mittels Beispielen und Strukturen vorzubereiten. Manche Mitarbeiter/innen tun sich leicht, weil sie dieses Kommunikationsmittel bereits kennen. Andere sind überfordert, wenn sich Strukturen erst dynamisch entwickeln. Bei Teams, für die Chatrooms noch Neuland sind, ist es wichtig, ein paar Strukturen und Anleitungen einzustellen bzw. die Kommunikation durch ein Anfüttern in Gang zu bringen: Wie werden Anhänge verfasst? Wie kann ich eigene Strukturen erstellen?
Im weiteren Verlauf der Kommunikationsbäume ist es, ähnlich wie bei Wikipedia, unerlässlich, wesentliche Aspekte regelmäßig zusammenzufassen. Denn obwohl der Verlauf für alle Teilnehmer:innen einsehbar ist, geraten dennoch manche Informationen schnell aus dem Blickfeld und gehen damit verloren. Diese Funktion muss nicht automatisch der Chef übernehmen, sondern wechselt am besten durch.
7. Der Komplettverzicht auf E-Mails?
Bei all diesen Vorteilen stellt sich die Frage, ob wir langfristig komplett auf E-Mails verzichten können. Sind eines Tages alle Mitarbeiter/innen an die Chatrooms angeschlossen, können wir intern sicherlich auf E-Mails verzichten.
Auf der nächsten Stufe könnten Kooperationspartner in Chatrooms mittels abgespeckter Zugänge in interne Unternehmensprozesse eingebunden werden. Sofern es sich nicht um geheime Interna geht, sind die Potenziale dahinter enorm, wenn wir an den Zeitgewinn durch Transparenz denken.
Die Frage nach der Einbindung von Kunden ist nur vermeintlich komplizierter. Denken wir jedoch die FAQs von Unternehmenswebseiten, den häufig gestellten Fragen und Antworten, konsequent weiter, ist der Weg zu einer Einbindung von Kunden in Chatrooms im Sinne eines modernen Marketingkonzepts näher als wir vielleicht vermuten. Und ganz nebenbei dient ein solches Vorgehen dem Vertrauensaufbau beim Kunden.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Unsere Arbeitswelt verändert sich rasant. Der sprachliche Umgang miteinander – meistens in seiner schriftlichen Form – hinkt den gelebten, nonverbalen Interaktionen weit hinterher. Warum aber verändert sich das Anwenden von Sprachmustern und -gebräuchen innerhalb unserer Unternehmen so langsam? Mit dieser Frage beschäftigt sich Christian Frick in diesem Interview und in seinem in Kürze erscheinenden Buch: Was machen wir mit all den Wörtern, für die es kein Emoji gibt?
Christian Frick berät seit über 25 Jahren Unternehmen in den Bereichen Marken-, Marketing- und Change-Kommunikation. Seit seinem ersten Change-Prozess schlägt sein Herz für Kommunikation, die Menschen in Unternehmen (und natürlich auch außerhalb) hilft, sich sinnstiftend, wertschätzend und zielführend mit einander zu verständigen. Sein Mantra: „Kein Wort hat keine Bedeutung.“
Und genau das ist auch das Ziel seines Buches: Die Kommunikation in Unternehmen sinnstiftend, wertschätzend und zielführend zu gestalten – für mehr Menschlichkeit, mehr Empathie, mehr Authentizität und weniger Raum für Missverständnisse und Fehlinterpretationen.
In einem kurzen Interview hat sich Christan Frick unseren Fragen gestellt.
Frage 1
Sie setzen sich für einen rücksichtsvolleren, wertschätzenden Sprachgebrauch in Unternehmen ein. Gibt es einen Moment, der besonders ausschlaggebend dafür war? Bei dem Sie sich sagten: So geht es nicht weiter.
Nein, es war der stete Tropfen, der den Stein gehöhlt hat. Und es geht mir nicht in erster Linie darum, dass wir alle so kuschelig wie möglich im direkten Dialog miteinander sind, sondern um das Grundverständnis, dass wir soziale, sensible Wesen sind. Die als solche weniger Stress spüren, wenn sie sich weniger amtlich behandelt fühlen. Um das Mindset, mit der wir Kommunikation gestalten, oder kurz: um Empathie.
Umgekehrt ist es auffällig – wenn man sich länger damit befasst – wie sehr Menschen verkrampfen können, wenn es darum geht, vor einem kollegialen Publikum oder Vorgesetzten zu bestehen. Es tut mir weh, wenn ich zusehen muss, wie wahnsinnig ernst die Situation für ungeübte Redner oder Schreiber werden kann. Wie viel Stress und wie wenig Freude und Leichtigkeit da plötzlich sind. Für mich ist das unnötiges Leid, hervorgerufen durch eine Leistungsgesellschaft, die an dieser Stelle über viel zu wenig Humor und keinerlei Selbstironie verfügt.
Frage 2
Der Titel Ihres Buches „Was machen wir mit all den Wörtern, für die es kein Emoji gibt?“ lässt vermuten, Sie wären ein Emoji-Gegner. Stimmt das?
Gar nicht! Ich stehe total auf das eine, das die Augen nach oben verdreht. (Das passt gut zu Frage 5 🙂 ). Ehrlich gesagt ging es mir um einen Titel, der auf lustige Weise etwas darüber aussagt, dass man Sprache so oder so nutzen kann. Und der neugierig macht, weil er etwas ungewöhnlich ist und bei manchen ein bisschen Kopfkino verursacht.
Frage 3
Verwenden Sie selbst denn Emojis?
Klar. In Medien wie WhatsApp oft, in E-Mails eher selten. Da kommt höchstens das gute alte „Doppelpunkt, Klammer zu“ zum Einsatz. Meine WhatsApp-Faves sind Tränen lachen, Augen rollen, bestürzt kucken und unsicher grinsen. Sagen Sie das keinem Psychologen.
Frage 4
Was ist für Sie das absolute No-Go in der Unternehmenskommunikation, also in Gesprächen zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitenden?
Der im Buch beschriebene „Basic Talk“ (im Buch auf Seite 61): Wenn ein Gespräch diskriminierend oder anderweitig unkorrekt verläuft, weil sich einer der Gesprächspartner unsozial verhält. Zum Beispiel die inhaltliche Ebene eines Dialogs seiner selbstdefinierten Rangordnung unterordnet – meistens völlig unzulässig und inakzeptabel. Das geht übrigens auch andersrum: Mitarbeitende können das ihren Führungskräften gegenüber manchmal auch ganz gut.
Frage 5
Ich würde Ihren Schreibstil als manchmal etwas sarkastisch beschreiben. Ist das nicht eigentlich ein Widerspruch zu Ihrem Credo, dass Kommunikation sinnstiftend, wertschätzend und zielführend sein muss?
Es handelt sich vermutlich um eine Art Alterssarkasmus :-). Aber ich glaube, da geht es um zwei verschiedene Dinge: Wenn ich mich im Kontext der kollegialen Kommunikation an Mitarbeitende wende, dann spielen alle diese drei Eigenschaften (sinnstiftend, wertschätzend und zielführend) eine wesentliche Rolle. Im Buch beschreibe ich aber Fälle oder Beispiele und ich schreibe niemand Bestimmten direkt an. Und weil mich ein gewisser missionarischer Eifer dazu drängt, dass mein Anliegen auch gehört wird, greife ich ab und zu zum Stilmittel Sarkasmus. Ist auf jeden Fall eine interessante Beobachtung, die mir hoffentlich zu denken gibt. Vielen Dank!
Vielleicht noch kurz zur Einordnung: Grundsätzlich finde ich, dass Kommunikation nicht immer, überall und dauernd sinnstiftend, wertschätzend und zielführend sein muss! Das erwarte ich in erster Linie von der kollegialen Kommunikation. Ich schätze durchaus ein völlig entgleistes, sinnfreies und zielloses Gespräch unter Freunden. 🙂
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt! Diesmal zur “Macht der Worte in virtuellen Meetings”.
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Und auch im Jahr 2021 geht es weiter mit den Bunker-Chroniken, denn auch wenn wir es uns zu Beginn der Pandemie niemals hätten vorstellen können, bestimmt Corona nach wie vor unser tägliches Leben – beruflich wie privat.
Viele Meetings waren immer schon ein wenig langweilig. Was in Präsenz jedoch durch den Smalltalk in den Pausen oder die Körpersprache mancher Redner aufgewogen wurde, fällt nun in virtuellen Meetings weitgehend weg. Zudem fällt im Homeoffice der soziale Zwang des tatsächlichen Daseins weg. Umso wichtiger wird es, sich über die Kommunikation in virtuellen Besprechungen Gedanken zu machen, um die Teilnehmer bei Laune zu halten. Machen wir uns also Gedanken über die Macht der Worte in virtuellen Meetings.
Handtaschen-Rhetorik für das Homeoffice
Über die teils gruseligen Folgen von langweiligen virtuellen Besprechungen wird sowohl im privaten als auch beruflichen Umfeld landauf, landab reichhaltig gelästert. Lehrer/innen werden stumm geschaltet, weil ihr langweiliger Vortrag beim Klavierspielen stört. Die persönliche Bedeutung im üblichen zweistündigen Wochen-Meeting hält sich in Grenzen. Warum also nicht parallel das Geschirr abspülen oder sein Fahrrad reparieren und sich per Headset jederzeit einklinken können. Das merkt sowieso niemand. Und Hand hoch, wer tatsächlich so pflichtbewusst ist, dass er oder sie niemals während eines langweiligen Vortrags parallel seine E-Mails bearbeitet.
Die Zusammenarbeit auf Distanz zeichnet sich durch große Freiheiten aus, die keiner sozialen Verpflichtung mehr folgen. Während ich vor Ort so manche geistige Durststrecke im Rahmen eines Beitrags durchstehen musste, ließen sich zumindest hier und dort noch ein paar einzelne wertvolle Aspekte herauspicken. Im Homeoffice jedoch gilt: ganz oder gar nicht. Wer seine Zuhörer/innen nicht von Beginn an ohne Umschweife mitnimmt, verliert sie für immer.
Die Macht der Worte und damit der Rhetorik ist folglich bedeutender denn je.
Die Macht der Worte ist bedeutender denn je.
Gleichzeitig stehen wir vor zwei Hürden:
Erstens wäre es vermessen, alle Teamleiter/innen oder sogar Mitarbeiter/innen zu Top-Rhetorikern auszubilden. Die gute, alte griechische Rhetorik mit ihren Metaphern, Anaphern und Alliterationen mag auf großen Bühnen zu einem begeisterten Publikum führen, in jungen, agilen Teams wirkt eine Alliteration wie „Unser Konzept sollte wissenschaftlich, wirtschaftlich und wirkungsvoll sein“ oder eine Anapher wie „Danke für Ihre Leistung! Danke für Ihre engagierte Leistung! Danke für Ihre großartige Leistung!“ eher altbacken. Die Verwendung von Metaphern will gelernt sein. Die negativen Wortbilder, die ich bisher verwendete, Durststrecke und Hürden, lassen sich langfristig aneignen, sollten jedoch auch nicht übertrieben werden. Aus meiner Erfahrung nutzen die meisten Menschen jedoch bereits mehr Metaphern als ihnen bewusst ist.
Zweitens ist die Zeit knapp in unserer hektischen Welt. Ich habe zur Inspiration für diesen Artikel in ein paar Rhetorik-Büchern aus meinem Regal geschmökert. Vor mir liegt beispielsweise ein wirklich gutes Buch des Rhetorik-Spezialisten Roman Braun (Die Macht der Rhetorik). 300 Seiten geballte Informationen. Voller Tipps und spannender Beispiele. Über Redner-Rollen, den Aufbau einer Rede, logische Zusammenhänge, hypnotische Redewendungen und die Ansprache von Emotionen. Alles Bausteine, die ich auch hier einfließen lasse. Zusätzlich geht es um Glaubwürdigkeit, Körpersprache, Lampenfieber und den letzten Schliff, vor dem sich sogar Aristoteles verneigen würde. Interessant zu lesen. In einer Woche zum Top-Rhetoriker. Warum nicht? Wenn ich jedoch in den Alltag blicke: Zeitstress, Ungeduld und Krisenstimmung. Also machen wir es kurz …
Fünf rhetorische Handtaschentipps zur Macht der Worte
1. Thema statt Ego
Heißen Sie Obama? Eben. Ich auch nicht. Zu meinen Seminare gehen die Leute nicht wegen mir, sondern wegen des Themas, das ich anbiete. Menschen hören uns zu, weil sie sich etwas von dem erwarten, was wir zu erzählen haben. Es geht also beinahe niemals darum, wer wir sind oder wie es uns persönlich geht, sondern beinahe immer um die Inhalte. Entschuldigungen, dass wir uns schlecht vorbereiten konnten, weil die Zeit knapp war oder keine geübten Redner sind, mögen nett gemeint sein, interessieren jedoch niemanden. Seien Sie demütig. Es geht nicht um Sie, sondern um das Thema.
Natürlich strahlt unsere Nervosität oder Begeisterung auf andere ab. Das Phänomen der Spiegelneuronen wirkt abgeschwächt auch über die Distanz. Gerade die Fokussierung auf das Thema hilft Ihnen jedoch dabei, sich zu begeistern oder Ihre Nervosität zu vergessen. Wenn Sie sich gut vorbereitet haben, spielt es keine Rolle, wer Sie sind und wie gut Sie sprechen können.
2. Zukunft statt Status quo
Unsere Zuhörer/innen interessieren sich auch nur bedingt für den Status eines Projekts. Wenn ich weiß, dass wir in einem Projekt einen wichtigen Meilenstein erreicht haben, sind das Streicheleinheiten für unser Seelenheil. Und ein Lob ab und an tut jedem gut. Wichtiger ist jedoch die Frage, was wir daraus machen. Zeitungen orientieren sich ebenso nicht nur daran, den Status einer Information festzustellen, sondern die Bedeutung und Konsequenzen für die Leser/innen am besten anhand von Beispielen zu beleuchten. Einen Meilenstein erreicht zu haben bedeutet für die Zukunft, gut in der Zeit zu liegen und sich damit umso intensiver um den nächsten Meilenstein kümmern zu können. Es bedeutet auch, die positive Energie des Erreichten mitzunehmen. Haben wir damit mehr Zeit für kreative Entdeckungen, oder wollen wir die Energie nutzen, um noch mehr Zeit zu gewinnen, vielleicht weil später ein thematischer unsicherer Baustein kommt, bei dem wir diesen Zeitgewinn gut gebrauchen können?
3. Erstrebenswertes statt zu Vermeidendes
Dabei spielt auch das Gegensatzpaar Angst und Freude eine bedeutende Rolle. Menschen werden entweder durch die Vermeidung von Angst oder das Anstreben von Freude motiviert. Beides wirkt in der Zukunft. Wir haben Angst, weil es Unangenehmes passieren könnte und entwickeln eine Vor-Freude, weil wir vermuten, dass die Zukunft großartig werden könnte, wenn wir uns anstrengen. Die Vermeidung von Angst antizipiert eine zukünftige Erleichterung. Der Pfad der Vor-Freude führt uns zu Erfolg und Begeisterung. Beide Wege sollten in Beiträgen angesprochen werden. Wer nur von „making our team great again“ spricht, erntet vor den heimischen deutschen Bildschirmen ein Augenrollen mit Domino-Effekt. Gerade die Deutschen lieben anscheinend die Selbstkasteiung und alles, was schief lief oder noch laufen könnte. Wer jedoch weiß, wovor er davon läuft, weiß noch lange nicht, wohin er eigentlich hin will. Beginnen Sie daher damit, wovor wir Angst haben, was wir nicht wollen und enden mit dem Erstrebenswerten.
4. Gemeinsam statt Gegeneinander
Auf der politischen Bühne gilt der Grundsatz der Abgrenzung. Nur wer deutlich macht, dass er eine andere Meinung als der Gegner vertritt, zeigt, wofür er steht und wird damit wählbar. In Meetings geht es jedoch nicht um Wahlen oder darum, wer besser ist. Es geht um den Informationsgehalt von Inhalten, um den Mehrwert für die Kollegen und Kolleginnen. Um nicht mehr und nicht weniger. Dieser Mehrwert steigt nicht, wenn Sie auf Rückfragen Ihren Vortrag verteidigen, sondern wenn Sie Fragen und Entgegnungen nutzen, um das dargebotene Gericht weiter zu verfeinern.
5. Zum Mitdenken einladen
Dazu passt der letzte Tipp: Lassen Sie Raum für die Gedanken der Kollegen und Kolleginnen. Damit werden Sie nicht überrascht von Entgegnungen, sondern behalten selbst das Heft in der Hand. Überlegen Sie sich dazu vorab, wann Ihre Teamkollegen Fragen haben könnten und bauen diese bereits in Ihren Vortrag mit ein:
Was wurde euch klar? Wo gibt es noch Fragen?
Was bedeutet das für uns? Für mich bedeutet das … Was bedeutet das für euch und eure Arbeit?
Welche Schlussfolgerungen können wir hieraus ziehen? Ich bin auf folgende gekommen: … Aber ich bin mir sicher, dass ihr auf weitere Aspekte kommt, die mir noch nicht aufgefallen sind.
Zum Mitdenken einzuladen kann auch visionär sein: Könnt ihr euch vorstellen, wo wir in einem Jahr stehen werden? Wie es wäre, wenn wir mit unserer Konkurrenz kooperieren würden? Was wird wohl passieren, wenn die Konjunktur im nächsten Jahr wieder anzieht und wir den Anschluss verpassen? Was sollten wir jetzt schon tun, um darauf vorbereitet zu sein?
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache”, “Proaktives Führen” und die “Macht der Worte” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Insbesondere Unternehmer, Selbstständige und Führungskräfte unterliegen einem permanenten Triple Overload: Kognitive, Informations- und Kommunikationsüberforderung bestimmen ihr Leben. Dank der Digitalisierung verschwimmen Arbeits- und Berufsleben zunehmend. Arbeit ist immer und vor allem überall. Höchste Zeit, sich und sein Unternehmen mit den passenden Werkzeugen neu aufzustellen.
Lars Bobach ist selbst erfolgreicher Unternehmer und zeigt in seinem neuen Buch 7 Geheimnisse als erfolgreicher Unternehmer, wie Sie mit den richtigen Tools und Tricks dem Hochgeschwindigkeitsalltag entfliehen und mit Ihrem Unternehmen in die Erfolgsspur zurückkehren. Allem voran steht sein Credo: Der Schlüssel zu einem glücklichen und erfolgreichen Leben ist ein gutes Selbstmanagement!
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Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice (“Homeoffice als Krisenverstärker”) verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Und auch im Jahr 2021 geht es weiter mit den Bunker-Chroniken, denn auch wenn wir es uns zu Beginn der Pandemie niemals hätten vorstellen können, bestimmt Corona nach wie vor unser tägliches Leben – beruflich wie privat.
Zu Beginn der Pandemie wurde die Arbeit im Homeoffice für viele Angestellte innerhalb weniger Wochen zur Selbstverständlichkeit. Damals war noch nicht absehbar, wie lange dieser Zustand dauern wird. Rückblickend befinden wir uns jedoch schon seit beinahe einem Jahr im Krisenmodus. Das Homeoffice bietet manchen Menschen mehr Freiräume und kommt vor allem denjenigen entgegen, die diese Freiräume für ihre Lebensbalance gerne nutzen und die gleichzeitig weniger Wert auf Kontakte in der Arbeit legen. Mitarbeitern mit Schwierigkeiten in der Selbstorganisation und einem großen Bedürfnis nach Kontakten, fällt dieser Dauerzustand schwer. Wie gehen wir also damit um – mit dem Dauerzustand Homeoffice?
Homeoffice als Dauerzustand – Homeoffice als Krisenverstärker
Die Vorteile sollen nicht verschwiegen werden: Das tägliche Pendeln zum Arbeitsplatz fällt ebenso weg wie Fernreisen. Wir können auf einmal mit unseren Kindern, die ebenfalls zu Hause im Homeschooling sitzen, zusammen Mittag essen. Und Treffen zwischen Menschen aus allen möglichen Regionen sind dank Video-Call möglich, selbst wenn es nur für eine Stunde ist. Das spart nicht nur Zeit, sondern auch Geld, Abgase und Nerven. Der Tag zu Hause kann flexibler gestaltet werden als ein klassischer Büro-Arbeitstag und bringt so mehr Freiheiten.
Die Unterscheidung zwischen Freiheit von und Freiheit zu zeigt uns jedoch, dass wir zwar im Homeoffice aus dem Korsett des strengen Ablaufs im Büro austreten, diese Freiheit jedoch auch gut nutzen müssen, um wirklich in den Genuss eines Zugewinns an Lebensqualität zu kommen. Während früher noch auf eine Homeoffice-Kompetenz in Richtung Selbstmanagement und Stressresistenz geachtet wurde, und nicht jeder von zu Hause aus arbeiten durfte, wird nun jeder Arbeitsplatz, bei dem es möglich ist, nach Hause verlagert.
Tatsächlich zeigen immer mehr Studien: Die neue Einsamkeit in der kleinen Burg zu Hause ist für viele eine mentale Herausforderung. Das Bedürfnis nach Austausch und Nähe zu den Kolleginnen und Kollegen lässt sich durch Telefonate und Videokonferenzen nur bedingt erfüllen. Der Austausch über diese Medien findet beinahe zu 100 Prozent in einem hocheffizienten Kontext statt. Wir greifen zum Telefonhörer oder organisieren Videokonferenzen, weil wir ein konkretes Anliegen haben. Der locker-menschliche Smalltalk und die Spontaneität, die für viele Menschen auch ein Teil der Arbeit sind, bleiben auf der Strecke.
Die Digitialisierung macht uns Menschen zu dem, was Psychologen schon vor Jahrzehnten als „fully functioning person” beschrieben. Im WWW gibt es weder eine Stechuhr, noch einen Kollegen, der einen zum Mittagsessen mitnimmt, oder ein vermeintlich sinnloses Schwätzchen auf dem Gang. Entsprechend ist laut Umfragen und Studien das Stresslevel der Menschen im Homeoffice in letzten Jahr enorm angestiegen.
Die Krise als kritisches Lebensereignis
„2020 war das stressigste Jahr überhaupt“, heißt es in einer Studie des Tech-Konzerns Oracle. Die US-Firma hat sich mit dem Institut Workplace Intelligence zusammengetan und mehr als 12.000 Arbeitskräfte, HR-Experten und Manager in elf Ländern zum Spannungsverhältnis zwischen mentaler Gesundheit und Arbeitsleben unter Corona befragt. 78 Prozent der Teilnehmenden gaben an, dass ihre Psyche unter der Pandemie gelitten habe. Besonders schwer trifft es Menschen im Homeoffice. Die Gründe dafür sind vielfältig:
Wer von zu Hause aus arbeitet, teilt sich seine Räumlichkeiten in der Regel mit seiner Familie. Unsere Wohnung beispielsweise beherbergt zwei Kinder im Homeschooling, jeweils im Abschlussjahr, und zwei Homeoffice-Menschen. Wenn wir davon ausgehen, dass es nur einen Drucker, ein Netzwerk, dafür jedoch reichhaltige Headset- und Verbindungsprobleme gibt, bestehen manche Tage mehr im Lösen von Problemen als in der eigentlichen Arbeit. In einer großen deutschen Wochenzeitung stand entsprechend Anfang Januar der Satz: „Beschulung ist für viele Familien kein Luxusproblem.“
Die Befragten der Oracle-Studie nannten vor allem die fehlende Trennung zwischen Arbeit- und Privatleben, fehlende Rückzugsmöglichkeiten und Leistungsdruck als Hauptursachen für ihren Stress. Mehr als ein Drittel gibt an, seit Corona sogar deutlich mehr zu arbeiten. Eine Erkenntnis, die auch in meinen letzten Führungsseminaren auftauchte, teils mit Erstaunen: Die Leute arbeiten so viel, dass sie glatt vergessen, genügend zu trinken und am Abend Kopfschmerzen bekommen. Die Führungskraft als Fürsorge-Coach für fröhliche Selbstausbeuter? Interessante Aussichten.
Die Ängste vor dem Virus einerseits, andererseits aber auch vor der gesellschaftlichen Situation, verbunden mit Fragen wie „Wie lange wird das noch so weitergehen?”, „Wird das jetzt zum Normalzustand?”, „Werde ich vielleicht bald gekündigt?” oder „Wohin werden wir uns politisch-gesellschaftlich entwickeln?” betrifft uns alle. Im Homeoffice haben die Menschen jedoch weniger Austauch als am Arbeitsplatz. Wer sich jemals online mit anderen Menschen über die Krise oder die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen austauschen wollte, merkte schnell, wie gereizt manche Menschen jedes einzelne Wort auf die Goldwaage legten.
Die Pandemie führt bei vielen Menschen zu einer Pergamentpapier-Dünnhäutigkeit, als gäbe es nur ein Dafür oder Dagegen und keine Nuancen dazwischen. Gespräche von Angesicht zu Angesicht sind anders. Hier stehen Aussagen nicht wie in Stein gemeißelt. Stattdessen sind detailreiche Diskussionen möglich. Gespräche im virtuellen Leben gleichen einem Ausschnitt aus einem Bildschirm, anhand dessen jeder gezungen ist, sich ein Bild von seinem Gegenüber zu machen, was in den seltensten Fällen wohlwollend ausfällt. Im realen Leben sind Gespräche als Prozess möglich mit einer langfristigen Angleichung aneinander. Genau dies fehlt bei Menschen im Homeoffice, weshalb die Gefahr besteht, dass sie sich um sich selbst kreisen.
Zusätzlich belastend sind die enormen Einschränkungen im Privatleben. Viele Aktivitäten, die üblicherweise als Ausgleich dienten, fallen weg. Fitnessstudios sind geschlossen. Lauf- oder Yogagruppen sind nicht erlaubt. Ausflüge in die Natur sind aufgrund des 15 km-Radius nur bedingt zugelassen. Das Leben findet für Menschen im Homeoffice entweder alleine oder mit der Familie statt, in der laut Studien auch die Gewalt 2020 zugenommen hat. Die Nerven liegen oftmals blank. Das Digitale bietet dabei nur wenig Abwechslung, ist es doch für viele Menschen mit der Arbeit verbunden. Die Lust, dort nach einem seelischen Ausgleich zu suchen, schwindet, wenn sie denn je vorhanden war.
War der März 2020 von Unsicherheit und Neugier bezüglich der neuen digitalen Möglichkeiten geprägt, kam spätestens im Juni der Begriff der Zoom-Müdigkeit auf. In Videokonferenzen ist unser Gehirn beständig damit beschäftigt, Informationen, die wir ansonsten über die Körpersprache mitbekommen würden, selbstdenkend zu ergänzen. Das ist anstrengend und sorgt für ein dauerhaftes Gefühl der Verunsicherung.
Die Mehrheit der Menschen ist offensichtlich keine Digital-Natives, für die die aktuelle Situation der Normalzustand ist, sondern Menschen, die nach wie vor den sozialen Kontakt brauchen, um sich von Angesicht zu Angesicht auszutauschen und sich damit auch ihrer selbst zu vergewissern. Laut Psychologen brauchen wir die Begegnung zu anderen Menschen, um zu realisieren, wer wir selbst sind.
Gleichzeitig kam es laut einer Studie der WHO zu Versorgungsengpässen nicht nur im Bereich der physischen Gesundheit, sondern auch von mentalen Gesundheitsangeboten. Musste bereits vor Corona mit einiger Wartezeit bei Therapieplätzen gerechnet werden, potenzierte sich dieses Problem durch die aktuelle Situation enorm. Denn Corona und die Maßnahmen haben auf viele Menschen traumatische Auswirkungen.
Besonders betroffen sind von solchen Belastungen im Homeoffice Menschen, die schon früher an Depressionen, Angststörungen oder verwandten seelischen Belastungen gelitten haben. Ihre Symptome haben sich durch die Pandemie und die damit verbundenen Unsicherheiten in vielen Fällen verstärkt. Viele dieser Menschen bekamen durch die Bindung in der Arbeit eine tragende, tägliche Stabilität. Die Pandemie, verbunden mit der verhinderten Möglichkeit des sozialen Austauschs zur Regulation der eigenen negativen Gedanken, wurde zu einem „critical life-event“ – einem kritischen Lebensereignis, das selbst bisher unbekannte psychische Probleme zum Ausbruch bringen kann.
Wenn Sie bei sich beobachten, dass Ihnen die Krise schwer zu schaffen macht, ist das Schlimmste, was Sie tun können, den Fehler bei sich selbst zu suchen. Denken Sie nicht: „Andere gehen so locker damit um, freuen sich sogar über die neu gewonnenen Freiheiten. Und ich selbst bekomme keinen Fuß mehr auf den Boden.“ In der aktuellen Situation handelt es sich um eine absolute Ausnahmesituation, auf die wir alle unterschiedlich reagieren. In der Regel ist sowohl ein Superoptimismus als auch ein Superpessimismus fehl am Platz. Stattdessen ist es sinnvoll, die Situation in all ihren Facetten real zu betrachten, die Nachteile ebenso wie die Vorteile.
Für viele Menschen fehlt zudem der Ausblick in die Zukunft. Gerade diejenigen, die unter der Situation im Homeoffice leiden, brauchen einen hoffnungsvollen Schimmer in die Zukunft. Umso wichtiger ist es, die Menschen zu Hause nicht alleine zu lassen im Sinne eines „Aus den Augen, aus dem Sinn”.
Darüber zu sprechen, wie schwer es einem fällt, alleine zu sein oder alleine vor sich hin zu werkeln, ist insbesondere über die virtuelle Distanz ungewohnt. Auch das zeigt die Oracle-Studie: Im Arbeitskontext über Stress und Belastungen zu sprechen, kostet Überwindung. Statt den Vorgesetzten ins Vertrauen zu ziehen, würden viele lieber Künstliche Intelligenz zurate ziehen. 82 Prozent der Befragten glauben, Roboter können ihnen schneller bei mentalen Krisen helfen als Menschen. Ein Algorithmus ist unvoreingenommen, urteilt nicht, ich muss mich also nicht für meine vermeintliche Schwäche schämen und bietet schnelle Antworten. Ob den Menschen damit wirklich geholfen werden kann, wird uns die Zukunft zeigen.
Hier sind sowohl die Politik als auch Arbeitgeber und vor allem die direkten Führungskräfte gefordert. Die Politik könnte nicht nur mehr Homeoffice fordern, wie es aktuell Mitte Januar 2021 geschieht, sondern auch Verständnis dafür signalisieren, wie ungewohnt dies für viele Menschen ist und wie schwer es vielen Menschen fällt. Der Arbeitgeber könnte Krisentelefone einrichten und verdeutlichen, dass diese nicht nur zur Besprechung sachlicher Probleme da sind, sondern auch als Sorgentelefone funktionieren. Es gibt nicht wenige Teamleiter, bei denen der Seelsorger durchaus zum Rollenrepertoire gehört. Führungskräfte schließlich sind die direkten Ansprechpartner für Probleme aller Art. Sie sollten sich ihrer besonderen Rolle und Aufgabe bewusst sein.
Auch für sie ist diese Situation eine ganz neue Herausforderung, mit der sie vielleicht überfordert sind, weshalb sie ihrerseits Hilfe gebrauchen können. Es wäre tatsächlich innovativ, emotionale Probleme im Homeoffice nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, zumal wir nicht wissen, wie lange dieser Zustand noch anhält, sondern diese Situation professionell anzugehen, um das Thema der mentalen Gesundheit zu entstigmatisieren und die betriebliche Gesundheitsförderung auch auf Distanz zu fördern. Die Welt schaut derzeit beinahe ausschließlich auf die Versorgung von Corona-Patienten, dass psychische Probleme aus dem Blick geraten. Dies sollte sich langfristig wieder zu einem normalen Maß einpendeln.
Tipps zum Umgang mit der Corona-Krise
Die folgenden Maßnahmen können Sie selbst anwenden, um Ihr Wohlbefinden im Homeoffice zu steigern:
Die Arbeit im Büro bietet uns einen festen Rahmen, der zu Hause fehlt. Geben Sie sich auch in den eigenen vier Wänden einen Tagesrhythmus mit regelmäßigen Pausen und Essenszeiten. Auch ein Powernapping gegen 14 Uhr können Sie fest in Ihren Tagesablauf einbauen, ohne um Erlaubnis zu bitten.
Achten Sie auf einen gesunden Lebensstil. Gehen Sie regelmäßig spazieren, machen Dehn- oder Gymnastikübungen und ernähren Sie sich gut. Der Müsliriegel zum Mittag ist verlockend, um weiter zu arbeiten, auf Dauer jedoch ungesund.
Beenden Sie den Tag zu fixen Zeiten. Ausnahmen bei Deadlines sollten die Regel bestätigen: Wer zu lange in den Abend hinein arbeitet, kann nachts nicht schlafen.
Trennen Sie den Arbeits- vom privaten Bereich soweit es geht. Das erfordert einen höheren Organisationsaufwand, der sich jedoch lohnt. Sagen Sie Ihrer Familie, wann Sie arbeiten und wann nicht, um Konflikte zu vermeiden.
Suchen Sie sich einen Ausgleich jenseits der digitalen Welt. Vielleicht liegen bei Ihnen noch ein paar Bücher herum, die Sie schon lange mal lesen wollten. Lernen Sie Ukulele spielen oder beginnen Sie zu stricken. Kochen Sie mit der Familie oder spielen mal wieder ein Brettspiel am Wochenende.
Lesen Sie weniger Nachrichten. Die Hiobsbotschaften über mutierte Viren und die feindliche Übernahme der Demokratie von rechts überschlagen sich derzeit, als gäbe es einen Wettbewerb um die Horrornachricht des Tages. Was heute aktuell ist, ist in drei Tagen schon wieder vergessen. Zudem können Sie an den Nachrichten meist nur passiv teilnehmen. Sie können sich ärgern oder ängstigen lassen. Konkret handeln können Sie in der Regel nicht. Passiver Konsum jedoch verstärkt unser Gefühl der Hilflosigkeit.
Suchen Sie sich einen Kontakt außerhalb der Familie und der Arbeitswelt, mit dem Sie frei von Bedenken über Ihre Sorgen und Ängste sprechen können. Sollten Sie merken, dass Ihre Sorgen zunehmen, suchen Sie sich einen Coach oder Therapeuten oder sprechen mit einem Pfarrer.
In Krisenzeiten sind Gefühlsschwankungen normal. Sie lassen sich jedoch nicht nur durch Gespräche ausbalancieren, sondern auch durch Tagebuchschreiben, um die eigenen Gefühle bewusster wahrzunehmen und deren Hintergründe einem Realitätscheck zu unterziehen.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Und auch im Jahr 2021 geht es weiter mit den Bunker-Chroniken, denn auch wenn wir es uns zu Beginn der Pandemie niemals hätten vorstellen können, bestimmt Corona nach wie vor unser tägliches Leben – beruflich wie privat. Auch im neuen Jahr sitzt ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung im Homeoffice. Ein positiver Trend zeigt sich: Der Umgang mit der virtuellen Arbeitswelt wird routinierter, zumindest was die technischen Begebenheiten betrifft.
Doch wie ist es um die weiteren Aspekte und Konventionen bestellt, die im virtuellen Umgang miteinander ebenfalls von Bedeutung sind? Ist es egal, wie ich vor der Kamera sitze? Kann ich mich verbal ausdrücken, wie ich will? Gelten die gewohnten Umgangsformen, wie wir sie aus Face-to-Face-Situationen kennen, auch im virtuellen Gespräch uneingeschränkt fort? Oder gibt es sogar neue Regeln für das virtuelle Miteinander? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Michael Hübler in dieser sowie in den kommenden Ausgaben seiner Bunker-Chroniken. Nachdem es im ersten Teil um Sinn und Zweck zum Thema Feedback sowie Methoden zur Stimmungsklärung und Leistungsorientierung ging, geht es nun um Feedback-Methoden zur Verbesserung der Zusammenarbeit und Klärung von Konflikten über die Distanz.
Zusammenarbeits-Feedback
Der Feedback-Stern
Der Feedback-Stern beinhaltet die fünf Themenbereiche:
START: Mit was sollten wir beginnen?
Beibehalten: Was sollten wir beibehalten, weil es gut funktioniert?
Mehr: Wovon sollten wir mehr machen?
Weniger: Wovon sollten wir weniger machen?
STOP: Mit was sollten wir aufhören?
Da der Feedback-Stern weniger leicht zu merken ist, ist es sinnvoll, ein Bild vorzubereiten, das als Einstieg zu einem Meeting oder einem Zweier-Feedbackgespräch präsentiert wird. Die Teilnehmer haben daraufhin fünf bis zehn Minuten Zeit, um sich ihre Gedanken zu den Unterpunkten zu machen. Anschließend wird reihum abgefragt. Der Moderator sammelt die Punkte und arbeitet sie nacheinander mit dem Team durch.
Diese Feedback-Methode ist weniger für regelmäßige Feedback-Runden geeignet, sondern lässt sich ideal als Boxenstop in Projektgruppen oder als Zäsur in einem dauerhaft zusammenarbeitenden Team einsetzen.
Das Fünf-Finger-Modell
Während der Feedback-Stern zu Beginn einer Besprechung eingesetzt wird, dient das Fünf Finger-Modell einer Feedbackrunde am Ende. Die Methode eignet sich gut für virtuelle Settings, da wir unsere fünf Finger immer dabeihaben und im Prinzip keine Vorbereitungszeit nötig ist. Unsere fünf Finger stehen dabei für fünf unterschiedliche Aspekte eines Feedbacks, deren Bedeutung sich schnell merken lassen:
Der Daumen: Was hat mir gefallen?
Der Zeigefinger: Wo ging mir ein Licht auf? Was werde ich mir auf jeden Fall merken?
Der Mittelfinger: Was hat mir weniger gut gefallen?
Der Ringfinger ist besonders für Teams gut geeignet: Bei welchen Themen entstanden Verbindungen zum Team?
Der kleine Finger: Was kam mir zu kurz?
Feedback-Canvas
Sehr ähnlich zum Fünf Finger-Modell sind Feedback-Canvas. Ich persönlich arbeite gerne mit folgenden Aspekten, die ich je nach Thema unterschiedlich kombiniere:
PositiveAspekte: Was läuft gerade gut?
Offene Fragen: Was ist noch unklar?
Potentiale: Was wäre super? Was wäre möglich?
Bedenken: Wo werden Probleme auftauchen?
Ideen: Wie wollen wir Fragen klären, Potentiale nutzen und Probleme lösen?
Die Themengebiete und Fragen sollten vorbereitet werden. Ich nutze dazu ein Fünf-Felder-Schema, das ich als Canvas präsentiere. Die vier Felder oben-links, oben-rechts, unten-links und unten-rechts deuten dabei auf das Ideen-Feld im Zentrum. Auf manchen virtuellen Meeting-Plattformen, beispielsweise Big Blue Button, können die Teammitglieder ihre Beiträge in den Canvas eintragen. Andernfalls lassen sich die Äußerungen des Teams Thema für Thema im Chat sammeln und in die Grafik hineinkopieren.
Feedback-Canvas sind je nach Einsatz der Themenfelder und Fragen entsprechend umfangreich. Sie dauern damit i.d.R. länger als die Fünf Finger-Methode. Ich persönlich nutze Feedback-Canvas, um fortlaufend Rückmeldungen in einem Team zu sammeln. Wurde der Canvas einmal installiert, dient er vor oder nach einem Meeting zur stetigen Standortbestimmung des Teams.
Das Attac-Modell
Bei den Globalisierungskritikern Attac wird Feedback mittels Daumen gegeben:
Daumen nach oben bedeutet: Prima.
Daumen nach unten bedeutet: Schlecht.
Und Daumen zur Seite bedeutet: Damit kann ich leben.
Mit diesem einfachen Entscheidungsmodell ermitteln Sie nicht nur die Stimmung zu einem Beschluss oder in einem Projekt, sondern können ausgehend von den Ergebnissen Nachfragen stellen. Ziel in einem Team muss es nicht sein, dass alle Teilnehmer hinter einer Entscheidung stehen. Wichtig ist, dass möglichst niemand gegen eine Entscheidung ist, sondern damit leben kann. Die Frage muss daher lauten: Was muss passieren, damit einige die Entscheidung gut finden, jedoch alle mindestens damit leben können?
Feedback mit der Themenzentrierten Interaktion
Mit der Themenzentrierten Interaktion (TZI) werden die vier Elemente Ich, Wir, Thema und Globe oder System in einem Team in Balance gehalten. Nach der TZI wird ein Gruppenprozess bestimmt durch:
die Fähigkeiten, das Verhalten und die Persönlichkeit eines einzelnen Gruppenmitglieds,
den Interaktionen, der Kommunikation, der Kultur und Dynamik der Gruppe,
dem Anliegen, Auftrag und den Zielen der Zusammenarbeit und
dem sozialen, ökologischen, ökonomischen, technischen, räumlichen oder zeitlichen Umfeld bzw. Kontext, in dem das Team agiert.
Damit lassen sich für ein Projektteam folgende Feedbackfragen ableiten:
Was bringe ich persönlich für das Gelingen einer Aufgabe und das Erreichen eines Ziels mit? Welche Eigenschaften sind förderlich? Welche hinderlich?
Wie gehen wir miteinander um? Wann und wodurch lernen wir voneinander? Wo ergänzen wir uns? Was macht uns Spaß? Wo geraten wir aneinander?
Was wollen wir gemeinsam erreichen? Welche Ziele verfolgen wir?
Welche Rahmenbedingungen sind hinderlich, welche förderlich? Und welche gesellschaftlichen Regeln beeinflussen uns?
Durch die Feedbackrunde könnten Teams auf diverse Themen oder Probleme stoßen, die es im Anschluss zu bearbeiten gilt:
Nehmen sich einzelne Personen zu viele Freiheiten heraus? Opfern sich andere für das Team auf?
Haben wir eine produktive oder destruktive Kommunikation?
Verlieren wir uns im Klein-Klein oder Überharmonie und damit unsere Ziele aus den Augen?
Steht unser Unternehmen hinter uns oder erschwert es unsere Arbeit? Inwieweit werden wir positiv oder negativ von außen beeinflusst?
Feedbackrunden mit der Themenzentrierten Interaktion sind aufgrund des Umfangs und der Tiefe des Feedbacks ebenso weniger gut als Allroundmethode geeignet, sondern als Boxenstop, wenn ein Team bereits länger zusammenarbeitet. Die TZI eignet sich ideal als Instrument zur Teambildung.
Feedback-Wortanfänge
Wollen Sie verstehen, was Ihre Mitarbeiter bewegt, wann sie sich ärgern oder wann sie begeistert sind, bietet es sich an, mit Wortanfängen zu arbeiten:
Ich bin zufrieden, wenn …
Ich bin erleichtert, wenn …
Die Arbeit macht Spaß, wenn …
Ich bin überrascht, wenn …
Ich hänge in der Luft, wenn …
Die Arbeit macht keinen Spaß, wenn …
Ich reagiere gereizt, wenn …
Die Zusammenarbeit ist anstrengend, wenn …
Ich bin frustriert, wenn …
Ich bin enttäuscht, wenn …
Alternativ oder in Ergänzung können Sie 10er-Skalen einsetzen, zum Beispiel: „Ich bin aktuell zufrieden auf einer Skala von 0–10. Vor einem Monat stand meine Zufriedenheit bei …“. Damit bekommen Sie nicht nur ein detailliertes Stimmungsbarometer im Team, sondern erfahren zudem, was Ihren Kollegen wichtig ist. Dies bietet allen im Team die Möglichkeit, in Zukunft besser miteinander umzugehen.
Da manche Mitarbeiter bei Wortanfängen zu Beginn reserviert sind, ist es sinnvoll, hierzu in einer ersten Runde in Präsenz oder virtuell Kleingruppen oder Breakout-Rooms zu bilden, um erst in einer zweiten Runde einen Austausch im Plenum anzustoßen.
Regeln brechen
Regeln brechen bzw. im Ursprung „Kill A Stupid Rule“ genannt, stammt von Lisa Bodell, CEO von Futurethink. Die Methode hilft Teams Hindernisse in Form von Regeln zu identifizieren und abzuschaffen. Die Mitarbeiter lernen, sich gegenseitig ein offenes Feedback zu den vorherrschenden Regeln zu geben und damit Strukturen zu hinterfragen, um langfristig die Effizienz der Arbeit und Zusammenarbeit zu erhöhen. Regeln brechen kann vor allem die Erhöhung der Leistung im Fokus haben. Sie kann jedoch auch an überkommenen sozialen Grundfesten eines Teams rütteln.
Das Feedback erfolgt in drei Phasen:
Zu Beginn schreibt jeder im Team eine Regel auf, die ihn nervt und warum. Dabei werden rote und grüne Regeln unterschieden. Bei roten Regeln handelt es sich um gesetzliche Vorschriften, die nicht verändert werden können und daher tabu sind. Alle anderen Regeln sind grün und dürfen hinterfragt werden.
Im zweiten Schritt werden die Regeln auf einer Matrix eingeordnet. Auf der linken Seite der Matrix steht „Leichtigkeit der Abschaffung“, auf der rechten Seite „Nutzen der Abschaffung“. Über beide Aspekte wird im Team diskutiert. Damit gibt es Regeln, die leicht oder schwer abzuschaffen sind und einen geringen oder hohen Nutzen bringen.
Im letzten Schritt werden die Regeln diskutiert: Welche Regeln wollen wir verändern? Wie können wir die Regeln verändern? Und welchen Effekt hätte die Veränderung?
Regeln brechen ist sicherlich keine Handtaschenmethode, sondern für erfahrene Teams geeignet. In agilen Teams wird sie durchaus spielerisch eingesetzt. Da Regeln jedoch ein Team stabilisieren, können hier durchaus heiße Diskussionen stattfinden.
Konflikt-Feedback
Die WWW-Methode
Auch die WWW-Methode lässt sich einfach merken. Die drei Ws stehen für Wahrnehmung, Wirkung und Wunsch: Was ist passiert? Wie ging es mir damit? Und welche Schlüsse ziehe ich daraus?
Die Wahrnehmung: Hier wird das Erlebte geschildert, egal, ob es um ein Meeting oder Zweiergespräch geht. Dabei sollte die Schilderung der Wahrnehmung so neutral wie möglich sein. Zum Beispiel könnte es nach einer Besprechung heißen: „In unserem heutigen Meeting äußerten sich in der ersten halben Stunde beinahe alle Kollegen. Später nur noch fünf von zehn.“ Entsprechende Fragen an die Kollegen lauten: „Was habt ihr bei dem heutigen Meeting wahrgenommen? Wie lief die Besprechung ab? Was war heute bemerkenswert?“
Die Wirkung: Nun stellt sich die Frage, wie das Wahrgenommene auf mich wirkte. Hier wird geschildert, was subjektiv betrachtet problematisch war. „Da sich in der zweiten Hälfte nur die Hälfte der Kollegen äußerte, bin ich verunsichert, wo die anderen stehen.“ Entsprechende Fragen an die Kollegen lauten: „Wie ging es dir damit? Was ging dir durch den Kopf, als du das bemerkt hast?“
Der Wunsch: Am Ende eines guten Feedbacks sollte immer ein Verbesserungsvorschlag für die Zukunft stehen. Auf unser Beispiel bezogen könnte es heißen: „Ich fände es gut, wenn jeder noch einmal kurz äußert, wie er zu dem Thema XY steht.“ Entsprechende Fragen an die Kollegen lauten: „Was würdet ihr in Zukunft gut finden?“ Oder detaillierter: „Was würde euch helfen, um in Zukunft mehr Klarheit zu haben?“
Die drei W lassen sich sicherlich nicht universal einsetzen. Die Schilderung der Wahrnehmung, Auswirkung und eines Wunsches wirken in Teams, die gut laufen, eher seltsam. Warum sollte ich Zeit damit verbringen, eine Situation zu untersuchen, wenn es emotional betrachtet allen gut geht? Außerdem muss ich wissen, wie insbesondere der Begriff Wunsch ankommt oder ob meine Leute diesen zu albern finden. Die WWW-Methode bietet sich jedoch an, wenn Probleme oder Konflikte auftauchen. Missverständnisse lassen sich damit schnell ansprechen und zumindest den Anfang einer Klärung anstreben.
Letztlich bezieht sich die Drei-W-Formel auf zwei Aspekte: Erstens ist der Dreiklang aus Wahrnehmung, Wirkung und Wunsch eine typische mediative Abfolge. Und zweitens lassen sich die drei W gut merken. Sollten Ihnen die drei W nicht gefallen, lassen sich auch andere Buchstaben finden, beispielsweise das B: Beobachtung, Befinden und Bessermachen.
Gerade über die Distanz ist es zudem schwierig, Konflikte anzusprechen. Dennoch bieten die drei W oder B, auch wenn sie nicht in einem virtuellen Meeting zu einem Fall durchgesprochen werden, eine gute Möglichkeit, dass sich Kontrahenten für sich selbst Gedanken über eine Situation machen.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Das Jahr 2020 übertraf in seiner Unberechenbarkeit – daran besteht kein Zweifel – alle Erwartungen! Was bedeutet das nun aber für den Arbeitsmarkt 2021? Unser Autor und Bewerbungsexperte Vincent G.A. Zeylmans van Emmichoven zeigt auf, wie die Jobsuche 2021 gelingen kann:
Wie finde ich 2021 einen neuen Job?
Ich will diese Frage vor allem aus der Bewerbersicht beantworten.
Es kann die Gefahr vorherrschen, dass sich Kandidaten keine Chance ausmalen, in einem neuen Job Fuß zu fassen. „In dieser Zeit der Unsicherheit, stellt doch kein Arbeitgeber ein…“ – so die Wahrnehmung. Zeit, uns das Geschehen etwas genauer anzuschauen!
Nicht alle Firmen haben Probleme
Verlierer der Epidemie
Zweifelsohne gibt es eine Reihe von Branchen, die ums Überleben kämpfen. Diese stellen kaum Mitarbeiter ein. Ich spreche hier vom Einzelhandel, dem Veranstaltungsmanagement, Reiseunternehmen, Fluggesellschaften, der Gastronomie und dem Tourismus im Allgemeinen.
Unternehmen, die sich gut schlagen
Darüber hinaus gibt es viele Unternehmen, die von Corona weniger betroffen sind. Sie verfügen über langfristige Verträge mit ihren Kunden. Vielfach werden die Dienstleistungen in der Krise genauso benötigt wie vorher. Hier denke ich an Banken, Versicherungen, Telekommunikation, Software-Unternehmen, Behörden oder auch staatliche Betriebe wie die Deutsche Bundesbahn.
Krisengewinner
Selbstverständlich gibt es auch Gewinner. Diese sind zu finden im Bereich Pharma, Gesundheitswesen, Medizintechnik (Beatmungsgeräte). Aber auch bei Zulieferern für Home-Office Ausstattungen wie Laptops, Webcams, Mikrophone, Video-Software. Dazu viele Firmen aus dem Bereich Entertainment, den Consumer Electronics, Video-Spielen. Auch Lieferdienste, Küchengerätehersteller, Paket-Services, Baumärkte. Dazu Produzenten von Fitnessgeräten, Fahrradhersteller und Zulieferer. Geld ist (vielfach) vorhanden. Wenn die Urlaubsreise nicht gebucht werden kann, wird besser gekocht, leckerer gegessen, ein neues Trekking-Bike wird gekauft oder die Wohnung neu ausgestattet.
Übertragbare Kompetenzen
Das Gebot der Stunde ist eine Bestandsaufnahme der übertragbaren Kompetenzen. Ein Branchenwechsel fällt nicht immer leicht, ist aber vielfach möglich. Wer gestern erfolgreich im Vertrieb der Automobilindustrie war, kann möglicherweise auch morgen Lösungen im Anlagenbau verkaufen. Und wer kreative Kampagnen für die Vermarktung der Seychellen entworfen hat, ist wahrscheinlich in der Lage, auch Trekking-Räder ins rechte Licht zu rücken.
Demographie
Unser stiller Unterstützer ist – nach wie vor – die Demographie. Es lohnt sich, die Zahlen immer wieder in Erinnerung zu rufen. 2020 gingen 1.4 Mio. Erwerbstätige in Rente. Dafür traten lediglich 700.000 Neuzugänge der Generation Y & Z in den Arbeitsmarkt ein.
Die andere Hälfte der Abgänge mussten oder müssen irgendwie kompensiert werden. Teils kam dieses den Unternehmen möglicherweise entgegen. Aber gewiss nicht alle Arbeitsplätze konnten unbesetzt bleiben. Deshalb haben die Arbeitgeber auch weiterhin eingestellt. Denn auch in Corona-Zeiten ist der Fachkräftemangel weiterhin ein Thema, das viele Unternehmen umtreibt.
Auch die Digitalisierung ist keine Lösung. Er herrscht mittlerweile Einigkeit vor, dass wohl genau so viele Stellen neu geschaffen werden als abgebaut.
Altbewährte Rezepte für die Jobsuche 2021
Alles in allem bewahren altbewährte Rezepte weiterhin ihre Gültigkeit:
Positionierung
Wer sich der eigenen Stärken und Schwächen bewusst ist, läuft nicht jeder Stellenausschreibung hinterher. Diese Person weiß um ihr Profil und visiert Jobs in einer bestimmten Bandbreite an. Da die Fokussierung argumentiert werden kann, überzeugen diese Kandidaten mit Authentizität.
Unterlagen
Nach wie vor sind professionelle Unterlagen unerlässlich. Sie sollten Kompetenzen und Erfolge transportieren und nur am Rande Verantwortungsbereiche, Stellenbezeichnungen und Aufgabengebiete. Die Zuständigkeit für eine gewisse Tätigkeit sagt noch nichts über die Arbeitsqualität aus!
Verdeckter Arbeitsmarkt
Ein Drittel aller Stellen werden ausgeschrieben. Der Job-Hunter weiß um die Jagd auf die verdeckten Positionen. Passende Unternehmen werden mit einer Initiativbewerbung zielgerichtet angeschrieben. Adäquate Headhunter werden kontaktiert. Und aussagefähige Profile in Business-Netzwerken ziehen Recruiter an.
Digitalisierung
Hier haben wir es in der Tat mit einer Änderung zu tun. Die meisten Interviews finden nun digital statt. Wer vor Corona einmal privat mit Skype Erfahrungen gesammelt hat, kann sich darauf nicht ausruhen. Video-Konferenzen finden wahrscheinlich über ZOOM, MS-Teams, Team-Viewer & Co. statt. Wer diese Software nicht beherrscht, sollte sie im Vorfeld testen. Das gilt genau so für die Kamera und das Mikrophon.
Damit nicht genug. Bei einem Test sollte das Gegenüber auch Rückmeldung geben zum Bildausschnitt, dem Licht sowie der Platzierung der Kamera. Vielleicht sollte der Laptop auf Bücher gestellt werden, damit das Gesicht nicht verzerrt sichtbar wird. Oder der Hintergrund muss aufgeräumt werden. Auch die Anschaffung eines Leuchtrings kann hilfreich sein.
Ein schwacher Trost in allem: Hinter dem PC kann ein Spickzettel aufgehängt werden mit den Eckpunkten für die Selbstdarstellung. Dabei gerieten Bewerber in der Vergangenheit gelegentlich aufs Glatteis, da ihnen die Struktur abhanden kam. Damit soll nun – Corona sein Dank – Schluss sein!
Weitere Beiträge zum Thema Bewerbung und Jobsuche 2021
Der Experte in Sachen BewerbungVincent G.A. Zeylmans van Emmichoven gibt Einsteigern, erfahrenen Arbeitnehmern und Quereinsteigern Tipps zum richtigen Verhalten im Bewerbungsgespräch, zum verdeckten Arbeitsmarkt und vielen weiteren spannenden Fragen rund um Bewerbung und Karriere. Damit die Jobsuche 2021 gelingt!
Über den Autor
Vincent G.A. Zeylmans van Emmichoven, Experte in Sachen Bewerbung, gibt Einsteigern, erfahrenen Arbeitnehmern und Quereinsteigern Tipps zum richtigen Verhalten im Bewerbungsgespräch, zum verdeckten Arbeitsmarkt und vielen weiteren spannenden Fragen rund um Bewerbung und Karriere. Als SZ-Jobcoach schreibt er regelmäßig für die Süddeutsche Zeitung.
Er blickt auf eine internationale Karriere als Geschäftsführer mehrerer mittelständischer Unternehmen und Konzerne (u.a. Yves Rocher und Gillette) zurück. Der Karriere-Coach hält als Gastdozent am MCI Management Center Innsbruck Vorträge zum Thema Job-Hunting, verfasst Beiträge für das Magazin FOCUS und ist Kolumnist bei der Süddeutschen Zeitung.
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Geheime Tricks für die Jobsuche
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Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Und auch im Jahr 2021 geht es weiter mit den Bunker-Chroniken, denn auch wenn wir es uns zu Beginn der Pandemie niemals hätten vorstellen können, bestimmt Corona nach wie vor unser tägliches Leben – beruflich wie privat. Auch im neuen Jahr sitzt ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung im Homeoffice. Ein positiver Trend zeigt sich: Der Umgang mit der virtuellen Arbeitswelt wird routinierter, zumindest was die technischen Begebenheiten betrifft.
Doch wie ist es um die weiteren Aspekte und Konventionen bestellt, die im virtuellen Umgang miteinander ebenfalls von Bedeutung sind? Ist es egal, wie ich vor der Kamera sitze? Kann ich mich verbal ausdrücken, wie ich will? Gelten die gewohnten Umgangsformen, wie wir sie aus Face-to-Face-Situationen kennen, auch im virtuellen Gespräch uneingeschränkt fort? Oder gibt es sogar neue Regeln für das virtuelle Miteinander? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Michael Hübler in dieser sowie in den kommenden Ausgaben seiner Bunker-Chroniken. Heute geht es um das wichtige Thema Feedback, dem besonders in der aktuellen virtuellen Arbeitsumgebung ein noch größerer Stellenwert zukommen sollte.
Warum Feedback gerade über die Distanz wichtig ist
Warum ist Feedback wichtig? In der Natur folgt auf die Handlung eines organischen Wesens ein direktes Feedback aus der Umwelt. Ein Baum „weiß“ daraufhin, wie er zu wachsen hat. Und ein Fuchs, der sich zu viele Hasenbraten einverleibt, wird sich bald eine andere Leib- und Magenspeise zulegen müssen. Rückmeldungen aus der Natur zeigen uns, ob unser Verhalten nicht nur kurz-, sondern auch langfristig sinnvoll ist. Die Natur agiert hier wertneutral. Sie denkt sich nichts dabei, meint es weder böse noch gut mit einem.
Der Mensch wiederum bekommt in der Regel kein direktes Feedback von seinem Umfeld oder redet es sich schön. Vermittelt eine Führungskraft ihren Mitarbeitern eine Hiobsbotschaft, reagieren diese entweder auf einer nonverbalen Ebene, mit einem etwas lauteren Murren, oder mit offener Gegenwehr. Gehen wir davon aus, dass letztlich jede Mitteilung in einem unendlichen Kontinuum ein Feedback ist, in diesem Fall die Rückmeldung, dass es im Stil der letzten Jahre nicht mehr weitergeht, weisen die Mitarbeiter diese Rückmeldung impulsiv zurück. Die Rückmeldung wird zu einer Rückkopplung. Die Führungskraft wiederum kann das Nonverbale ihrerseits ignorieren. Das Murren und die verbale Gegenwehr kann sie umdeuten: „Das ist mal wieder typisch. Was anderes hab’ ich sowieso nicht erwartet.“ Die Botschaft: „Vermittle uns eine solche Nachricht in Zukunft bitte anders“ oder: „Wir wollen, dass unser Leiden anerkannt wird“ wird ebenso ignoriert und kann folglich im weiteren Verlauf der Diskussion nicht berücksichtigt werden.
Damit findet weder eine verbindende Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeitern statt, noch die essentielle Rückmeldung zur Anpassung der Handlungen der Akteure. Tiere und Pflanzen können sich der Akzeptanz eines Feedbacks durch die Umwelt nicht entziehen, Menschen jedoch schon. Die Konfrontation mit einem Feedback, das uns zum Umdenken zwingt, bringt unser Gehirn auf Hochtouren: Wer gibt meinem Gegenüber das Recht zu einem Feedback? Wie meint er das? Muss ich darauf reagieren? Welche Konsequenzen zieht es für mich nach sich?
Warum ist Feedback im digitalen Raum wichtig?
In der virtuellen Zusammenarbeit wissen Mitarbeiter oft nicht, wie es einem Kollegen geht. Umso wichtiger ist es, regelmäßige Feedbackgespräche durchzuführen, um die Bindung auftrechtzuerhalten und neue Weichen zu stellen. Während im direkten Kontakt zumindest nonverbale Reaktionen wahrnehmbar und spürbar sind, fehlt uns diese Resonanz über die digitale Ferne. Halte ich ein Präsenzseminar, erspüre ich innerhalb weniger Minuten, oft sogar Sekunden die Atmosphäre im Raum. Als Trainer mache ich einen Witz und merke sofort, wie die Stimmung bei den Teilnehmern aussieht. Halte ich ein Online-Seminar, sehe ich lediglich die Gesichter meiner Teilnehmer. Einzuschätzen, wie es ihnen emotional geht und wo sich eventuell Widerstand gegen meinen Input regt, fällt mir schwer.
Neulich hielt ich einen Vortrag auf einer digitalen Konferenz vor 45 Personen. Davon beteiligten sich fünf im Chatroom. Wie es den anderen 40 erging, weiß ich nicht. In solchen Konferenzen retten wir uns über die Macht der großen Zahl. Je größer eine Menge an Menschen ist, desto größer ist die Anteilnahme und Resonanz. Dennoch bleibt der Rest im Dunkeln. In solchen Konferenzen gibt es kaum eine andere Möglichkeit als dieses Faktum zu akzeptieren. In Großveranstaltungen in Präsenz wäre es auch nicht anders. Vermutlich bietet die Digitalisierung hier sogar Vorteile. Stelle ich eine kritische Frage per Chat, muss ich mich weniger exponieren als auf einer realen Veranstaltung.
Moderieren Sie als Führungskraft ein Meeting, sieht die Sache anders aus. Hier wollen Sie mit Sicherheit von allen wissen, wie sie zu einem Thema stehen. Auch wenn sich ihre Mitarbeiter nicht äußern, erspüren Sie in Präsenz, wie Ihre Mitarbeiter ein Thema aufnehmen und bekommen damit wenigstens ein indirektes Feedback. In virtuellen Besprechungen kommen Sie nicht umhin, sich dieses Feedback aktiv einzuholen.
Feedback braucht Strukturen
Wir alle kennen die Situation: Am Ende einer Besprechung oder eines Unterpunkts stellen Sie als Moderator die Frage, wie es Ihren Leuten geht, was sie so denken oder ob jemand Einwände hat. Von zehn Personen melden sich drei oder vier. Die eine sagt: Super! Der andere meint: Bin ich nicht zufrieden damit! Und Nummer drei und vier geben eine konstruktive Kritik: Ich hätte da noch einen Vorschlag. Die restlichen sechs schweigen oder sagen: Passt schon. Und Sie als Moderator wissen nicht so recht, woran Sie sind. Die Kritik einarbeiten und weitermachen? Die Teilnehmer hatten schließlich ihre Chance. Oder nachhaken? Auf die Gefahr hin, dass nun auf der Metaebene genörgelt wird. Ich denke hier an eine Evaluation aus meiner Vergangenheit, in der stand: Der Trainer nervte mit seinen Fragen.
Eine offene Feedbackrunde macht es den Teilnehmern unnötig schwer, sich zu äußern. In einer pädagogischen Runde, die es gewohnt ist munter drauflos zu babbeln, stellen offene Runden höchtens ein Zeitproblem dar. In weniger pädagogischen Settings, noch dazu im Virtuellen, braucht es Strukturen, um das Feedback in gewünschte Bahnen zu lenken.
Kriterien zur Auswahl der Feedback-Methode
Nicht jede Feedback-Methode ist für jede Situation oder jedes Thema geeignet. Zur Auswahl einer Methode sollten Sie sich daher einige Fragen stellen:
Gruppengröße und Inhalte: In einer Gruppe von 20 Personen spielt der Zeitfaktor eine größere Rolle als bei einem Feedback in einem kleinen Team oder zu zweit. Bei einer größeren Gruppe empfiehlt es sich, eine einfache Methode auszuwählen, die Ihnen ein kurzes Stimmungsblitzlicht vermittelt. Je kleiner die Gruppe ist, desto komplexer darf es werden.
Tiefe und Differenzierung des Feedbacks: Wollen Sie lediglich erfahren, wie es den Teilnehmern geht oder wollen Sie ein detailliertes Feedback erhalten? In kleinen Gruppen lassen sich neben der Stimmung auch Fähigkeiten, Rahmenbedingungen und Interessen der Teilnehmer abfragen.
Ziele des Feedbacks: Überlegen Sie sich gut, welche Ziele Sie mit einer Methode erreichen wollen. Wollen Sie eher auf der Sachebene bleiben, den Status eines Projekts und mögliche Probleme erfahren und die Leistungen Ihrer Kollegen erhöhen? Eventuell ergibt sich aus einem leistungsbezogenen Feedback eine neue thematische Ausrichtung des Teams. Zumindest erfahren Sie, was Ihre Mitarbeiter brauchen, um effektiv und effizient voranzukommen. Oder wollen Sie die Stimmung Ihrer Leute einfangen, Probleme und Potentiale in der Zusammenarbeit bis hin zu Konflikten klären? Auch wenn sich die Ziele in der Praxis überlappen, ist es wichtig zu wissen, was Sie primär mit einer Feedbackrunde erreichen wollen.
Je nach Gruppe, Situation und Thema eignen sich unterschiedliche Feedback-Methoden. Die folgenden Tools geben Ihnen Anregungen, wie Sie ein Feedback erfolgreich im Rahmen eines virtuellen Meetings einbauen. Scheuen Sie sich nicht davor, die Feedback-Methoden zu modifizieren und zu kombinieren, um sie auf Ihre Umstände anzupassen.
Stimmungs-Feedback
Die Hashtag-Methode
In großen, sich regelmäßig treffenden Gruppen oder Teams ist es oft unüblich überhaupt Feedbackrunden durchzuführen. Zum einen reicht die Zeit nicht. Zum anderen finden es einige Teammitglieder seltsam. Das wöchentliche Meeting von einer Stunde mit 15 Minuten Stimmungsbarometer zu verbringen? Sind wir hier im Kindergarten?
Vor einigen Jahren stieß ich auf die Hashtag-Methode. Hashtags sind, wie die meisten wissen, Schlagworte, um einen Beitrag in den sozialen Medien oder einen Artikel in einem Weblog zu beschreiben. Seitdem beende ich große Sitzungen mit 20 Personen oder mehr ab und zu mit einer Hashtagrunde: Nenne mir drei Begriffe, die dir gerade einfallen. Das Ganze soll durchaus etwas Intuitives haben. Manche Menschen tun sich jedoch schwer mit spontanen Äußerungen. Daher gebe ich meistens ein paar Vorgaben, um zu verdeutlichen, was alles erlaubt ist. Satt, müde, zufrieden, verwirrt, enttäuscht, hungrig, erleichtert oder motiviert.
In großen Runden kann ich auf negative Äußerungen in der Regel aus Zeitgründen nicht eingehen. In kleinen Teams, die sich regelmäßig virtuell treffen, sollten Sie auf negative Meldungen freilich eingehen.
Der Wetterbericht
Eine Variante der Hashtag-Assoziationen ist der Wetterbericht. Ich kenne Teams, die vor einer Teamsitzung ihren persönlichen Wetterbericht mitteilen: Regen, Schauer, Graupel, Wolken, Sonne, Wind, Sturmböen, usw. Damit wissen die Teammitglieder nicht nur, wie ihre Kollegen heute stimmungsmäßig unterwegs sind, sondern können gegebenenfalls nachhaken, wo der Schuh drückt.
Leistungs-Feedback
Die Ampel-Methode
Die Ampel-Methode ist eine einfache Möglichkeit, neben der Stimmung in einem Team einige Gründe für die Stimmungen zu erfahren. Dazu können Sie drei Karten mit den Ampelfarben hochhalten und nacheinander abfragen:
Die Farbe Grün spricht die positive Entwicklung eines Produkts oder einer Dienstleistung an: „Ich finde gut, dass …“
Rot dagegen zeigt auf, wo es Probleme gibt: „Ich finde weniger gut, dass …“
Die Farbe Gelb zeigt an, was wir tun sollten, um wieder zu Grün zu kommen: „Ich schlage folgende Verbesserung vor …“
Das Navicon-Modell
Das Navicon-Modell von Eppler und Kernbach aus ihrem Buch Meet up! bietet die Möglichkeit, Diskussionsprozesse in Meetings mit der Beteiligung aller Teilnehmer sinnvoll zu strukturieren. Dazu malen sich die Teilnehmer in Präsenz oder online einen gut sichtbaren Pfeil auf eine Karte. Alternativ lassen sich auch die Daumen nehmen. Hat der Moderator das Gefühl, dass eine Diskussion bei einem Thema stockt, fragt er sein Team, was es gerade braucht:
Der Pfeil nach oben bedeutet: Wir brauchen einen besseren Überblick. Welche Priorität nimmt das aktuelle Thema im Vergleich zu anderen Themen ein? Verzetteln wir uns? Oder lohnt es sich, weiter zu diskutieren?
Der Pfeil nach unten bedeutet: Wir brauchen mehr Details, um mehr Klarheit zu bekommen.
Der Pfeil nach links bedeutet: Wie sind wir hierher gekommen? Wie konnte sich das Thema so entwickeln?
Der Pfeil nach rechts bedeutet: Was sollten wir tun, um einen Schritt weiter zu kommen? Welche Entscheidungen sollten wir treffen, vielleicht auch temporär, um Fakten zu schaffen? Und wie lautet dieser nächste Schritt?
Der Einsatz der Pfeile braucht insbesondere online ein wenig Gewöhnung, vor allem um die Links-Rechts-Pfeile richtig einzusetzen und zu deuten. Dann jedoch lässt sich das Navicon-Modell insbesondere in Meetings beinahe universell einsetzen, um die Effektivität und Effizienz eines Teams zu fördern.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache”, “Proaktives Führen” und “Virtuelles Feedback in Teams” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Unternehmer, Selbstständige und Führungskräfte leben in einer verrückten Zeit. Dank der Digitalisierung verschwimmen Arbeits- und Berufsleben zunehmend. Arbeit ist immer und vor allen Dingen überall. Höchste Zeit, sich und sein Unternehmen mit den passenden Werkzeugen neu aufzustellen.
Lars Bobach ist Mehrfachunternehmer, Autor, Podcaster und Business Angel. Seine Unternehmungen haben die Schwerpunkte Handwerk, Online Marketing und Digitalisierung. In seinem soeben erschienenen Buch 7 Geheimnisse erfolgreicher Unternehmer verrät er die entscheidenden Stellschrauben, die Unternehmern, Selbstständigen und Führungskräften zu mehr Freiheit und einem selbstbestimmten, entspanntem Leben, ganz ohne Stress und Hamsterrad verhelfen.
In einem kurzen Interview hat er sich unseren Fragen gestellt. Die Antworten dazu verrät er im Video:
Zeit – Frage 1
Lieber Herr Bobach, Sie sind selbst mehrfacher Unternehmer in unterschiedlichen Branchen, führen gleichzeitig einen erfolgreichen Podcast, halten Vorträge, haben ein Buch geschrieben … Hat Ihr Tag mehr Stunden als meiner?
Nein, das hat er sicherlich nicht. Was ich aber mache und was ich gelernt habe über die Jahre ist, dass der Fokus entscheidend ist. Gerade wenn man viele Dinge macht, muss man fokussiert sein auf die Dinge, die wirklich wichtig sind und die Bereiche betreffen – sei es beruflich oder privat–, in denen man nach vorne kommen will. Darauf sollte man den Fokus setzen.
Und die ganzen anderen Dinge, die “laut” sind – und einfach nur dringend und überhaupt nicht wichtig –, die sollte man ignorieren. Und ich glaube darin bin ich relativ gut.
Dann darf man natürlich nicht vergessen, ich habe Mitarbeiter, ein tolles Team, das mich unterstützt und mir in vielen, vielen Bereichen den Rücken freihält.
Organisation – Frage 2
Wie gelingt es Ihnen, die vielen unterschiedlichen Bälle in der Luft zu halten, ohne dass Ihnen ein wichtiger Ball herunterfällt?
Eine sehr gute Frage. Bälle, die ständig herunterfallen, das krieg’ ich in meinen Workshops immer mit, das sind häufig die privaten Bereiche. Nämlich wenn es etwas gibt, dass wir Unternehmer immer vernachlässigen, dann sind das sehr oft wir selbst.
Wir kümmern uns zu wenig um uns, um unsere Gesundheit, um unsere Interessen. Wir stellen immer andere Dinge, gerade die der Firma, voran oder geben denen eine höhere Priorität.
Damit das nicht passiert und damit die “Bälle nicht herunterfallen”, ist natürlich eine Lebensplanung ganz wichtig.
Und da hab ich ja die Lebensplanung mit dem “Navi fürs Leben” für mich erfunden; das gebe ich ja auch in meinen Workshops weiter. Und genau da nehme ich mir die Zeit für Reflexion. Die Zeit, zu sehen, welche Lebenskonten, welche Lebensbereiche habe ich denn, wo die Bälle herunterfallen könnten. Wo muss ich mich drum kümmern. Und durch die Zeit der Reflexion mit dem “Navi fürs Leben” – da sage ich immer, man fliegt auf 30.000 Fuß Flughöhe – dadurch behalte ich den Überblick. Dann fallen auch keine Bälle herunter.
Selbstständigkeit – Frage 3
Das Wortspiel „Selbstständig kommt von selbst und ständig“ haben Sie sicherlich schon hundertfach gehört. Ist das denn tatsächlich so? Mir scheint, Sie treten dafür ein, das Gegenteil beweisen zu wollen?
Das ist ein limitierender Glaubenssatz: “Wer selbstständig ist, muss ‘selbst’ und ‘ständig’ arbeiten”. Dem ist einfach nicht so! Genau dafür bin auch angetreten: Ich will das Gegenteil beweisen!
Das ist mein großes Ziel. Ich möchte mit meiner Akademie 100.000 Unternehmern helfen und damit 100.000 Leuchttürme aufbauen! Leuchttürme, die zeigen: Unternehmertum geht anders!
Und wirklich wieder Unternehmer als Vorbilder bauen. Damit die Jugend wieder sagt: das ist ein Unternehmer, der hat ein Leben, das möchte ich auch!
Wenn man sich das heute anschaut: Im Tatort etwa ist der Bösewicht immer ein Unternehmer! Unternehmer werden nie positiv dargestellt. Ich bin also angetreten, um zu zeigen: Unternehmertum ist etwas Positives und wir brauchen diese Leuchttürme, die nicht ‘selbst’ und ‘ständig’ arbeiten, sondern die tolle Dinge machen, die die Welt verändern – und vielleicht sogar die Welt retten. Genau das ist mein Anspruch.
Führung – Frage 4
Ihr Buch richtet sich in erster Linie an Unternehmer, Selbstständige und Freiberufler. Doch auch viele Führungskräfte sind mit den darin geschilderten Aufgaben, Dilemmas und Problemen konfrontiert. Insofern lese ich aus Ihrem Buch auch heraus, dass eigentlich nur, wer sich selbst gut führt, auch andere gut führen kann. Würden Sie dem zustimmen?
Genauso wie Sie sagen, funktioniert es: Führung fängt mit Selbst-Führung an.
Ich muss mich selbst gut führen, ich muss mich selbst gut managen und deshalb ist Selbstmanagement ja auch so wichtig. Ich stehe hundertprozentig hinter meinem Spruch: Ein gutes und erfolgreiches Leben gelingt nur mit gutem Selbstmanagement.
Die Tipps im Buch – auch wenn es sich an Unternehmer richtet – sind selbstverständlich auch für alle Führungskräfte relevant.
An die Leser – Frage 5
Was möchten Sie Ihren Lesern mit auf den Weg geben, vielleicht auch insbesondere denjenigen, die mit dem Gedanken an eine Unternehmensgründung spielen? Was würden Sie ihnen empfehlen?
Jeder sollte sich mal wieder zurückerinnern und sich in sich selbst als Kind oder als Jugendlicher hineindenken: Wir wollten doch Abenteuer erleben. Wir wollten doch Abenteurer sein. Wir sind aufgeblüht, wenn es spannend wurde.
Und genau das ist es, was wir als Unternehmer auch können: Wir können weiter dieser Abenteurer sein. Wir sind nicht in irgendeiner künstlichen Komfortzone, die ja eigentlich gar nicht existiert. Nein, wir sind Abenteurer, wir gehen die Dinge an, die auch mal schiefgehen können. Aber das hat uns doch als Kind oder Jugendlicher auch nicht gestört. Wir können uns ausprobieren, wir sind Abenteurer.
Jeder, der darüber nachdenkt, Unternehmer zu sein, den kann ich nur dazu raten: Mach es! Es ist eine tolle Sache! Du bleibst der Abenteurer in deinem Leben.
[Antworten von Lars Bobach: Abschrift des Original-Audios]
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Und auch im Jahr 2021 geht es weiter mit den Bunker-Chroniken, denn auch wenn wir es uns zu Beginn der Pandemie niemals hätten vorstellen können, bestimmt Corona nach wie vor unser tägliches Leben – beruflich wie privat. Auch im neuen Jahr sitzt ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung im Homeoffice. Ein positiver Trend zeigt sich: Der Umgang mit der virtuellen Arbeitswelt wird routinierter, zumindest was die technischen Begebenheiten betrifft.
Doch wie ist es um die weiteren Aspekte und Konventionen bestellt, die im virtuellen Umgang miteinander ebenfalls von Bedeutung sind? Ist es egal, wie ich vor der Kamera sitze? Kann ich mich verbal ausdrücken, wie ich will? Gelten die gewohnten Umgangsformen, wie wir sie aus Face-to-Face-Situationen kennen, auch im virtuellen Gespräch uneingeschränkt fort? Oder gibt es sogar neue Regeln für das virtuelle Miteinander? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Michael Hübler in dieser sowie in den kommenden Ausgaben seiner Bunker-Chroniken. Heute geht es weiter mit dem Thema: Ziele in Meetings.
Ziele in Meetings
In diesem Artikel geht es weniger um allgemeine Verhaltensregeln in Webkonferenzen. Dass sowohl das Telefon während eines Meetings als auch das Mikrofon, wenn ich nicht spreche, ausgeschaltet sein sollten, hat sich bereits herumgesprochen. Andernfalls würden die anderen Teilnehmer stetig mit meinem Husten, Schnäuzen oder dem Tippen von Notizen beglückt werden. Auch auf Lichtverhältnisse, die Kameraposition, die Körpersprache oder Kleidungswahl möchte ich hier nicht eingehen. Dazu gibt es bereits reichlich Informationen zur Netiquette von Videokonferenzen im Netz. Stattdessen möchte ich mir mit Ihnen anschauen, was in virtuellen Konferenzen im Vergleich zu Präsenzmeetings anders ist, worauf Sie achten sollten und welche Möglichkeiten bzw. Tools es aktuell auf dem Markt gibt, um Besprechungen über die Distanz möglichst gewinnbringend zu nutzen.
Bevor wir uns damit beschäftigen, auf was wir in virtuellen im Vergleich zu normalen Meetings achten sollten, ist es sinnvoll, uns zu verdeutlichen, welche Ziele wir in Besprechungen verfolgen. Summa summarum haben Meetings drei zentrale Ziele:
Informationsaustausch: In voragilen Zeiten bekamen die Mitarbeiter Informationen über neu geplante Vorgehensweisen oder Beschlüsse des Unternehmens. Und Führungskräfte bekamen Informationen von der operativen Front, wie Beschlüsse umgesetzt werden oder wurden. In agilen Teams, in denen der Austausch auf Augenhöhe stattfinden, können Informationen aus dem Team durchaus auch den Zweck verfolgen, die Führungskraft auf neue Ideen zu bringen. Der Austausch wird damit wesentlich flüssiger und weniger hierarchisch, im Sinne eines runden Tischs.
Entscheidungsebenen: Ein wichtiger Aspekt von Meetings, in denen Informationen ausgetauscht werden, sind Entscheidungen. Dazu sollte sich ein Team klar machen, welche Entscheidungen man gemeinsam trifft und bei welchen man mehr oder weniger lediglich die Umsetzung delegiert. Aus der Management-Literatur kennen wir die Unterscheidung zwischen normativen, strategischen und operativen Zielen. Normative Ziele drehen sich um die Ausrichtung eines Unternehmens: Mission, Vision und gelebte Wertehaltungen wie beispielsweise eine nachhaltige Produktion. Strategische Ziele befassen sich damit, wie normative Ziele umgesetzt werden. Soll ein Team dafür sorgen, dass sich der Marktanteil bei einem Produkt als strategisches Ziel um 10 Prozent erhöht, wurden hierzu früher klare Vorgaben vom Topmanagement gemacht, die anschließend im operativen System umgesetzt wurden. In agilen Teams ist der Austausch zwischen strategischer und operativer Ebene fließender als früher. Ein Teamleiter kann aus den Erfahrungen der Umsetzung von Zielen im Arbeitsalltag eine Menge Informationen ziehen, die auch für Hierarchieebenen über ihm/ihr von Bedeutung sein können. Sind die 10 Prozent realistisch? Oder geht sogar noch mehr? Wie lassen sich die 10 Prozent erreichen und was benötigt ein Team dafür? In Meetings ist es daher für Teamleiter wichtig, die Entscheidungsebenen klar zu trennen, damit die Teammitglieder wissen, worüber gerade diskutiert wird.
Bindung: Darüber musste früher niemand nachdenken. Denn die Bindung über den Austausch der Mitarbeiter fand in Präsenzmeetings automatisch statt. In virtuellen Besprechungen gibt es diese Bindung nicht mehr als Gratiszugabe. Umso wichtiger ist es, sich dessen bewusst zu sein, wie wichtig es ist, zumindest ein wenig Bindung über regelmäßige digitale Jour fixes aufrechtzuerhalten. Eine weitere Möglichkeit zur Erhöhung der Teambindung bieten offene Videokonferenzen, im Sinne eines offenen Pausenraums am Anfang und Ende des Meetings. Digitale Konferenzen mögen aufgrund ihrer klaren zeitlichen Taktung extrem effizient sein. Die Wichtigkeit der Bindung der Mitarbeiter zueinander durch Smalltalk sollte jedoch nicht unterschätzt werden, um zukünftigen Missverständnissen oder sogar Konflikten vorzubeugen.
Videokonferenzen, Desktop Sharing und Kollaborationsplattformen
Virtuelle Meetings werden in der Regel über Videokonferenz-Tools wie Zoom, Big Blue Button, Mikogo, GoToMeeting, Google Hangouts, Cisco Webex, Microsoft Teams, Hop-in, Adobe Connect Meetings, Skype, Jitsi Meet, Whereby, SocialHubMeet, Fast Viewer oder Team Viewer abgehalten, um an dieser Stelle die bekanntesten zu nennen. Eine detaillierte Analyse der Angebote erspare ich mir an dieser Stelle, zumal die Tools sich stetig weiterentwickeln. Spannender ist die Frage, was Sie brauchen, um ein gutes Meeting abzuhalten. Dazu sind aus meiner Sicht sieben Faktoren wichtig: Die Frage nach der Moderatorenrolle, der Austausch über Chat- und Breakoutrooms, die interaktive Beteiligung des Teams, die Aufzeichnung von Meetings, die kooperative Zusammenarbeit an Dokumenten sowie die Möglichkeit, Inhalte und Dokumente im Sinne eines Wissensspeichers fortlaufend zu bearbeiten:
1. Wechselnde Moderatorenrolle
Bei den meisten Angeboten kann der einladende Moderatorenhut an Kollegen abgegeben werden. Dies ist wichtig, um die Gefahr einer Einbahnstraßenkommunikation zu vermeiden.
2. Austausch über Chatrooms
Bei Videokonferenzen steht der Austausch unter den Kollegen im Vordergrund. Da dieser nicht ohne weiteres in virtuellen Settings in Fluss kommt, bieten Videokonferenztools in der Regel Chatunktionen an. Ein System wie Big Blue Button bietet den Teilnehmern zusätzlich die Möglichkeit, über Symbole wie Daumen hoch oder Applaus ein Feedback zu geben und ermöglicht damit sogar kleine Abstimmungen.
3. Interaktive Beteiligung des Teams
Mit Big Blue Button können zudem im Rahmen einer Präsentation die Teilnehmern in gezeigte Folien hineinschreiben. Dies kann in Meetings vielfältig genutzt werden, um sowohl die Stimmung als auch Meinungen im Team abzufragen. Alternativ kann es sinnvoll sein, zu einfachen Videokonferenztools wie Zoom oder Jitsi zusätzliche Plattformen bei beispielsweise Mentimeter zur Erstellung von Kartenabfragen, Umfragen oder interaktiven Präsentationen einzusetzen.
4. Breakout-Room
Teilnehmer in Breakout-Rooms reflektieren zu lassen fördert nicht nur die Aktivierung, Beteiligung und den Austausch in Kleingruppen, sondern bietet durch die Bildung spezifischer Untergruppen auch die Möglichkeit einer temporären themenspezifischen Aufteilung des Teams.
5. Aufzeichnung des virtuellen Meetings
Die Aufzeichnung eines Meetings ist insbesondere für Teammitglieder interessant, die nicht anwesend sein können.
6. Kooperative Arbeit an Dokumenten
Wollen Sie Dokumente im Team nicht nur präsentieren, sondern auch gemeinsam bearbeiten, bieten sich mehrere Möglichkeiten an. Zum einen können Sie eher klassische Desktop-Sharing-Systeme wie Fast Viewer oder Team Viewer nutzen, die zusätzlich zu Videokonferenzen die Möglichkeit bieten, auf andere Computer zuzugreifen. Potenziell ist dies allerdings eher bei einer kooperativen Arbeit zu zweit sinnvoll, wenn Mitarbeiter beispielsweise im Homeoffice nicht weiterkommen und nicht wissen, welche Fragen sie formulieren sollen. Bei der Plattform GoToMeeting wiederum kann tatsächlich online gemeinsam an Dokumenten gearbeitet werden. Da klassische Videokonferenztools wie Zoom, Jitsi oder Big Blue Button diese Möglichkeit bis auf eine Chatfunktion nicht bieten, kombiniere ich diese Videokonferenztools persönlich in Seminaren oder Konferenzen mit weiteren kollaborativen Plattformen, beispielsweise
Google Docs zur gemeinsamen Arbeit an Dokumenten,
Mindmeister zur gemeinsamen Erstellung von Mindmaps
Padlet als vermutlich bekanntester Internet-Pinwand, auf der Informationen oder Rückmeldungen online gesammelt werden oder
Trello als interaktivem Kanban-Board, das insbesondere für virtuelle, agile Teams eine hilfreiche und vor allem fortlaufende Begleitung und visuelle Unterstützung von Meetings darstellt.
Eine weitere Lösung zur virtuellen, interaktiven Zusammenarbeit bietet die Plattform Slack, in der kostenlosen Version ein relativ einfacher, aber schicker Messengerdienst, den ich zur Strukturierung von Inhalten nutze. Sie können in Slack die Agenda eines Meetings hochladen, auf weiterführende Links als zusätzliches Informationsmaterial verweisen, Meeting-Themen in Unterpunkten strukturiert einstellen und die Ergebnisse direkt online festhalten, sowohl für Nicht-Anwesende zum Nachlesen als auch für später. Selbstredend kann in Slack auch in den Chatrooms diskutiert werden, wodurch es zu einer cleveren Alternative zu Massen-Mails wird.
7. Fortlaufende Agenden zur Wissensbewahrung
Während manche Zusatztools wie Google Docs oder Mindmeister dafür geeignet sind, nicht nur aus dem auf Dauer ermüdenden Setting der Videokonferenz herauszukommen, sondern auch die Teilnehmer zu aktivieren und zur kollaborativen Zusammenarbeit anzuregen, bietet eine Plattform wie Slack zusätzlich die Möglichkeit, Agenden fortlaufend zu gestalten. An dieser Stelle bringt uns die Digitalisierung einen wirklichen Mehrwert. Kreative Tools wie Mindmeister oder Mentimeter bieten uns mehr oder weniger einen Ersatz dafür, was ansonsten vor Ort mittels Stift und Papier stattfinden würde. Plattformen wie Trello oder Slack, auf denen Informationen dauerhaft gespeichert und fortlaufend ergänzt werden, machen aus einem Meeting eine Art Wikipedia zur Einbindung in vorhandene Wissensmanagementsysteme. Das Wissen, das man in Meetings generiert und verteilt, lässt sich dank der digitalen Helferlein nun wesentlich leichter bewahren und weiterentwickeln.
Analoge vs. virtuelle Meetings
Vieles, was für Präsenz-Meetings gilt, gilt auch im Virtuellen:
die klare Formulierung der Themen inklusive Ziele und Erwartungen
ein pünktlicher Beginn, der hier sogar leichter durchzusetzen ist, wenn die Besprechung aufgezeichnet wird
die Verteilung von Rollen wie Moderator, Protokollführer oder Zeitwächter
Während Präsenzmeetings jedoch flexibel und universell handhabbar sind, muss ich mir in Online-Meetings nicht zuletzt aufgrund der Limitierung der Plattformen gut überlegen, was ich in welchem Rahmen bespreche. Anstatt uns über die Begrenztheit der Möglichkeiten des einen oder anderen Tools zu ärgern können wir dies auch als Chance sehen, um mehr Klarheit in Konferenzen zu bringen. Klare Ablauf-Strukturen und eine deutliche Formulierung der Themen sind online noch wichtiger als bisher, da die Teilnehmer an virtuelle Meetings höhere Ansprüche an die Effizienz der Besprechung stellen. Fällt der Smalltalk weitgehend weg, dienen Meetings im Digitalen vor allem der zackigen Klärung der anstehenden Themen. Die Nutzung digitaler Plattformen legen es zudem nahe, sich gut zu überlegen, in welchem Rahmen ein Thema im Team besprochen oder vorbesprochen werden sollte. Muss ein Thema wirklich im gesamten Team geklärt werden oder reichen Untergruppen, die anschließend ein Fazit präsentieren?
Die Struktur und Stringenz in Meetings sind auch deshalb so wichtig, da die Gefahr paralleler Tätigkeiten größer ist. Wenn einen Teilnehmer etwas nicht interessiert, sieht es schließlich niemand, wenn ich schnell ein paar E-Mails checke. Umso wichtiger, vorab zu klären, in den synchronen Meetings mittels Videokonferenzen oder kollaborativen Plattformen ausschließlich zu besprechen und zu bearbeiten, was für alle Anwesenden relevant ist und alles andere in asynchrone Plattformen des Austauschs zu verlagern.
Werden Messenger-Dienste wie Slack genutzt, ist es zudem nicht mehr notwendig, Meeting-Agenden eine Woche vorher rundzumailen, wenn sie ohnehin fortlaufend sind. Die Teilnehmer können sich stetig darüber informieren, wie die Sachlage gerade aussieht, sich bereits vorab Gedanken machen, Informationen einholen oder Fragen stellen. Hintergrundinformationen müssen nicht mehr per E-Mails verteilt werden, sondern können bequem von der Cloud abgerufen werden. Die tatsächlichen Meetings als Videokonferenz werden damit enorm entschlackt. Im Anschluss kann die Bildung von Untergruppen über Plattformen zu einem dauerhaft verbindenden, kontinuierlichen System werden.
Der Ablauf in Meetings pro Thema erfolgt in Präsenz-Besprechungen i. d. R. nach dem Schema: Information zu einem Thema, Meinungsbildung (sofern eine Entscheidung ansteht), Beschlussfassung und Planung der Umsetzung. Informationen sollten man sich im digitalen Zeitalter allerdings vorab besorgen. Eine Meinungsbildung kann ebenso vorab geschehen, sofern man dies klar und deutlich kommuniziert. Sodass sich ein Team im virtuellen Meeting auf die Aspekte der Diskussion und Beschlussfassung sowie der Planung der nächsten Schritte konzentrieren kann. Dies spart selbstredend eine Menge gemeinsame Zeit und damit in der Regel auch Frust und Ärger.
Bei heiklen Themen sollte die Moderation des Meetings fit genug sein, die Klärung von Missverständnissen an anderer Stelle fortzusetzen, sofern diese lediglich Einzelpersonen betreffen, oder eine Sondersitzung einzuberufen, wenn es um das gesamte Team geht. Kleine Missverständnisse können auch virtuell geregelt werden. Einzelkonflikte können oftmals per Telefon geklärt werden. Um größere Konflikte zu besprechen empfehle ich nach wie vor nach Möglichkeit Präsenztermine zu vereinbaren.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr hier.
Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Und auch im Jahr 2021 geht es weiter mit den Bunker-Chroniken, denn auch wenn wir es uns zu Beginn der Pandemie niemals hätten vorstellen können, bestimmt Corona nach wie vor unser tägliches Leben – beruflich wie privat. Auch im neuen Jahr sitzt ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung im Homeoffice. Ein positiver Trend zeigt sich: Der Umgang mit der virtuellen Arbeitswelt wird routinierter, zumindest was die technischen Begebenheiten betrifft.
Doch wie ist es um die weiteren Aspekte und Konventionen bestellt, die im virtuellen Umgang miteinander ebenfalls von Bedeutung sind? Ist es egal, wie ich vor der Kamera sitze? Kann ich mich verbal ausdrücken, wie ich will? Gelten die gewohnten Umgangsformen, wie wir sie aus Face-to-Face-Situationen kennen, auch im virtuellen Gespräch uneingeschränkt fort? Oder gibt es sogar neue Regeln für das virtuelle Miteinander? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Michael Hübler in dieser sowie in den kommenden Ausgaben seiner Bunker-Chroniken. Heute geht´s los mit dem Thema: Körpersprache in virtuellen Meetings.
Ist die Körpersprache im virtuellen Kontext noch wichtig?
In Präsenzveranstaltungen hieß es bisher: Das Gehirn Ihres Gegenübers erreichen Sie mit Ihren Worten. Sein Herz erreichen Sie mit Ihrem Auftreten. Dazu zählen Ihre Stimme genauso wie Ihre Körperhaltung, Gesten und Mimik. Die Bedeutung und Wirkung unserer Stimme gerade für eine Kommunikation auf Distanz beschrieb ich bereits in zwei weiteren Expert Talks. Der Bedeutung und Wirkung unserer Körpersprache widmen wir uns in diesem Talk.
Zwar sehen wir in einer Videokonferenz vor allem die obere Körperpartie, die Mimik ist in ihrer Schnelligkeit und Kürze des Gezeigten eher schwer zu erkennen, die Gesten der Hände sind je nach Weitwinkel der Webcam meistens abgeschnitten und die Körperhaltung beschränkt sich auf das Sitzen im Sessel. Dennoch sehen wir zum einen genau das, auch wenn es wenig ist. Zum anderen wirken sich Gesten und Haltung auf unsere Stimme und damit auf das Gesagte aus. Es macht folglich auch im Homeoffice einen Unterschied, wie wir dasitzen und ob wir ein Thema körpersprachlich begleiten.
Auch im Homeoffice gilt daher: Das Gesagte erreicht das Gehirn unserer Zuhörer. Wie wir etwas sagen macht uns sympathisch, empathisch oder durchsetzungsfähig.
Im Überblick lässt sich für eine angenehme Wirkung auf andere Personen festhalten:
In der Körpersprache gibt es drei Grundhaltungen: Überspannung, Unterspannung und die goldene Mitte. Überspannte Menschen können dominant, wütend oder ängstlich sein, mindestens aber in dieser Situation angespannt, unruhig und evtl. überreizt. Die Unterspannung deutet auf Trägheit oder Enttäuschung hin – ebenfalls keine gute Basis für ein produktives Gespräch. Bleibt noch die goldene Mitte übrig, gekennzeichnet durch offene Arme und eine angemessene Körperspannung, was auf die Offenheit hindeutet, sich intensiv miteinander auszutauschen. Halten Sie Ihre Schultern gerade. Seien Sie körperlich präsent und achten Sie auf eine offene Haltung. Stellen Sie sich vor, dass Sie Ihren Gesprächspartnern auch körperlich etwas mitteilen wollen.
Halten Sie Ihren Kopf gerade. Das ist gut für den Kehlkopf und suggeriert eine optimistische Körpersprache.
Unterstreichen Sie Ihre Wörter mit den Ihnen gewohnten Gesten. Unterstützende Gesten heißen nicht umsonst Illustratoren. Stören Sie sich nicht daran, dass Ihre Gesten evtl. nicht gesehen werden. Sie werden stattdessen gehört.
Ein Lächeln wird überall auf der Welt als Signal des Wohlwollens verstanden. Lächelt Sie ein Mensch herzlich an, was Sie am breit nach oben gezogenen Mund und den verengten Augen inklusive der kleinen Lachmuskeln um die Augen herum erkennen, ist das Lächeln echt. Ein Lächeln ist die kürzeste Verbindung zwischen den Menschen. Sollte Sie ein Thema präsentieren oder einen Bericht abliefern, zu dem Sie wenig Bezug haben, wird sich kaum ein Lächeln ergeben. Vielleicht finden Sie dennoch einen positiven Zugang zu diesem Thema. Einen einzelnen Aspekt. Die Tatsache, dass Sie die Präsentation bald hinter sich haben. Oder die Neugier, wie das Thema bei Ihren Kolleginnen undKollegen ankommt.
In der Neurobiologie gibt es zudem ein Prinzip namens facial oder body feedback: Wenn Sie sich ein paar Sekunden selbst anlächeln, wird sich Ihre Stimmung heben, egal ob Sie zuvor gut gelaunt oder genervt waren. Dasselbe gilt für unsere Körperhaltung: Wenn Sie sich aufrecht hinsetzen werden Sie sich auch standhafter fühlen, als wenn Sie sich in Ihren Sitz fläzen. Ich weiß natürlich, wie bequem es Zuhause sein kann. Keine Konventionen. Kein Dresscode. Draußen stürmt es und Ihre Füße gerade im Winter gemütlich in eine Decke gepackt. Dennoch: Das Meeting dauert nicht ewig. Und im Anschluss dürfen Sie gerne wieder im Sessel versinken.
Dennoch gilt: Verlassen Sie sich im Homeoffice nicht auf die Wirkung Ihrer Körpersprache. Gerade, wenn Sie sich durchsetzen wollen, ist es sinnvoll, dies auch sprachlich zu tun.
Signale der Durchsetzung
Dominanz und Durchsetzung erfordern normalerweise einen großen Raum, um ihr Territorium zu kennzeichnen. Wir erkennen dies daran, dass dominante Menschen sich auf die Tische der Kolleginnen und Kollegen setzen, ihnen auf den Pelz rücken oder in der U-Bahn mithilfe ihrer Arme zwei Plätze beanspruchen. Dies ist in Webkonferenzen nicht möglich. Große Gesten wirken hier schnell affig. Was also bleibt uns hier übrig, um eine gute Präsentation hinzulegen, in einer Webkonferenz den Ton anzugeben oder zu signalisieren, in einer Diskussion an der Reihe zu sein?
Die meisten Zeichen der Dominanz wie Augenfunkeln, ein konzentrierter bis stechender Blick, zusammengepresste Lippen oder Zähne sind in Videokonferenzen zum einen kaum wahrnehmbar oder könnten zum anderen seltsam aufgenommen werden. Warum strengt der sich so an? Ist doch bloß eine Videokonferenz. In der Tat dient Dominanz der Ausdehnung eines Reviers, tatsächlich oder geistig. Dies erscheint in virtuellen Settings fehl am Platz. Dennoch gilt es, sich im Rahmen von Diskussionen Gehör zu verschaffen. Dazu lassen sich vor allem die Hände auf allerlei Arten einsetzen. Ihre Hände können ein Stop-Signal senden, sich melden, eine Kritik abwehren oder mit der flachen Hand beschwichtigend einwirken. Handsignale sind gerade in Videokonferenzen am leichtesten zu sehen. Es gibt einige Experten, die den Tipp geben, für mehr Spielraum der Hände die Kamera weiter weg zu rücken. Damit ist allerdings ihre Mimik schlechter zu sehen. Sie müssen sich also entscheiden: Mimik oder Hände.
Daneben ist auch Ihre bereits erwähnte Körperhaltung, insbesondere ein aufrechtes Sitzen und eine gerade Linie zwischen Rückgrat, Hals und Kopf essenziell, um deutlich zu machen, dass Sie nicht nur präsent sind, sondern sich auch beteiligen wollen.
Kopf und Oberkörper stark nach vorne zu neigen zieht zwar ebenso Aufmerksamkeit auf sich, wirkt jedoch gerade in Webkonferenzen schnell zu aufdringlich und bedrohlich. Die Körpersprache wird hier als eher negativ bewertet.
Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist das Prinzip der lässigen Dominanz, indem Sie sich gemütlich Stuhl fläzen oder die Arme hinter dem Kopf zu kreuzen, was von vorne aussieht wie eine Kobra. In Ausnahmesituationen, beispielsweise in Zweiergesprächen, könnten Sie sogar die Beine hochlegen. Die Gefahr, arrogant zu wirken, ist natürlich enorm. Für kurze Videokonferenzen mit Personen, die Sie nicht gut kennen, kann ich eine solche Haltung daher auch nicht empfehlen. In langen virtuellen Settings mit guten Kolleginnen und Kollegen kann es gut sein, dass sich niemand etwas dabei denkt, wenn Sie sich ein paar Minuten lässig-dominant zurücklehnen.
Signale des Erstaunens
Ein weiteres mögliches Signal, um sich Gehör zu verschaffen, bezieht sich auf die Zwischen-Emotion des Erstaunens. Die Überraschung ist eine relativ kurze Emotion, die sich entweder in Richtung Angst oder Freude und Erleichterung entwickelt. So können Sie eine Verblüffungsschnute aufsetzen, indem Sie die Augen aufreißen, Ihre Pupillen weiten, die Augenbrauen nach oben ziehen, mit horizontalen Stirnfalten, eine Hand vor den Mund nehmen oder Ihren Kiefer fallen lassen, sodass Ihr Mund ein O bildet.
Das Signal ist eindeutig: Ich bin von dem Gehörten überrascht. Es ist noch nicht klar, wie ich dazu stehe. Ein derartiges Signal aktiv zu senden, ist allerdings nur sinnvoll, wenn der/die Moderator/in eines virtuellen Teams aufmerksam genug ist, darauf zu achten.
Signale der Offenheit und Begeisterung
Signale der Offenheit und Begeisterung gelten der Teambildung. Da die Mikrofone in der Regel abgeschaltet sind, um Störungen zu vermeiden, sind ein spontaner Applaus oder ein zustimmender Ausspruch nach der gelungenen Präsentation eines/einer Teamkollegen/Teamkollegin schwieriger als in Präsenz. Da sowohl einzelne Kolleginnen/Kollegen als auch das gesamte Team von Feedback lebt und damit auch der Teamgeist nicht verloren geht, ist es wichtig, sich einige Ersatzmöglichkeiten aus der Körpersprache zu suchen. Sie können dazu einen Applaus andeuten. Auch der nach oben gerichtete Daumen ist ein beliebtes Mittel, sein Einverständnis zu zeigen. Oder das Spitze-Zeichen, indem Daumen und Zeigefinger einen Kreis formen, während die restlichen drei Finger wie ein Hahnenkamm weit gespreizt werden. In einem Team, das schon lange zusammenarbeitet, lässt sich auch mal extravertierter jubeln, indem Sie in Siegespose die Arme nach oben recken, die Becker-Faust oder auch beide Fäuste ballen und nach oben strecken.
Ein Lächeln geht zudem immer. Und unter guten Kolleginnen/Kollegen kann man sich auch mal necken, wenn Sie auffällig zwinkern oder mit einem Finger ein Augenlied leicht nach unten ziehen. Formt eine Hand eine Pistole, zielt und schießt auf den eigenen Kopf, bedeutet das: Auweia. Das ging wohl mächtig daneben. Zeichnen beide Hände parallel zu einer Äußerung Anführungszeichen in die Luft, wird das Gesagte ironisiert: Das war ja ein toller „Erfolg“. Oder wenn Sie eine halbe Wicki-Geste machen, indem Sie mit einer Hand schnalzen und den Zeigefinger nach oben strecken heißt das in Körpersprache: Hey! Ich habe eine tolle Idee!
Signale der Empathie
Signale der Empathie und des Mitgefühls kommen aus dem Spektrum der Trauer. Hier geht es darum, die eigenen Gesten weitgehend herunterzufahren und stattdessen offen zu sein für die Signale meines Gegenübers. Dies geht in einer kleinen Runde freilich leichter als in einer großen. Die Botschaft muss lauten: Ich höre dir zu. Ich denke über das nach, was du mir sagst. Legen Sie dazu Ihren Kopf ein wenig schräg, setzen Sie sich zurück, kratzen oder kraulen Sie sich am Kinn, stützen Sie Ihr Kinn auf eine Hand oder kratzen Sie sich im Nacken oder am Hinterkopf, als wollten Sie sagen: „Ich weiß nicht so recht. Darüber muss ich erst nachdenken.“
Gehen Sie mit Ihrem Gegenüber mit. Auch das Spiegeln von Schmerzen im weitesten Sinne dient dem Aufbau von Bindung, wenn ein Mitarbeitender von einem gescheiterten Projekt oder persönlichen Sorgen erzählt. Setzen Sie dazu eine sorgenvolle Miene auf, im Volksmund Hundeblick genannt, wenn es für Sie passt; senken Sie die Oberlider, ziehen den Mundwinkel hoch und nach hinten, als ob Sie schmerzhaft lächeln wollten, beißen auf die Zähne und ziehen Luft durch Ihre Zähne.
Ergänzende Handgesten und ihre Wirkung auf die Körpersprache
In jedem kulturellen Sprachgebiet gibt es klar definierte Gesten, mit denen wir unserem Gegenüber eine deutliche Nachricht, oft verbunden mit einer Handlungsaufforderung, übermitteln. Die folgenden Gesten lassen sich besonders gut in virtuellen Meetings einsetzen. Allerdings sind Gesten auf internationalem Parkett mit Vorsicht zu genießen, da sie in manchen Ländern etwas ganz anderes bedeuten als bei uns:
Der Daumen bei geschlossener Faust zur Seite, meist leicht nach oben und unten bewegend, signalisiert Unentschlossenheit: Ich weiß nicht so recht. Ich glaube, da sollten wir noch nachbessern.
Ähnlich ist das Auf- und Ab-Wackeln einer flachen Hand auf Brusthöhe: Ich finde, das ist noch ziemlich wackelig.
Das Tippen auf die imaginäre Armbanduhr: Es wird langsam Zeit zum Ende zu kommen.
Bilden zwei Handflächen zusammen ein T bedeutet das Timeout: Lasst uns eine Pause machen.
Betende Hände und ein Kopfnicken, ähnlich wie in Japan, symbolisieren ein Danke nach einem guten Vortrag.
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Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Auch wenn das Jahr 2020 bisher anders verlaufen ist als geplant, erhofft und vor allem erwartet, viele Dinge nicht wie üblich stattfinden können und auch das bevorstehende Weihnachtsfest wohl anders ausfallen wird als üblich, wollen wir mit unserem alljährlichen metropolitan-Adventskalender eine lieb gewonnene Tradition unverändert und uneingeschränkt fortführen.
Jeden Tag möchten wir Ihnen mit einem tollen Zitat aus einem unserer Bücher eine kleine Anregung, eine Idee oder einfach nur positive Gedanken mit auf den Weg geben.