Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!
In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.
Und auch im Jahr 2021 geht es weiter mit den Bunker-Chroniken, denn auch wenn wir es uns zu Beginn der Pandemie niemals hätten vorstellen können, bestimmt Corona nach wie vor unser tägliches Leben – beruflich wie privat.
In den Jahren 2000 bis 2018 stieg die Anzahl der versendeten E-Mails um den Faktor 26. In nackten Zahlen von 32 auf 848 Milliarden E-Mails pro Jahr, wohlgemerkt ohne Spam. Die E-Mail wurde damit das von Mitarbeiter/innen am häufigsten genutzte Kommunikationsmittel. Doch ist die Nutzung noch zeitgemäß? Sind wir nicht alle die tägliche E-Mail-Flut leid? Was könnten Alternativen sein – Stichwort “Business-Chats”? Darum geht es im heutigen Beitrag!
Der aktuelle Stand zur Nutzung von E-Mails in Unternehmen
Der Grund für die E-Mail als bevorzugtes Kommunikationsmittel in Unternehmen ist einfach. E-Mails sind schnell versendet. Wir können alle Betreffenden in CC setzen, ohne uns darüber Gedanken zu machen, ob sich diese auch wirklich mit dem Thema auseinandersetzen sollten. Und wir selbst können das Thema von unserer Agenda streichen. E-Mails folgen damit dem klaren Schema einer asynchronen Kommunikation.
Das Telefon hingegen ist das klassische Beispiel einer synchronen Kommunikation. Hier muss ich mich zuweilen mit Widerworten auseinandersetzen. Zum Telefon greife ich nur, wenn ich bereits klar weiß, was ich will und mich mit meinem Gegenüber auseinandersetzen möchte.
E-Mails bedienen damit ein System, das der Neurobiologe Antonio Damasio Homöodynamik nennt. Der Mensch möchte Stress gerne schnell vom Tisch haben. Mit einer E-Mail gebe ich den Stress weiter an andere, ohne mich mit Details auseinandersetzen zu müssen. Bei 1:1-Gesprächen setze ich mich dem Stress möglicher Rückfragen aus. Deshalb entwickeln sich manche E-Mails zu wahren Kettenbriefen. Was mit einer vermeintlichen Information beginnt, wird hin und her geschickt. Anhänge werden angefügt. Leute, die nur am Rande mit dem Thema zu tun haben, werden in CC gesetzt und wissen nicht, ob sie die Mail lediglich zur Kenntnis nehmen oder antworten sollen.
Kurzum: Was als einfache Methode begann, um Informationen mit möglichst vielen Menschen zu teilen, entwickelt sich in vielen Fällen zu einem Informationsmonster voller ungeklärter Erwartungen.
Ungeklärte Regelungen
Zwar gibt es in vielen Unternehmen eine Netiquette zum Umgang mit E-Mails. Ungeklärt bleibt jedoch, wer in CC gesetzt werden sollte und warum. Meist hat es mit Hierarchien zu tun: Der Chef soll doch wissen, was ich mache. Oder aber um sich nichts zu Schulden kommen zu lassen: Ich hatte dich doch informiert. Die Chefin hat jedoch gar keine Zeit, all die E-Mails zu lesen, die sie bekommt. Und der Freispruch von der Schuld funktioniert nur mit dem klaren Auftrag, eine E-Mail zur Kenntnis zu nehmen.
Hinzu kommt, dass bei Antworten auf E-Mails vorher vorhandene Anhänge entfernt und wie von einem schwarzen Loch verschluckt werden. Das spart zwar einerseits Ressourcen auf unseren Rechnern und bei der Übertragung der E-Mail, führt jedoch andererseits dazu, dass Informationen verloren gehen, sofern das Wesentliche nicht in der E-Mail enthalten ist oder zusammengefasst wird. Dokumente, die für das Verständnis der E-Mail unerlässlich waren, sind einer Weiterleitung verschwunden.
Der Sinn und Zweck von E-Mails wird folglich häufig verfehlt. Grund genug, sich andere Kommunikationsmittel anzusehen, die diesem Sinn besser gerecht werden.
Die Vorteile von Business-Chats
Für die schnelle asynchrone Kommunikation im privaten Umfeld nutzen wir Chat-Apps. Facebook, Whats-App, Threema oder Telegram. All diese Programme haben eines gemeinsam: Der Dialog wird fortgeschrieben, sodass ich jederzeit den Kommunikationsverlauf durchsehen kann. Auch Anhänge lassen sich hinzufügen. Damit ergibt sich ein roter Faden, der zum einen kreativ genutzt werden kann und zum anderen Missverständnisse und Konflikte vermeidet. Damit könnten Business-Chats nicht nur der Kommunikation dienen, sondern auch langfristig dem Wissensmanagement.
Die Grundfunktion von Business-Chat-Systemen sind mit Chat-Programmen wie Whats-App vergleichbar. Die Gesprächspartner finden sich in Kanälen oder Channels zusammen. Die können projektbezogen oder öffentlich für alle Unternehmen diskutieren. Die Channels können thematisch oder gruppenbezogen sein. Der Titel eines Kanals könnte lauten Projekt XY, Vertrieb oder auch Umgang mit schwierigen Kunden. Die Mitarbeiter/innen können sich folglich verschiedenen Gruppen zuordnen. Um die Übersicht innerhalb eines Kanals zu behalten, lassen sich in der Regel mehrere Gesprächsfäden bzw. Threads) knüpfen. Und natürlich lassen sich hier auch Bilder, Links oder andere Dateien anfügen.
Business-Chats = Bündelung von Kommunikation
In gut gemachten Business-Chats bündelt sich die gesamte Kommunikation.
- Austausch zu dem Projekt, an dem wir aktuell arbeiten
- Informationen der Personalabteilung und des Betriebsrats für die Mitarbeiter/innen
- Kommunikation, die wir intern und mit unseren Kunden führen
- Der Smalltalk-Chat mit Kollegen/Kolleginnen, den wir zwischendurch führen
- Informationen der Geschäftsführung für alle Mitarbeiter/innen
- Diskussionen über aktuelle Probleme und deren Lösungen in Business-Chats
- Ankündigungen, Termine, Veranstaltungen oder langfristige Veränderungen
Damit entsteht letztlich auch das, was viele Firmen sich seit Jahren wünschen: ein umfassendes Wissensmanagement zu alten Projekten und neuen Problemen. Der Business-Chatraum wird damit zum zentralen Platz der Kommunikation. Meetingraum, Gang, Raucherecke, Teeküche und Kaffeeautomat in einem. Allerdings mit dem Unterschied, dass die dort ausgetauschten Information auch festgehalten werden.
Anders als bei E-Mails, die jeder für sich ablegt (oder auch nicht), gibt es im Business-Chat nur eine gemeinsame Ablage. Das was ich dort finde, ist auch für meine Kollegen/Kolleginnen verfügbar. Dies spart nicht zur Ressourcen, sondern dient auch der Transparenz und schafft damit Vertrauen.
Hürden auf dem Weg zu einer neuen Unternehmens-Kommunikation
Die Macht der Gewohnheit
Die Vorteile klingen verlockend, zumal es kaum jemanden gibt, der nicht über einen zu vollen E-Mail-Ordner klagt. Wären da nicht unsere Gewohnheiten, die eine Veränderung erschweren. Über Jahre haben sich E-Mails so in unserem Arbeitsalltag etabliert, dass manche Mitarbeiter/innen kaum noch nachdenken, ob nicht ab und an das Telefon der bessere Weg für manche Klärung wäre, was freilich auch an unserer Mobilität liegt.
Wie schnell sich Kommunikationsgewohnheiten verändern, haben wir im Privaten erlebt. Innerhalb von wenigen Jahren wurden Chat-Systeme wie WhatsApp zur Nummer 1 in unserer Kommunikation. Anfangs noch ungewohnt und eingeschränkt nutzbar. Beinahe in jeder Lebenslage. Der Schlüssel dazu ist die Universalität und Einfachheit. Waren Chat-Systeme vor ein paar Jahren nur ein Hype für wenige, sind sie seit einigen Jahren fester Bestandteil unserer privaten Kommunikation. Noch sind E-Mails bequemer, weil üblicher. Dies wird sich jedoch nach und nach ändern.
Datenschutz
Im beruflichen Umfeld haftet solchen Chat-Systemen noch der Ruf der Unseriösität an. Facebook, WhatsApp und Co. genießen nun mal nicht den besten Ruf, unter anderem was datenschutzrechtliche Bedenken angeht. Die Diskussion um den Datenschutz zeigt jedoch, dass sich etwas tut in diesem Bereich. Business-Chat-Systemen wie Slack oder Microsoft Teams sind mittlerweile auch datenschutzrechtlich gut abgesichert.
Kommunikation als Kulturfrage
Die wichtigste Frage bei der Nutzung von Chats besteht jedoch in der Klärung der Kommunikationskultur. Viele Firmen fremdeln noch mit der Lockerheit in der Chat-Kommunikation. E-Mails schrieben die Tradition der Briefkommunikation fort, mit förmlicher Anrede und Gruß. In Chats regiert der schnelle, schnörkellose Austausch. Dass traditionelle Unternehmen damit Schwierigkeiten haben, ist verständlich, zumal bei dieser eher juvenilen Art der Gespräche stets ein Hauch Kulturrevolution mitschwingt. Während bei E-Mails noch wert auf eine korrekte Ansprache, insbesondere im Umgang mit Vorgesetzten gelegt wurde und sich lediglich der Chef eine statusbedingte und zeitsparende Flapsigkeit erlauben konnte, negiert ein Chat-Verlauf jegliche Hierarchien.
Die Kulturfrage zeigt uns wieder einmal, welche Schlüsselrolle die Kommunikation in Unternehmen einnimmt. Es ist nicht auszuschließen, dass es Business-Chats trotz aller Vorteile in Unternehmen noch lange schwer haben werden, wenn die Hierachiefrage und der Umgang miteinander nicht geklärt werden.
Sieben Tipps, um Business-Chats im Unternehmen zu etablieren
1. Kommunikation ist Chefsache
Die Frage nach der Kommunikationskultur macht deutlich, dass es ein Go-Signal von oben geben muss, wie bei jeder Veränderung. Führungskräfte sollten daher zum einen klären, wie kommuniziert wird und zum anderen mitmischen.
2. Einbindung des Teams
Die Top-Down-Strategie sollte sich mit einer Bottom-Up-Strategie verknüpfen. Nur weil der Chef es nutzt, müssen die Vorzüge von Chatrooms noch lange nicht im Team angekommen sein. Deshalb ist es wichtig, die Vorteile ebenso wie Bedenken und mögliche Lösungen im Team zu besprechen.
3. Leuchtturmprojekte
Sollen Business-Chats im gesamten Unternehmen eingeführt werden, empfiehlt es sich, ein Projektteam auszusuchen, das sich dafür leicht begeistern kann, um daraus für alle anderen Erkenntnisse zu ziehen.
4. Ordnung und Struktur
Business-Chats lassen sich nach Themen, Projekten oder Personenkreisen ordnen. Zudem sind in Chatrooms Unterthemen möglich. Darüber braucht es jedoch einen Konsens, der entweder zuvor geklärt werden sollte oder im gemeinsamen Tun entsteht. Hier kann es zu Meinungsverschiedenheiten kommen, worauf sich Führungskräfte einstellen sollten.
5. Transparenz fördert den Wissenszuwachs und das Vertrauen
Wenn ich jemandem 10 Euro schenke, ist das Geld fort. Teile ich mein Wissen, ist es bei mir immer noch vorhanden, mein Gegenüber besitzt es nun jedoch auch. Zudem lädt es meinen Gesprächspartner dazu ein, sein Wissen ebenfalls zu teilen. Das eigene Wissen transparent zu machen, erhöht jedoch nicht nur die Erkenntnisse aller, sondern knackt auch das jahrhundertealte Dogma „Wissen ist Macht“. Auch hier zeigt sich das kulturelle Veränderungspotenzial von Business-Chatrooms, wenn der Austausch von Wissen zu einer Egalisierung der Macht durch gemeinsames Wissen führt.
Gleichzeitig kann die Veröffentlichung von Erkenntnissen eine wackelige Angelegenheit sein. Meinungen oder Fragen zum Umgang mit schwierigen Kunden können vermeintlich peinliche Wissenslücken offenbaren. Auch dies gilt es im Team zu klären, nach dem Motto: Es gibt keine peinlichen Fragen und niemand kann alles wissen. Denn genau darum geht es beim Austausch von Wissen. Der Austausch vermittelt folglich nicht nur Wissen, sondern auch Unwissen. Dazu braucht es Vertrauen und schafft wiederum Vertrauen, wenn sich die Gesprächspartner auf Augenhöhe im Netz begegnen.
6. Anfüttern und Zusammenfassen
Damit Chats angenommen werden, ist es wichtig, das Eis mittels Beispielen und Strukturen vorzubereiten. Manche Mitarbeiter/innen tun sich leicht, weil sie dieses Kommunikationsmittel bereits kennen. Andere sind überfordert, wenn sich Strukturen erst dynamisch entwickeln. Bei Teams, für die Chatrooms noch Neuland sind, ist es wichtig, ein paar Strukturen und Anleitungen einzustellen bzw. die Kommunikation durch ein Anfüttern in Gang zu bringen: Wie werden Anhänge verfasst? Wie kann ich eigene Strukturen erstellen?
Im weiteren Verlauf der Kommunikationsbäume ist es, ähnlich wie bei Wikipedia, unerlässlich, wesentliche Aspekte regelmäßig zusammenzufassen. Denn obwohl der Verlauf für alle Teilnehmer:innen einsehbar ist, geraten dennoch manche Informationen schnell aus dem Blickfeld und gehen damit verloren. Diese Funktion muss nicht automatisch der Chef übernehmen, sondern wechselt am besten durch.
7. Der Komplettverzicht auf E-Mails?
Bei all diesen Vorteilen stellt sich die Frage, ob wir langfristig komplett auf E-Mails verzichten können. Sind eines Tages alle Mitarbeiter/innen an die Chatrooms angeschlossen, können wir intern sicherlich auf E-Mails verzichten.
Auf der nächsten Stufe könnten Kooperationspartner in Chatrooms mittels abgespeckter Zugänge in interne Unternehmensprozesse eingebunden werden. Sofern es sich nicht um geheime Interna geht, sind die Potenziale dahinter enorm, wenn wir an den Zeitgewinn durch Transparenz denken.
Die Frage nach der Einbindung von Kunden ist nur vermeintlich komplizierter. Denken wir jedoch die FAQs von Unternehmenswebseiten, den häufig gestellten Fragen und Antworten, konsequent weiter, ist der Weg zu einer Einbindung von Kunden in Chatrooms im Sinne eines modernen Marketingkonzepts näher als wir vielleicht vermuten. Und ganz nebenbei dient ein solches Vorgehen dem Vertrauensaufbau beim Kunden.
Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr
hier.
Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen Büchern.
Über den Autor
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.Bei metropolitan von Michael Hübler erschienen:
Die neue Art zu führen
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