26. Mai 2021 | Hüblers Bunker-Chroniken

Culture Hacks in Unternehmen

Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor  Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!

In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert  Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.

Der Begriff “Hack” deutet bereits den IT-Hintergrund an und bedeutet auf Deutsch so etwas wie Kniff, um ein Problem zu lösen. Im englischsprachigen Raum gibt es dazu bereits einige Veröffentlichungen. Hierzulande sind Culture Hacks noch ein eher zartes Pflänzchen. Dabei können gezielt eingesetzte Hacks Kulturveränderungen in Unternehmen anstoßen. In seinem heutigen Beitrag der Bunker-Chroniken liefert  Michael Hübler einige interessante Beispiele für schnell umsetzbare Culture Hacks in agilen Teams und klärt zudem die Frage: Was sind Culture Hacks überhaupt?

Was sind Culture Hacks?

Bei Culture Hacks handelt es sich um bewusste Interventionen, die in Unternehmen mit dem Ziel gesetzt werden, die aktuell gelebte Unternehmenskultur in eine gewünschte Richtung zu entwickeln. Während groß angelegte Kultur-Veränderungen von der Unternehmensleitung angestoßen werden, jedoch häufig wenig bewirken, da sich Kulturen nur langsam und schwerfällig verändern, lassen sich Culture Hacks von Führungskräften einsetzen, um mit kleinen Hebeln große Wirkungen zu erzielen. Culture Hacks kommen aus der Welt kleiner, agiler Unternehmen.

Culture Hacks vermischen auf der einen Seite das Wissen um die Symbolkraft manifester Handlungen mit provokanten Irritationen des Systems. Einzelne Mitarbeiter/innen werden dabei ebenso irritiert wie Teams. Ob sich damit auch das gesamte Unternehmen kulturell verändern lässt, ist letztlich eine Frage des Erfolgs. Das Spannende an Culture Hacks ist definitiv der niederschwellige Ansatz. Eine Idee kann meist sofort mit ein wenig Hintergrundwissen in die Tat umgesetzt werden, ohne bei der Geschäftsleitung um Erlaubnis zu bitten. Ist die Idee erfolgreich, wird sie sich durchsetzen. Ist sie es nicht, ist der Schaden überschaubar. Culture Hacks stellen damit das Verbindungsstück zwischen einer bewusst gesetzten Kulturstrategie und deren Umsetzung ins operative Handeln dar.

Werden beispielsweise in einem überharmonischen Team mit verbrieftem Nichtangriffspakt Post-its auf einer öffentlichen Pinwand verteilt mit Satzanfängen wie: “Ich bin genervt, wenn …” oder “Ich bin frustiert, wenn …”, damit die Mitarbeiter/innen diese entpersonalisiert ergänzen, kann dies zu einer höheren Ehrlichkeit und Offenheit im Kollegenkreis führen. Diese Methode kann auch auf einer digitalen Pinwand vorbereitet und über die Distanz reflektiert werden.

Die Erstellung solcher Hacks folgt dabei einem einfachen Prinzip:

  1. Problem: Welches Problem nervt uns? In diesem Fall die Überharmonisierung, weshalb schwierige Themen nicht angesprochen werden.
  2. Hack: Mit welcher Methode könnten wir dieses Problem minimalinvasiv angehen? In diesem Fall mit einer Pinwand für nervige Situationen.
  3. Reflexion: Was würde dieser Hack bewirken? Vermutlich werden nur ein paar wenige Mitarbeiter/innen die Post-its ausfüllen, was aber eine Strahlwirkung auf andere haben kann. Werden die Nervereien zudem in einem Meeting besprochen, könnte dies auch anderen Kolleg/innen zugute kommen.

Dass solche Methoden nicht sofort bei der Belegschaft ankommen, zumal die provokante Idee dahinter ein integraler Bestand ist, leuchtet ein. Daher erfordert es sowohl Mut, etwas Neues auszuprobieren und bewusst Grenzen zu überschreiten, als auch die Empathie, um einzuschätzen, ob mit einem Hack eine moralisch-emotionale Grenze zu weit überschritten wird.

Hintergründe von Culture Hacks

Neben dem IT-Hintergrund finden wir die Idee eines Culture Hacks ebenso in der Kunst als Provokation aktueller kultureller Standards und Wertevorstellungen. In Kunst und Kultur gab es seit jeher Bewegungen, die den etablierten Kulturbetrieb herausforderten, beispielweise Surrealismus, Dadaismus, Bauhaus, Nouvelle Vague, Bebop, Hardbop, Freejazz, Punk oder Grunge. Solche Strömungen wurden später in der Regel oftmals selbst zu Klassikern. Während eine Band wie “The Clash” damals als Affront galt, stehen deren Alben heute in diversen gutbürgerlichen CD-Regalen. Andere Kunsterzeugnisse, wie beispielsweise einige Filme von Jean Luc Godard, wirken auch nach 50 Jahren noch verstörend.

Dieses Prinzip gezielt eingesetzter Provokationen lässt sich auch für Kulturveränderungen in einem Unternehmen verwenden, um Veränderungen anzuregen. Die Bedingungen sind jedoch anders. Während der gängige Kulturbetrieb durch Irritationen neuer Strömungen von außen irritiert wird, geschieht dies in Unternehmen von innen. Das kann ein Vor- oder Nachteil sein. Vorteilhaft ist der direkte Einfluss auf die Kolleg/innen. Verändere ich als Führungskraft die Meeting-Regeln, erzielt das  sofort Wirkungen. Nachteilhaft ist eventuell das engere Korsett in einem Unternehmen. In strengen Hierarchien kann es sein, dass viele vermeintlich spannende und gewinnbringende Hacks gar nicht möglich sind und sogar sanktioniert werden.

Jede Kultur ist dabei ein System aus weitgehend unbewussten Codes, Vereinbarungen, Werten, moralischen Vorstellungen, Normen und Kommunikationsregeln. Kultur ist im Gegensatz zur Natur immer ein künstliches Konstrukt, um Individuen Halt und  Orientierung in einer Gruppe zu geben. Unsere kulturellen Prägungen sind uns jedoch selten bewusst. Manifest gibt es Handlungen, Objekte und Artefakte wie beispielsweise Ablagesysteme oder die Kleidungsordnung. Latent gibt es unbewusste, soziale Regeln. Kulturelle Regeln funktionieren wie unsere Grammatik. Wir wenden sie täglich zielsicher an und zucken zusammen, sobald wir einen Fehler erkennen. Die Regeln hinter der Grammatik sind uns jedoch meist nicht bewusst. Daher ist es auch schwierig, solche unbewussten Regeln zu verändern.

Gilt beispielsweise die Regel, dass Fehler zu einem Karriereknick führen können, werden Fehler verschwiegen. Die Forderung, Fehler nach Projekten aufzuarbeiten,  hilft also wenig, wenn die dahinter stehende unbewusste Regel nicht bewusst gemacht und bearbeitet wird. Die Irritation dieser Regel mit einem Culture Hack, beispielsweise indem die Teamleitung vom schlimmsten Fehler ihrer Karriere erzählt, könnte hingegen zu einer nachhaltigen kulturellen Veränderung führen.

Da Hacks aus der Computerwelt kommen, bietet sich auch der Vergleich zur Programmierung an. Auch hier ist der Code für die Benutzeroberfläche einer Internetseite versteckt. Und auch hier geht es darum, nicht die Oberfläche, sondern den dahinter liegenden Code zu knacken.

Beispiele für Culture Hacks

Die folgenden Beispiele sind Standards, die so oder so ähnlich aufgrund typischer  Problemlagen auch bei Ihnen Erfolg haben könnten. Grundsätzlich ist jedoch jede Kultur anders. Daher ist es wichtig, Culture Hacks nicht als schnelle Lösungen von der Stange zu betrachten. Prüfen Sie daher gut, ob die folgenden Hacks wirklich bei Ihnen erfolgreich sein könnten. Im Zweifelsfall ist es sinnvoll, im Rahmen eines Workshops individuelle Culture Hacks zu erarbeiten.

Das Problem: E-Mail-Flut nach dem Urlaub

Ein typisches Problem vieler Mitarbeiter/innen sind überquellende Postfächer mit Hunderten von E-Mails nach dem Urlaub. Gängige Lösungen lauten: Heimlich einen Tag früher wieder anfangen zu arbeiten, damit der erste Tag nicht so schlimm wird. Oder den ersten Tag nach dem Urlaub im Homeoffice bleiben, damit nicht noch Ad-hoc-Aufgaben dazu kommen.

Hack: Alle E-Mails, die im Urlaub ankommen, umleiten oder sogar löschen. Der Wiedereinstieg nach dem Urlaub wird damit unbelastet.

Das Problem: Unruhige Meetings

Die Meeting-Kultur gibt regelmäßig Anlass für Unzufriedenheit. Manche kommen später, andere gehen früher. Für einen echten Austausch, gute Reflexionen und nachhaltige Beschlüsse bleibt oftmals keine Zeit.

Hack 1: Meetings beginnen und enden pünktlich, selbst wenn noch nicht alle da sind und es am Ende noch Themen gäbe.

Hack 2: Wer zu spät kommt, muss zur Strafe die unangenehmste Tätigkeit der Woche übernehmen. Das kann vor allem in agilen Teams, die mit Kanban arbeiten, interessant sein.

Das Problem: Endlose Meetings

Noch einmal zur Meeting-Kultur: In manchen Firmen ufern Meetings zu einem Marathon aus. Ständig kommen neue Themen auf. Die Konzentration ist nicht mehr vorhanden und am Ende sind die Teilnehmer/innen nur noch physisch anwesend.

Hack 1: Halten Sie Meetings im Stehen ab.

Hack 2: Sobald Sie merken, dass in einem Meeting nichts wirklich Wichtiges mehr passiert und es lediglich um den Status der Teilnehmenden geht, sagen Sie es ab.

Das Problem: Parallelarbeit im Meeting

Meeting-Kultur, die dritte: Im Meeting arbeiten die Kolleg/innen regelmäßig parallel und beantworten E-Mails.

Hack: Zu Beginn eines Meetings werden die Laptops und Smartphones an einer Techno-Sammelstelle eingesammelt. Stattdessen bekommen die Teilnehmenden Block und Stift für Notizen.

Das Problem: Fehler werden nicht aufgearbeitet

Fehler in Projekten werden nicht aufgearbeitet, sondern verschwiegen, um keine Schwierigkeiten zu bekommen.

Hack 1: Vergeben Sie Preise für den krassesten Fehler des Monats. Manche Unternehmen verteilen hierzu einen Wanderpokal.

Hack 2: Planen Sie Fehler in Projekten gezielt mit ein und sinnieren darüber, was Sie tun sollten, um Fehler zu machen. Das kann eine sowohl erheiternde, als auch abschreckende  Wirkung haben.

Hack 3: Beginnen Sie das erste Meeting im Monat mit einer Runde über alle potenziellen Fehler, die in den kommenden vier Wochen passieren könnten und sprechen auch darüber, was Sie tun müssen, damit es auch wirklich so kommt.

Problem: Wichtige Entscheidungen werden aufgeschoben

In manchen Unternehmen werden Entscheidungen gerne aufgeschoben oder nach oben oder unten eskaliert, wenn die Konsequenzen unüberschaubar sind.

Hack 1: Erstellen Sie die Regel, dass alle Entscheidungen innerhalb von 48 Stunden getroffen werden müssen. Ergänzt werden kann diese Regel durch ein Punktesystem: Für jede Entscheidung gibt es zwei Punkte. War die Entscheidung erfolgreich, gibt es einen weiteren Punkt. War sie schlecht, wird ein Punkt abgezogen, sodass selbst eine schlechte Entscheidung noch besser ist als gar keine.

Hack 2: Führen Sie ein Informationsbegrenzungs-Bingo ein. Dazu erzählt ein Teammitglied von einer Entscheidungsfrage. Daraufhin werden reihum alle Informationen gesammelt, die für oder gegen eine Entscheidung sprechen. Ein Mitarbeitender achtet darauf, ab wann er/sie das Gefühl hat, dass genügend Informationen vorhanden sind und ruft laut “Bingo”.

Hack 3: Bilden Sie sich ergänzende Entscheidungsteams. Ein schneller Kollege trifft beispielsweise auf eine langsame Kollegin.

Das Problem: Überharmonisierung im Team

In manchen Teams werden wirklich wichtige Themen nicht angepackt. Stattdessen fassen sich die Mitarbeitenden mit Samthandschuhen an, wenn es beispielsweise um Fehler geht.

Hack 1: Führen Sie ein Ritual am Ende von Meetings ein, in dem Sie mindestens eine provokante bis tabulose Frage stellen. Dies kann in einer offenen Runde, anonym oder in kleinen Teams stattfinden.

Hack 2: Verteilen Sie auf einer Pinwand Post-its mit Satzanfängen: “Ich bin genervt, wenn…”, “Ich bin frustiert, wenn…” oder “Ich ärgere mich, wenn…” und lassen diese von den Mitarbeitenden ausfüllen. Die Ergänzungen sollten entpersonalisiert sein. Ein Beispiel: Ich bin genervt, wenn sich Aufträge in die Länge ziehen. Die Ergebnisse werden im Team aufgearbeitet oder stehen für sich.


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Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr
 hier.

Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen  Büchern.

 

 


Über den Autor

 Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.

Bei metropolitan von Michael Hübler erschienen:

 Provokant – Authentisch – Agil
Die neue Art zu führen
Wie Sie Mitarbeiter humorvoll aus der Reserve locken
ISBN 978-3-96186-004-3

 New Work: Menschlich – Demokratisch – Agil
Wie Sie Teams und Organisationen erfolgreich in eine digitale Zukunft führen
ISBN 978-3-96186-016-6

 Die Bienen-Strategie und andere tierische Prinzipien
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ISBN 978-3-96186-031-9

 Die Führungskraft als Krisenmanager
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 Gesellschaftliche Konflikte in der Corona-Krise
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