Wie weit ist Deutschland bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele? Muss die aktuelle Strategie angepasst werden? Nicht nur für diese Fragestellungen war die 18. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) am 4. Juni 2018 in Berlin eine ideale Diskussionsplattform.
„Wenn Deutschland es nicht schafft, wer dann?“
Ein internationales Expertenteam hat zum dritten Mal nach 2009 und 2013 das deutsche Nachhaltigkeitsbestreben bewertet. Taugt die nationale Strategie? Und wichtiger noch: Wie steht es um die Umsetzung? Kommt Deutschland in Sachen Nachhaltigkeit voran? Leider noch nicht, so das Urteil. Dabei seien die Voraussetzungen hierzulande bestens.
Wenn deutsche Umweltverbände und Experten hierzulande die Nachhaltigkeitspolitik als zu pomadig, besorgniserregend, ignorant oder gar niederschmetternd geißeln, stoßen sie damit bei ausländischen Beobachtern oft auf Kopfschütteln. „Wisst Ihr eigentlich, wie gut Ihr es habt?“, scheinen sie uns Deutschen neidisch zuzuraunen: „Ihr habt doch strenge Umweltgesetze, Umwelttechnik von Weltrang, einen Atomausstiegsbeschluss, starke Umweltverbände und eine Grüne Partei.“ Ja, mag sein, dass die Umweltpolitik anderswo noch viel weniger gilt, aber aus Binnensicht bemerken wir eher: noch immer produzieren wir fast 40 Prozent klimaschädlichen Kohlestrom, die meisten Flüsse werden reguliert, die Artenvielfalt schrumpft, der CO2-Ausstoß ist noch viel zu hoch und deutsche Autohersteller bauen weiter spritfressende SUV.
Deutschland ist gut aufgestellt
Doch auch die Nachhaltigkeitsexperten 2018 aus Brüssel, China, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Mexiko, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Schweiz und Südafrika sind zunächst voll des Lobes. Deutschland sei „ein tolles Land“, sagt beispielsweise der Direktor des Stakeholder Forums (SF), Farooq Ullah, aus London, „mit einem funktionierenden Apparat und Arrangements, auf die man im Ausland total neidisch ist.“ Wichtige Grundlagen für Nachhaltigkeit seien hierzulande fest verankert, heißt es in ihrem Papier: sozialer Zusammenhalt, finanzielle Stabilität, Umweltschutz, demokratische Institutionen und verantwortliches Wirtschaften – die Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung schätzt das elfköpfige Gutachterteam als gut ein. Daher: „Wenn Deutschland es nicht schafft, wer dann?“ Denn geschafft sei noch nicht viel, so das Urteil. Eine Transformation von Konsumverhalten, Produktion, ethischen Grundsätzen und Handeln hin zu mehr Nachhaltigkeit habe bisher „lediglich sehr begrenzt stattgefunden“.
Guter Weg, falsche Richtung
Die Bundesregierung hat die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit ihren 17 Zielen (SDGs) in ihre nationale Nachhaltigkeitsstrategie mit eingebaut und im Januar 2017 beschlossen. Die Indikatoren, mit denen die nachhaltige Entwicklung gemessen wird, wurden auf mehr als 60 erweitert. Dazu veröffentlicht das Statistische Bundesamt alle zwei Jahre einen Indikatorenbericht und nutzt darin „Gewitterwolken“, wo es in die falsche Richtung geht. Zum Beispiel bei der Quote Fettleibiger, dem Nitratanteil im Grundwasser, dem Energieverbrauch im Güter- und Personenverkehr, beim bezahlbaren Wohnraum, den CO2-Emissionen des Konsums, der Artenvielfalt und Landschaftsqualität sowie bei der Kriminalität.
Empfehlungen von außen
Was empfehlen nun die N-Experten? Welche Lektion erteilen sie Merkel & Co? Beispielsweise sollte das Kanzleramt der „institutionellen Architektur neuen Schwung verleihen“. Das meint: dem Staatssekretärsausschuss unter Vorsitz des „Nachhaltigkeitsministers“ und Altmaier-Nachfolgers Helge Braun mehr Durchschlagskraft und dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung mehr Macht zu verleihen. Anzustreben sei, jegliche Gesetzesvorlage auf Nachhaltigkeit abzuklopfen. Nachhaltigkeit müsse man als Querschnittsprinzip im deutschen Grundgesetz verankern.
Es geht auch noch konkreter: Die elf Nachhaltigkeitsweisen finden, dass Deutschland seine Ziele noch höher stecken sollte; der Ausstieg aus der fossilen und nuklearen Energieerzeugung dürfe gerne schneller als geplant vonstatten gehen, der Flächenverbrauch müsse auf null reduziert werden; der Kampf gegen den Artenschwund und gegen die Massentierhaltung müsse genauso engagiert angegangen werden und „in ähnlichem Ausmaß wie bei der Energiewende“; die Umstellung unseres Konsums hin zur Kreislaufwirtschaft sei zu beschleunigen, wettbewerbsverzerrende und unnachhaltige Subventionen seien abzuschaffen, inländische Finanzsysteme zu refomieren. Und nicht zuletzt drängt das Gutachterteam darauf, alle Maßnahmen, Initiativen und regulatorischen Prozesse noch viel intensiver als bisher unters Volk zu bringen, also besser zu kommunizieren.
Was sagt Merkel dazu?
Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm das rund 40-seitige Gutachten am 4. Juni auf dem Kongress ihres Nachhaltigkeitsrates (RNE) in Empfang und räumte „eine erhebliche Lücke bei der Umsetzung der Klimaziele bis 2020“ ein. Sie wolle nun aber alles daransetzen, wenigstens das 2030-Ziel zu erreichen. „Wir haben uns deshalb auf ein Klimaschutzgesetz verständigt. Aber das wird ein harter Kampf“, sagte Merkel. Beispielhaft für das Gezerre innerhalb ihres Kabinetts wies sie auf die Strukturkommission hin, die sich mit dem Ende der Braunkohle befassen soll. „Wenn ich Ihnen sage, dass in diesem Dezember die letzte Steinkohlezeche schließen wird, dann sage ich auch, dass wir eine gute Chance haben, den schrittweisen Ausstieg aus der Braunkohle ebenfalls zu schaffen und gleichzeitig den Menschen in den Regionen Perspektiven zu eröffnen.“
Einem Zwischenrufer, dem das alles nicht schnell genug gehe, begegnete die Kanzlerin so: „Ich verstehe ja auch die Ungeduld; diese brauchen wir vielleicht auch manchmal, damit wir überhaupt zu Potte kommen. Aber allein die klare Zusage, dass wir neben den Perspektiven für die Menschen auch ein Datum benennen wollen, an dem wir den Braunkohletagebau in Deutschland beenden, ist schon eine qualitativ neue Perspektive, die wir so parteiübergreifend noch nicht eingenommen hatten.“