Chefs sollen ihre Mitarbeiter wertschätzend behandeln. Allerdings bleibt die Ehrlichkeit dabei oft auf der Strecke. Humorvolle Provokation kann eine Lösung sein.
Provokation gehört dazu
Ein weiser Mann sagte einmal: Kindern erzählt man Geschichten zum Einschlafen – Erwachsenen zum Aufwachen. Für Humor gilt dasselbe: Führungskräfte haben die Pflicht, ihre Mitarbeiter zu provozieren, ob mit Geschichten, Witzen oder Metaphern. Doch das ist in deutschen Unternehmen nicht leicht. Eine Studie der Universität Manchester bringt es auf den Punkt: „Deutsche mögen keine Überraschungen. Plötzliche Änderungen in geschäftlichen Angelegenheit sind unwillkommen. Geschäft wird von den Deutschen sehr ernst genommen, Humor ist unerwünscht.“
Führungskräften wird seit Jahrzehnten in Seminaren beigebracht, ihre Mitarbeiter wertschätzend zu behandeln. Doch wird dabei so manches ehrliche Wort geopfert. Allerdings ist es gerade diese Ehrlichkeit, die zu einem reinigenden Aha-Effekt führen kann.
Weil wir auch die unangenehmen Folgen von Provokation kennen, erfordert es Mut, erlernte und erwünschte Kommunikationsmuster zu durchbrechen. Natürlich sollte sich in einer Provokation jederzeit ein Verständnis für die Lage des Mitarbeiters widerspiegeln, um langfristig respektvoll zusammenzuarbeiten. Ein plumper Schlag ins Gesicht, wie wir es von den Twitter-Botschaften eines Donald Trump kennen, reicht nicht einmal für eine kurzfristig Kooperation aus.
Humor gezielt einsetzen
Wie wir an unserer Comedy-Müdigkeit sehen, kann es aber auch ein zu viel des Guten geben. Daher gilt: Humor ist wie Champagner – als Aperitif wunderbar geeignet, doch als Hauptgang nicht zu empfehlen. Gerade in Hierarchien sind Witze über sicherheitsrelevante Abhängigkeiten absolut tabu. Sagt ein Chef zum Mitarbeite: „Wenn Sie so weitermachen, werden Sie wahrscheinlich gekündigt“ , ist das selten witzig. Der Spruch verdeutlicht lediglich auf einer pseudo-humorigen Ebene die Machtverhältnisse.
Auch sonst ist unser Alltag gespickt mit Humor, der außer Ärger nichts bewirkt. Die üblichen Sprüche innerhalb der Belegschaft wie „Auch mal wieder da?“ sind allenfalls billige Provokationen. Im Anlauf lustig gemeint, doch nach der dritten Wiederholungsschleife so schal wie abgestandenes Bier. Mit einem Spruch wie „Sie sehen aus, als würde daheim die Hütte brennen“ gegenüber einer alleinerziehenden Halbtagskraft ließe sich sicherlich mehr erreichen. Es könnte sich sogar ein Gespräch über die Doppelbelastung der Person ergeben.
Fallbeispiel: Perfektion versus Klarheit
Auf der Basis gegenseitiger Wertschätzung führt Humor dazu, neue Perspektiven zu entwickeln, Verbindungen zu festigen, einen Mitarbeiter wachzurütteln und ihn zum Nachdenken anzuregen.
Ein Beispiel: Das Team von Frau Perfectopolus musste in diesem Jahr schon einiges mitmachen. Wann der bevorstehende Umzug in neue Räume stattfinden soll, ist immer noch unklar. Bis zur Entscheidung gibt es einen Investitions- und Einstellungsstopp. Dabei ist die Arbeitsbelastung schon jetzt erdrückend. Einige Kollegen denken offen über den Arbeitsplatzwechsel nach. Die letzten Aufrechten halten den Kahn gerade so über Wasser.
An sich ist Frau Perfectopolus eine gute Teamleiterin. Doch verliert sie sich in Perfektionismus und vergisst dabei die menschliche Seite der Führung. Ihr Abteilungsleiter, Herr Klarovic, hat sie bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass es zielführender wäre, ihrem Team geduldig zuzuhören. Was das Team bräuchte, wären Wertschätzung und Präsenz, um das verlorene Vertrauen wiederherzustellen. Frau Perfectopolus nickt ab, um dann schnell wieder in alte Muster zurückzufallen. Kann Herr Klarovic in so einer Situation mit Humor arbeiten? Aber, ja!
Mut zur Ehrlichkeit
Humor führt zu mehr Ehrlichkeit im Umgang miteinander. Eine Führungskraft, die offen mit ihren Mitarbeitern umgeht, verhindert Gerüchteküchen und passive Aggressionen. Gerade in stressigen Phasen führt übertriebener Ernst zu Fanatismus und Zynismus. Unter Stress ist es normal, Ärger gegenüber einer Führungskraft zu empfinden. Mitarbeiter brauchen allerdings einen Kanal zum Dampfablassen. Besser sind da gemeinsames Lachen statt heimliche zynische Spitzen.
Herr Klarovic könnte wohlwollend lächelnd zur Teamleiterin sagen: „Frau Perfectopolus, ich schätze Sie sehr als eine Kollegin, die Situationen genau analysiert, um das Beste herauszuholen. In planbaren Zeiten ist das eine sinnvolle Vorgehensweise. Wir befinden uns jedoch in chaotischen Zeiten. Entsprechend können Sie Ihrem Team wenig Halt durch klare Erkenntnisse geben.“ Er schmunzelt und hält dabei Augenkontakt, um zu sehen, ob er ihr mit dieser Aussage nicht zu nahe tritt. Dann führt er fort: „Wenn ich Sie so beobachte und reden höre, erinnern Sie mich an einen Kreisel. Sie drehen und drehen sich und machen mich dabei etwas nervös.“ Frau Perfectopolus muss leicht beschämt schmunzeln. „In einer solchen Umbruchsituation vermute ich, dass Sie Ihre Mitarbeiter nervöser machen, als sie es ohnehin schon sind.“ Nun möchte er Frau Perfectopolus mit ins Boot holen. „Aber vielleicht fällt Ihnen ein ganz anderen Bild ein?“
Frau Perfectopolus antwortet, so habe sie das noch nicht gesehen, aber es sei schon etwas dran. Sie bewegt sich auch wie ein Kreisel von einer Situation in die nächste. Hier taucht ein Gerücht auf, dort gibt es Unstimmigkeiten, Enttäuschungen, Misstrauen und Ärger. Herr Klarovic fragt: „Wenn der Kreisel nicht anhält, vielleicht gibt es etwas, das ihm eine innere Stabilität in all dem Chaos verleihen könnte?“
Und so kommen sie nach und nach auf ganz andere Punkte, die Frau Perfectopolus wirklich helfen, um dem ganzen Chaos standzuhalten. Herr Klarovic schreibt Frau Perfectopolus damit nicht vor, besser zuzuhören, sondern hilft ihr mit der humorvollen Metapher des Kreisels, ihre innere Stabilität zu finden. Eine Stabilität, die ihr Lust macht, auch selbst mit Humor in ihrem Team zu arbeiten.
Bilder für die innere Stabilität
Wie kamen die beiden dorthin? Laut Inkongruenz-Theorie hängt Frau Perfectopolus zu Beginn der humorvollen Äußerung in der Luft. In diesem Stadium erfolgt die Enttäuschung: Kreisel? Was will mein Chef von mir? Sollte Frau Perfectopolus denken, Herr Klarovic sei ihr nicht wohl gesonnen, wird sie instinktiv ihre Scheuklappen tragen. Ist eine gute Bindung vorhanden, führt die provokant-respektvolle Enttäuschung zu einer Erweiterung der Perspektive: „Ich darf kreiseln. Meine Stabilität sollte ich jedoch nicht verlieren.“ Mit Sicherheit wird Frau Perfectopolus in chaotischen Situationen an den Kreisel denken und daran, was ihr helfen könnte, ihre innere Stabilität in Krisensituationen wiederzuerlangen.
So startet sie in der nächsten Teamsitzung todernst mit folgender Metapher: „Ich habe das Gefühl, wir sind die Crew der Enterprise und rasen von einem Asterioiden zum nächsten.” Nach einer kurzen Pause ergänzt sie: „Ich muss zugeben, dass dieses ständige Raserei mich schon ganz nervös macht. Euch auch, oder?” Manche im Team beginnen zu grinsen, andere sind noch verwundert. So kennen Sie ihre Teamleiterin bisher nicht. Ihre menschliche Seite kommt zum Vorschein. Und das humorvolle Bild war lediglich der Aufhänger, der Champagner, der Wachmacher, das menschliche Verbindungsglied, um anschließend ernsthaft auszuloten, was das Team wirklich tun kann, um sicher durch die unsichere Zeit zu gelangen.
Was Sie brauchen, um humorvoll zu führen:
- Lassen Sie Ihre Mitarbeiter spüren, dass Sie sie verstehen, auch wenn Sie anderer Meinung sind. Diese Ambiguitätstoleranz, das Aushalten unterschiedlicher Meinungen, ist eine wichtige Grundbedingung für provokant-kreative Auseinandersetzungen im Team. Nur wer wertschätzt und Verständnis zeigt, darf auch provozieren.
- Gehen Sie offenen Auges durch das Leben. Die Welt steckt voller grotesker Bilder, die für wunderbare Vergleiche herhalten können: das politische Weltgeschehen, Filme, Romane oder Tierdokus. Sammeln Sie Witze, Geschichten, Metaphern und Anekdoten. Humor ist vielfältig und will, wie alles andere auch, trainiert werden.
- Seien Sie in Gesprächssituationen präsent. Was wollen Sie mit Ihrer Provokation erreichen? Vertrauen Sie auf Ihre Intuition, wenn Ihnen ein humorvoller Einwurf, ein Vergleich oder ein Witz, einfällt. Sollten Sie merken, dass Sie über das Ziel hinausgeschossen haben, können Sie Ihr Gegenüber immer noch fragen, ob das Bild passt. Oder Sie gehen nach der It-was-just-a-joke-Methode: Der Witz ist draußen. Mal sehen, was passiert.
Gastbeitrag unseres Autors Michael Hübler im Magazin Human Resources Manager, Originalartikel unter: www.humanresourcesmanager.de/magazin
Provokant – Authentisch – Agil
Die neue Art zu führen
Wie Sie Mitarbeiter humorvoll aus der Reserve locken
ISBN 978-3-96186-004-3
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