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7. Mai 2020 | Hüblers Bunker-Chroniken

Konkrete Vorgehensweisen und Methoden zur Lösung von Konflikten in der Krise

Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor  Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich gezwungenermaßen mit der vielfältigen Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!

In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier beschäftigt sich  Michael Hübler mit der derzeitigen Situation und reflektiert über Themen, die ihn bewegen. Damit möchte er Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.

Je länger die derzeitige Situation andauert, desto mehr Konflikte, die bislang unter dem Deckelmantel eines “Gemeinsam stark in der Krise” schwelten, treten zutage. Führungskräfte sind dann gefordert, ihre Mitarbeiter und Kollegen wieder auf einen gemeinsamen Weg zu führen, ohne die Befindlichkeiten eines jeden einzelnen zu übergehen, als unwichtig oder irrelevant abzutun oder gar zu ignorieren. Im heutigen Beitrag liefert  Michael Hübler konkrete Vorgehensweisen und Methoden zur Lösung von Konflikten in der Krise.

Wahrheiten sind immer persönliche Wahrheiten

Prallen konträre Meinungen aufeinander, geraten die Kontrahenten schnell in eine Art Ping-Pong-Spiel in Dauerschleife. Ein Fortschritt im Sinne einer gemeinsamen Einigung oder Lösung ist schwer zu erreichen. Wirft beispielsweise eine Partei der anderen vor, sich unkollegial zu verhalten, weil sie sich in der Krise über Gebühr krank meldet, während sie selbst sich anstrengt, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, könnte die Gegenpartei kontern, dass sie nunmal nicht bereit ist, alles mitzumachen und es unverantwortlich findet, unter welchen Bedingungen sie zu arbeiten hat. Immerhin hat sie einen asthmakranken Sohn zu Hause.

In anderen Konflikten in der Krise kann es um Verteilungskämpfe gehen, um Ressourcen, um die Frage nach der eigenen oder fremden Systemrelevanz, beispielsweise zwischen hauseigenen Mitarbeitern und Freelancern, um die Frage nach dem richtigen Weg aus der Krise oder um den Vorwurf an das Unternehmen, nicht sauber gewirtschaftet zu haben, um nun die Krise zu überstehen. Solche oder ähnliche Konflikte werden wir in den nächsten Wochen noch mehr zu hören bekommen oder uns selbst mittendrin befinden.

Dabei geht es meistens um die eigene Wahrheit, die gegen die Wahrheit des Gegenübers, innerhalb der eigenen Hierarchie oder hierarchieübergreifend, ins Feld gebracht wird. Während sich in den Medien Verschörungstheorien und Fakten-Checker eine regelrechte Schlacht um die richtige Meinung liefern, findet auch im persönlichen Bereich ein Kampf um die richtige Wahrheit statt. Wahrheit jedoch ist zumeist eine persönliche Wahrheit: Der Kollege, der Angst um seinen asthmatischen Sohn hat, hat recht. Der Mitarbeiter, der es unfair findet, dass sich sein Kollege krank meldet, hat ebenso recht.

Ähnlich wie in den Medien empfiehlt es sich auch im privaten Bereich bzw. unter Kollegen, davon wegzukommen, Fakten oder Wahrheiten gegeneinander auszuspielen oder sogar zu hinterfragen, ob das Kind wirklich so krank ist oder ob der alleingelassene Kollege nicht ein wenig übertreibt. Stattdessen gilt als oberstes Gebot, die persönlichen Wahrheiten als gegeben stehen zu lassen, um das angesprochene Ping-Ping-Spiel zu verhindern und einen Schritt weiter in Richtung Lösung zu kommen.

Konflikte lassen sich nur als Prozess lösen

Vor allem zu Beginn der Corona-Krise herrschte die Meinung vor, schnell handeln müssen. Das mag sein. Es sollte jedoch einzelne Menschen nicht daran hindern, ihren eigenen Suchprozess zu starten und sich damit selbst eine Art Mündigkeit zu erarbeiten. Was wirklich richtig und was falsch gewesen sein wird, weiß aktuell niemand. Vielleicht lautet der Spruch, der die Krise momentan am besten trifft: Wir wissen so wenig. Oder wie es Noam Chomsky formulierte: Wir verfügen über einen enormen Fundus an Wissen. Allerdings wissen wir nicht, welche Bedeutung dieses Wissen hat.

Gleiches gilt für firmeninterne Konflikte. Auch hier hören die Mitarbeiter Zahlen über Kredite, Kürzungen, Verlängerung der Kontaktsperre, Krankmeldungen oder unterbrochene Lieferketten. Meinungen darüber sind schnell gebildet. Die wirkliche Bedeutung hinter den Zahlen, insbesondere für das eigenen Leben bzw. den eigenen Arbeitsplatz, sind jedoch schwerer zu ergründen.

Auf der Basis der Akzeptanz gegenseitiger Meinungen und Wahrheiten ist es gut, sich gemeinsam auf einen Prozess einzulassen, um zu klären, was hinter den persönlichen Meinungen steht. Unsere Sicht auf die Welt liefert uns zwar einen Auslöser zu einer Handlung. Diese Sicht unserer persönlichen Wahrheiten, unserer Wahrnehmungen und Meinungen, erklärt jedoch nicht unsere wahren Hintergründe. In diesem Sinne gibt es streng genommen, wenn wir noch einmal auf die aktuelle Krise zu sprechen kommen, keine Verschwörungen, sondern lediglich Interessen oder Anliegen.

In den meisten privaten oder beruflichen Konflikten gibt es ebenso in den seltensten Fällen böswillige oder gar hinterhältige Verschwörungen. Meistens liegen hinter einer Handlung Anliegen, Ängste, Bedenken, Sorgen, Ziele, Interessen oder Bedürfnisse.

Das vermutlich bekannteste Prozessschema, um solchen Interessen, Bedürfnissen, Zielen, usw. auf den Grund zu gehen und Konflikte schrittweise zu bearbeiten, ist im amerikanischen Raum das Harvard-Modell nach Uri und Fisher und im europäischen der U-Prozess nach Glasl und Ballreich. Dabei zeigt sich, dass ein Wegkommen von Meinungen, vermeintlichen Wahrheiten oder Vermutungen hin zu Interessen, Bedürfnissen usw. eine Begegnung von Mensch zu Mensch ermöglicht. Erst dadurch erkennen Kontrahenten, dass sie ganz ähnliche Anliegen haben und sich damit auch ein gegenseitiges Verständnis entgegenbringen.

Im Prinzip sind sich das Harvard-Modell und der U-Prozess sehr ähnlich. Der U-Prozess erweitert jedoch das Harvard-Modell um den Aspekt der Emotionen, der besonders in der aktuellen Krise sehr wichtig ist, weil wir alle auf unsere eigene Art betroffen sind und damit Angst oder Sorgen haben – um unsere Gesundheit oder die Gesundheit unserer Lieben, um unseren Arbeitsplatz, um unseren Rechtsstaat, die körperliche Unversehrtheit unserer Kinder oder die Solidarität zu anderen was Impfungen angeht oder sogar die Weltordnung oder die gelebten Werte während und nach Corona. Es geht um Gesundheit, Solidarität und Gerechtigkeit und damit die ganz großen Themen.

Schauen wir uns den U-Prozess etwas genauer an:

  1. Welche Sichtweisen stehen hinter den Meinungen?
    Sichtweisen verdeutlichen den Kontext zu einer Meinung. Aus welchen Erfahrungen und Erkenntnissen heraus handelt der Kollege? Wurde er schon einmal gekündigt? Gab es schon früher einmal einen Notfall mit dem asthmatischen Jungen? Steht gerade das Abzahlen eines Hauses an?
  2. Welche Emotionen sind mit den Sichtweisen eng verbunden? Und welche Ängste, Sorgen, Bedenken, aber auch Wut, Ärger und Enttäuschungen sind vorhanden?
  3. Welche Interessen oder Bedürfnisse liegen hinter den Sichtweisen und Emotionen?
    Hier finden wir den Sinn hinter einer Handlung oder Meinungsäußerung, der selten ausgesprochen wird. Spannenderweise finden sich hier alle Menschen irgendwie wieder: Jeder will gesehen, gehört und ernst genommen werden. Jeder Mensch braucht eine gute Balance zwischen Klarheit, Sicherheit und Selbstbestimmung. In der aktuellen Krise erleben sich viele Menschen als Spielball der großen Politik und der großen Managemententscheidungen. Sie fühlen sich weder sicher noch selbstbestimmt. Bei den einen führt dies zu einer übertriebenen Panik. Als Nichtrisikogruppe wäre es nicht wirklich schlimm, sich anzustecken. Die Angst ist dennoch bei vielen vorhanden. Bei anderen führt es zu Trotz und einer Wut im Bauch und evtl. Beschimpfungen am Telefon.
  4. Wenn sich die Parteien gegenseitig mit ihren Interessen und Bedürfnissen kennenlernten, ist es möglich, sich entgegenzukommen, indem die Bedürfnisse nach Sicherheit und Wahrnehmung zumindest teilweise erfüllt werden. Während die eine Partei der anderen signalisiert, dass die Gefahr einer Ansteckung gering ist, wenn im Büro auf den Sicherheitsabstand geachtet wird, bedankt sich die andere Partei für die Aufopferung in der Krise, damit der Laden weiterlaufen kann.
  5. Nach einem Austausch der gegenseitigen Angebote werden konkrete Vereinbarungen getroffen, die anschließend in die Praxis umgesetzt werden.

Neben diesem typischen Krisenkonflikt zwischen Mitarbeitern, besteht ein anderer Konfliktherd zwischen Führungskräften und Mitarbeitern. Eine Führungskraft, die in der Krise auf Widerstände stößt, könnte auf der Grundlage der Austausches von 1 bis 3 den Mitarbeitern sowohl die klaren Informationen geben, die sie bereits hat als auch eine ernstgemeinte Einladung zu kreativen Mitbestimmung aussprechen, um den Widerstand produktiv zu nutzen. Mitarbeiter, die ein solches Angebot bekommen, müssen es freilich auch annehmen, um den Deal perfekt zu machen. Nach einem Austausch der gegenseitigen Angebote, in diesem Fall Angebot zur Mitbestimmung gegen Aufgabe des Widerstands, werden konkrete Vereinbarungen getroffen, wie der gemeinsame Deal in der Praxis aussehen sollte.

Wir treffen uns in der Zukunft auf einer dritten Position

Sollten Sie als Führungskraft in der Krise als Moderator zwischen zwei Parteien gefordert sein, ist es hilfreich, als dritte Position die noch unbestimmte Zukunft ins Spiel zu bringen. Ich möchte dies anhand des Hegelschen Prinzips der Dialektik von These, Antithese und Synthese erläutern. Die dritte Position einer Synthese zieht aus dem Austausch zweier Meinungen einen dritten zukünftigen Ansatz, um einem Streit eine produktive Erkenntnis abzugewinnen.

An einem einfachen Beispiel erläutert:

  • These: Die einen trauern der alten Welt nach.
  • Antithese: Die anderen planen bereits die Organisation der neuen Welt.
  • Synthese: Was an der alten Welt ist bewahrenswert? Was an der neuen Welt ist begrüßenswert?

Der Ausblick in eine noch unbestimmte Zukunft mittels Visionen und positiver Szenarien stellt eine solche dritte Position dar. Eine Krise zwingt uns, Stellung zu beziehen und Farbe zu bekennen. Damit brechen Thesen und Antithesen aufeinander. Während uns jedoch in der Jetzt-Zeit manche Positionen als unvereinbar erscheinen, kann die Zukunft zusammen gestaltet werden.

Reflexion: Meine Rolle als vermittelnde Führungskraft

Wenn Sie als Führungskraft dergestalt in DIskussionen gehen, sollten Sie auch Ihre eigene Rolle in der Krise beleuchten:

  • Wie fördere oder behindere ich selbst unsere Zusammenarbeit in der Krise und darüber hinaus?
  • Wie leicht fällt es mir, mit negativen Emotionen umzugehen?
  • Was brauchen meine Mitarbeiter von mir?
  • Was will und was kann ich ihnen geben?
  • Wo sind auch mir die Hände gebunden?
  • Was brauche ich selbst beispielsweise auch von meinen Mitarbeitern?

Der mediative Methodenkoffer

Schauen wir uns abschließend einige Methoden an, die nicht nur für Führungskräfte im Zuge von Konflikten in Krisen interessant sind, sondern von jedermann angewandt werden kann:

Ausgleichsrhetorik

Wenn zwei sich streiten: „Ich versuche, dich zu verstehen. Lasst uns ergründen, welche Gemeinsamkeiten wir haben, wo wir uns ergänzen und worin wir uns unterscheiden.”

Heute und Morgen

Wenn das Team nicht mitzieht: „Wir müssen unsere Entscheidungen auf der Basis unseres heutigen Wissensstands treffen. Was wirklich passieren wird, wissen wir nicht. Es kann also sein, dass wir heute glauben, richtig zu liegen und morgen rückblickend falsch lagen. Dennoch müssen wir uns heute festlegen, um zumindest für den Moment handlungsfähig zu bleiben.”

Einwände und Emotionen vorwegnehmen

Bei Hiobsbotschaften: „Mit der aktuellen Krise hat niemand gerechnet. Und wie wir darauf reagieren müssen, hatten wir uns niemals so vorgestellt (Beispiel: Kurzarbeit). Ich bin mir sicher, dass ihr heute von mir etwas anderes erwartet und dass ich euch enttäuschen werde. Es wäre seltsam, wenn ihr nicht verärgert wärt. Ich bitte euch dennoch darum, euren Ärger zurückzuhalten und mir bis zum Ende zuzuhören. Ich werde euch anschließend gerne alle eure Fragen beantworten.”

Selbstoffenbarung

Wenn von den Mitarbeitern eine Herkulesleistung abverlangt wird: „Glaubt mir bitte. Mir geht es damit auch nicht gut. Gleichzeitig erscheint mir das, was wir tun müssen, als absolut notwendig, mit der Hoffnung auf Besserung in wenigen Monaten.”

Metaebene

Bei gereizter Stimmung: „Wir können uns jetzt auch gegenseitig anschreien. Ganz ehrlich: Manchmal hätte ich dazu auch eine riesige Lust. Aber: Bringt uns das weiter? Daher schlage ich vor, all unsere Alternativen in Ruhe zu besprechen und dann eine gemeinsame Entscheidung zu treffen.”

Um Rat fragen

Bei Kritik aus dem Team: „Was würdet ihr an meiner Stelle tun? Lasst uns das mal durchspielen.”

Sich bedanken

Wenn die Führungskraft selbst unter Beschuss gerät: „Dass ihr mich hier so heftig angreift ist schmerzhaft. Dennoch möchte ich mich bei euch dafür bedanken. Schlimmer fände ich es, ihr würdet mir nicht ehrlich die Meinung sagen und mich stattdessen hinter meinem Rücken kritisieren.”

Perspektivenübernahme

Um Dampf aus dem Kessel zu nehmen: „Wäre ich an eurer Stelle, wäre ich genauso frustriert. Ich würde euch dennoch gerne meine Sichtweise erläutern: …”

Evolutionärer Prototyp und nächste Schritte

Um wieder produktiv zu werden: „Welche verschiedenen Möglichkeiten haben wir? Lasst uns das gemeinsam durchspielen … Mein Vorschlag lautet: Wir einigen uns jetzt auf eine Vorgehensweise. Sollten wir merken, dass sie nicht funktioniert, nehmen wir Anpassungen vor. Oder haben wir andere Möglichkeiten, um handlungsfähig zu bleiben?”

„O.K. Wenn wir diesen Plan verfolgen, wie lautet dann der nächste Schritt?”


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Über den Autor

 Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.

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