Mit Fang an zu führen! haben Iris van Baarsen und Sven Hantel „nicht noch ein Buch zum Thema Führung“ vorgelegt, sondern das Buch zum Thema Führung! Denn dieses Buch ist anders! Aufgebaut wie ein Roman ist es Fiktion und Realität gleichermaßen. Obwohl Iris van Baarsen und Sven Hantel vom fiktiven Werdegang ihres Protagonisten Gero zur besseren Führungskraft erzählen, beruhen die Zweifel, Probleme und Fragestellungen, mit denen Gero konfrontiert wird, auf Erfahrungen realer Führungskräfte, die sich täglich den Herausforderungen der Führung von heute stellen.
Im Oktober stellen wir Ihnen nun wöchentlich einen Ausschnitt aus ihrem Buch vor. Im heutigen Beitrag geht es um das Thema Wertediskussion im Unternehmen. Wie steht es in Ihrem Unternehmen darum?
Teil 4: Wie ein gesamtes Unternehmen in die Wertediskussion geht.
GESPRÄCH ZWISCHEN GERO & MAX
MAX: Das klingt spannend. Wie genau liefen die Werkstätten ab? Und vor allem, wie habt ihr das mit der Schwarmintelligenz umgesetzt?
GERO: Zum Thema Schwarmintelligenz gibt es viele wissenschaftliche Untersuchungen, wobei Fisch- oder Vogelschwärme die drei immer gleichen Regeln aufwiesen, die wir uns schließlich in der Firma zu eigen gemacht hatten.
Regel Nummer eins: Der Schwarm bleibt immer zusammen!
Regel Nummer zwei lautet: Der Schwarm bewegt sich in dieselbe Richtung!
Und die dritte Regel heißt: Der Abstand innerhalb des Schwarms bleibt immer derselbe!
Regel Nummer eins – Der Schwarm bleibt immer zusammen! – haben wir für uns folgendermaßen übersetzt: Es ging uns darum, wie man eine Organisation zusammenhält. Meine These war, dass eine Organisation dann einen starken Zusammenhalt hat, wenn sie gemeinsame Werte lebt. Damit meine ich keine
Image-Kampagne. Werte dürfen keinen Alibi-Charakter haben oder vom Vorstand vorgegeben werden, weil es gerade schick ist. Werte müssen durch das gesamte Unternehmen entstehen, wahrhaftig und in erster Linie vom Management gelebt werden.
Aus der zweiten Regel – Der Schwarm bewegt sich in dieselbe Richtung! – haben wir die Frage abgeleitet: Wann bewegt sich eine Organisation in dieselbe Richtung? Die Antwort ist simpel, wenn sie dieselbe Vision hat und dieselben Ziele verfolgt. Mit Zielen identifizieren sich Menschen bekanntlich dann am besten, wenn es ihre eigenen Ziele sind.
Die dritte Regel – Der Abstand innerhalb des Schwarms bleibt immer derselbe! – haben wir so interpretiert, dass Menschen einerseits die Verbundenheit und Ge- meinschaft brauchen, also den Schwarm, aber innerhalb des Schwarms, genauer gesagt des Teams, genügend Platz benötigen, um sich zu entwickeln und um Potenzial zu leben. Also weniger allgemeingültige Vorschriften, lieber Regeln, die von kleineren Einheiten selbst definiert und deshalb viel eher eingehalten und respektiert werden. Den Abstand im Team zu halten, hat zudem mit Individualität zu tun. Menschen brauchen Gestaltungsspielräume, denn nur da, wo sie etwas gestalten und selbst entscheiden können, sind Menschen lebendig und kreativ.
MAX: Interessant, wie du das Thema Schwarmintelligenz auf die Firma übertragen hast. Ich persönlich glaube auch, dass die Masse oder das Kollektiv, wie du es gerne nennst, intelligenter ist als der Einzelne. Problematisch dabei ist nur, dass diese Meinung nicht alle teilen. Wenn ich an unser Mediengeschäft denke … da will jeder der Erste sein, jeder träumt von DER Exklusiv-Story, die er einmal in seinem Leben schreiben möchte. Und dabei geht es ganz gewiss nicht da- rum, sein Wissen zu teilen, sondern im Gegenteil. Informationen werden geheim gehalten, auch wenn am Ende alle Zeitungen, Nachrichten- und Fernsehsender mehr oder weniger dasselbe bringen. Der Wissensvorsprung bedeutet heute mehr denn je, über den entscheidenden Wettbewerbsvorteil zu verfügen. Somit klingt deine Theorie logisch und einfach, in der Praxis ist sie jedoch selten reales Handeln.
GERO: Es ist aber auch nicht so schwer. Aus meiner Sicht braucht es für einen solchen Ansatz zwei Dinge. Zum einen muss die Unternehmensspitze ihr Ego infrage stellen können. Wann handele ich wirklich zum Wohl des Unternehmens, meiner Mitarbeiter und zum Wohl der Gemeinschaft? Oder sogar etwas weiter gefasst: Wann handele ich zum Wohl unserer Erde? Und zum anderen: Wann geht es ausschließlich um mich?
Tei 3: Wie können wir wirklich kooperativ zusammenarbeiten?
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle Connect – es ist Teil der Beyond Leadership Methode – genauer vorstellen. Ich kenne Sie natürlich nicht, nicht Ihre Erfahrungen und nicht Ihr berufliches Umfeld, aber möglicherweise haben Sie das auch schon erlebt, dass tolle Projekte oder gute Ideen gescheitert sind, eine Zusammenarbeit mit einer anderen Abteilung oder sogar innerhalb derselben Abteilung schwierig bis unmöglich war, weil es um Wettkampf und um Macht ging statt um ein konstruktives Miteinander, wobei ein solches Verhalten so- gar der eigentlichen Sache massiv geschadet hatte. Besonders in Organisationen, die ihren hierarchischen Strukturen entsprechende Statussymbole zuordnen, sind Machtspiele ein häufiges Phänomen. Und obwohl es die Organisationen und ihren Mitarbeitern viel Energie und Kraft kostet, wird das Problem liebend gern unter den Teppich gekehrt. Ich zumindest habe das oft erlebt, nicht nur bei Harris, auch bei vielen meiner Mandanten. Es klingt wahnwitzig und ist dennoch traurige Realität, dass es häufiger um die eigene Person geht, den eigenen Erfolg und das eigene Weiterkommen, verbunden mit mehr Gehalt, mehr Entscheidungsmacht, ein größeres Büro oder ein schnelleres Auto, als um das Gemeinwohl des Unternehmens oder gar unserer Gesellschaft.
Wenn ich die Frage Wer bin ich und warum bin ich hier? nicht oberflächlich beantworte, gebe ich anderen die Möglichkeit, mich kennenzulernen und mich einschätzen zu können. Und genau dieses „Einschätzen-Können“ ist die Vorstufe von Ver- trauen.
Ich will Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen:
Stellen Sie sich vor, dass in Ihrem Unternehmen zwei Führungskräfte unterschiedlicher Abteilungen miteinander kooperieren sollen. Die beiden haben verschiedene Fähigkeiten und Kompetenzen. Hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit haben beide Führungskräfte grundsätzlich zwei Optionen: Sie können miteinander kooperieren, oder sie können versuchen, den jeweils anderen zu dominieren, um ihre eigene Position zu festigen – vermeintlich zu festigen.
Keiner der beiden kann sich sicher sein, dass der andere nicht dominiert. Sind beide in ihrer persönlichen Struktur eher unsicher und haben weniger Selbstvertrauen, entscheiden sie sich eher dazu, den anderen zu kontrollieren, bevor sie vom anderen dominiert werden. Einer Person mit einem gut ausgebildeten Selbstvertrauen hingegen fällt es meist leichter, den notwendigen Vertrauensvorschuss zu geben. Wenn also, wie in diesem Beispiel, beide den jeweils anderen dominieren, gibt es den größten Reibungsverlust. Machtkampf entsteht und das Ergebnis der Zusammenarbeit kann niemals das Beste sein.
Wenn jedoch einer der beiden kooperieren sollte, gibt es vermutlich weniger Reibung, aber immer noch keine vertrauensvolle Zusammenarbeit und deshalb wieder nicht das beste Ergebnis. Das bestmögliche Ergebnis kann nur dann erreicht werden, wenn beide kooperieren und ihren Machtkampf aufgeben.
Fazit dieses Beispiels: Wenn beide Führungskräfte es schaffen, ihr Ego hintenan- zustellen, sich gegenseitig vertrauen und respektvoll miteinander umgehen, erreichen sie für sich und das Unternehmen langfristig das beste Ergebnis.
- Unter welchen Bedingungen können Menschen Ihrer Meinung nach wahrhaft vertrauensvoll zusammenarbeiten?
- Wann haben Sie eine Atmosphäre erlebt, in der es unwichtig war, Ihre Position zu verteidigen? Woran, denken Sie, lag es, dass Sie Ihre „Macht“ nicht klarstellen mussten?
- Wann hingegen mussten Sie Ihre Position deutlich machen und warum, glauben Sie, war das so?
Bestimmen Sie auf einer Skala von 1 bis 10 den Wert, wie sehr Sie eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in Ihrem Umfeld wirklich wollen! Was können Sie konkret dafür tun?
Teil 2: Was echte Anerkennung mit uns macht
Als Manager habe ich meist – und vielleicht geht es Ihnen ja ähnlich – Anerkennung und Wertschätzung in Form von Tantiemen, Bonuszahlungen, Gehaltserhöhungen oder dem Wechsel auf die nächsthöhere Position erfahren. Diese Art der Anerkennung und Wertschätzung will ich nicht schlechtreden und ich war dankbar dafür, dass ich sie erfahren durfte. Doch es gab in meinem Leben einen Punkt, an dem sie nicht mehr ausreichte.
Eine Anerkennung in Form eines Gesprächs, bei dem mir jemand wirklich zuhörte, sich tatsächlich für mich als Individuum interessierte, für meine Gedanken, meine Ideen und meine Einstellungen, war das, wonach ich mich sehnte, die ich aber bei Harris nie erhielt. Vielleicht hätte ich es einfordern sollen. Doch ich glaubte damals, dass es sinnlos wäre oder sogar, dass ich mich mit diesem Wunsch lächerlich machen würde. Heute weiß ich, dass echte Anerkennung und Wertschätzung – ich rede hier bewusst nicht von Feedback – nichts sind, was einem hierarchischen Ranking unterliegen darf. Es muss für alle Menschen in einer Organisation gelten.
- Wann haben Sie das letzte Mal eine ehrliche Anerkennung erfahren?
- Was macht fehlende Anerkennung und Wertschätzung mit Ihnen?
- Wann haben Sie das letzte Mal die Leistung oder auch nur eine Handlung eines anderen Menschen zutiefst anerkannt und sichtbar gemacht?
Menschen haben ein ganz individuell ausgeprägtes Bedürfnis nach Anerkennung. Dem einen ist es wichtig und er benötigt sie, um motiviert zu bleiben, für andere hin- gegen spielt sie eine geringe Rolle. Doch egal, wie stark ausgeprägt das Bedürfnis nun ist, Anerkennung brauchen wir alle.
Wir wollen als Individuum wahrgenommen und bestätigt werden, im Privat- wie im Berufsleben. Und obwohl das den meisten von uns bewusst ist, geizen wir mit Anerkennung und Lob wie Dagobert Duck mit seinen Talern. Aber wo die Anerkennung fehlt, fühlen sich Menschen irgendwann unsichtbar und vernachlässigt. Ihre Einsatzbereitschaft, ihr Engagement sinkt. Wird der Graben zwischen Anerkennung und Anstrengung zu groß, nimmt der Mensch dieses Ungleichgewicht als Ungerechtigkeit wahr. Die Folgen sind Leistungsabfall, Demotivation und sogar Krankheiten. Denken Sie mal darüber nach.
Teil 1: Werte sind essenziell!
In der Tat hatte ich mich als Wirtschaftsprüfer, der häufig mit Vorschriften, Gesetzen und Rahmenbedingungen zu tun hat, erst sehr spät mit meinen eigenen Gesetzen und Rahmenbedingungen – damit meine ich meine Werte – beschäftigt. Doch selbst, wenn man sich nicht mit den eigenen Werten explizit auseinandersetzt, spürt man ein Unwohlsein, wenn man gegen sie handelt. Und dieses Gefühl bleibt, so lange, bis man es hingenommen hat, abgestumpft ist oder sich aufrafft und beginnt, die Umstände zu verändern.
Die meisten von uns wissen, dass dieses Verändern meist leichter gesagt ist als getan. Ich denke da an eine bestimmte Situation, die mir widerfahren ist, und vielleicht haben Sie Vergleichbares erlebt.
Unterhalb der Partnerebene plante der Vorstand gravierende strukturelle Veränderungen. Sie betrafen das Aufgabengebiet der ersten Managerebene und schränkten deren Entscheidungskompetenzen stark ein. Man konnte davon ausgehen, dass ein Großteil der Betroffenen sich in der neuen Struktur als Verlierer wahrnehmen würde. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu meinen Managern und war der Meinung, dass ich sie über die geplanten Veränderungen persönlich informieren sollte.
Als ich mein Vorhaben bei einem Mittagessen in der Kantine mit dem Vorstand zufällig erwähnte, musste dieser schwer an sich halten, um nicht inmitten der Kollegen und Mitarbeiter laut zu werden. Er meinte, das wäre absolut unmöglich. Immerhin betraf die neue Struktur vierhundert Manager, direkt und indirekt sogar die gesamte erste und zweite Ebene. Wenn wir da warten würden, bis alle persönlich informiert wären, wären wir im nächsten Jahr noch damit beschäftigt. Es würde in einer Woche eine Mail vom Vorstand versendet werden, in der alles sehr ausführlich erläutert werden würde. Sollte es Fragen geben, würde die Personalabteilung oder seinetwegen auch wir, als Vorgesetzte, für Rückfragen zur Verfügung stehen. Ich sollte bis dahin die Klappe halten.
Zu weniger Wertschätzung und Respekt hätte er mich nicht zwingen können und obwohl ich überzeugt war, dass dies der falsche Weg war, ließ ich mich zwingen. Ich kommunizierte nicht. Stattdessen trat ich meine Werte mit Füßen. Die Ehrlichkeit hatte sich winselnd in ein stinkendes Loch verkrochen.
Ich hatte mir früher nie Gedanken darüber gemacht, dass ich in solchen Momenten gegen meine Werte handelte. Wie auch? Ich hatte mich mit meinen Werten ja nie wirklich auseinandergesetzt. Seitdem ich es tue, bin ich klarer in dem, was ich tue, und vor allem, warum ich etwas tue, und das ist ein ausnehmend gutes Gefühl.
- Sind Sie sich Ihrer Werte bewusst?
- Welche Wertvorstellungen gibt es in Ihrem Leben?
- Welche Eigenschaften sind Ihnen im Umgang mit anderen Menschen wichtig? Oder mit sich selbst?
- Wann sind Sie mit Ihren Werten im Einklang?
Wenn Sie sich hinsichtlich Ihrer Werte unsicher sind, können Sie diese kleine Übung (Vgl. Baschab, Thomas: Träume wagen. Ariston Verlag 2015, S. 85.) machen:
ÜBUNG:
Nehmen Sie ein Blatt Papier und teilen Sie es in drei Spalten auf. Schreiben Sie in die erste Spalte drei bis fünf Werte, die für Sie eine große Bedeutung haben (z. B. Integrität, Vertrauen, Strebsamkeit, Erfolg, Professionalität, Freundschaft, Kommunikation usw.). Anschließend tragen Sie in die zweite Spalte Ereignisse oder Situationen ein, in denen Sie sehr glücklich waren, und in der dritten Spalte notieren Sie Situationen, in denen Sie sehr unglücklich waren. Fällt Ihnen jetzt im Zusammenhang mit der ersten Spalte etwas auf?
Aus Werten entstehen Denkmuster, die wiederum das Handeln beeinflussen und letztendlich unseren Charakter beschreiben. Werte sind unsere moralischen Leitlinien und für unser Leben wichtig. Leider haben viele es verlernt oder vergessen, auf die eigenen Werte zu achten – ja, sich überhaupt mit den eigenen Werten auseinanderzusetzen. Mitunter hat man es uns aberzogen oder wir haben es uns abgewöhnt, weil wir glauben, wir kommen „angepasst“ besser durchs Leben. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall.
Werte entstehen in uns. Sie entstehen aufgrund unserer Erfahrungen, unserer Einstellungen und Glaubenssätze. Unsere Werte sind Teil unserer Identität und diese Tatsache sollten wir nicht unterschätzen, sondern gewinnbringend für uns selbst, unser Umfeld und unseren beruflichen Weg einsetzen.
- Welche Werte vertritt Ihre Organisation?
- Welche Werte stehen auf der Homepage Ihres Unternehmens?
- Wie lebt Ihr Unternehmen diese Werte?
- Passen Ihre Werte zu denen des Unternehmens?
Das schwierige an Werten ist, dass wir sie meist sehr unterschiedlich interpretieren und somit auch unterschiedlich leben. Es ist zweifelhaft, dass alle das gleiche Verständnis für ein und denselben Wert haben. Doch ein Wertesystem besteht vorrangig aus der Summe unserer Handlungen, weshalb Vorbilder enorm wichtig sind. Deshalb ist es weniger von Bedeutung, welche Werte irgendwo schriftlich dokumentiert sind, entscheidend ist, wie Menschen ihre Werte leben und – auf unser Thema bezogen – wie Führungskräfte diese Werte vorleben. Besonders in ihrem engeren Umfeld, denn dort ist der positive Einfluss, den sie nehmen können, am größten.
Fang an zu führen!
Eine Geschichte über Zweifel, Mut und Handeln
ISBN 978-3-96186-033-3