8. Februar 2022 | 5 Fragen an ...

Wir sollten reden! Michael Hübler im Interview

5 Fragen an … Interview mit Michael Hübler

Pandemie, Klimawandel, Flüchtlingskrise, Digitalisierung, Sprachwandel und so weiter: Es gibt viele Herausforderungen mit denen unsere Gesellschaft gleichzeitig konfrontiert ist und die den Zusammenhalt und das solidarische Miteinander auf die Probe stellen. Die Meinungen und Haltungen in den aktuellen Konflikten gehen so weit auseinander, dass die Gesellschaft gespalten erscheint. Die Stimmung ist angespannt und die Streitkultur droht zu verrohen. Können wir die Gräben zwischen uns wieder schließen und was kann der Einzelne/die Einzelne tun, um seine/ihre Konfliktfähigkeit zu stärken?

In seinem Buch “Wir sollten reden! Respekt und Konfliktfähigkeit in gereizten Zeiten” beschäftigt sich Autor und Kommunikationsexperte Michael Hübler mit der persönlichen Konfliktfähigkeit. Ziel ist es, individuelle Lösungsansätze zu finden, neue Haltungen einzunehmen und respektvoll mit anderen zu streiten. Zum Erscheinen des Buches beantwortet er uns 5 wichtige Fragen:

Herr Hübler, Ihr neues Buch heißt „Wir sollten reden! Respekt und Konfliktfähigkeit in gereizten Zeiten“. Verhalten sich die Menschen in Krisenzeiten respektloser und sind weniger konfliktfähig?

In Krisenzeiten ist die Lage grundsätzlich angespannter. Das führt zuerst einmal – wenig überraschend – zu mehr Egoismus, was die Bereitschaft verringert, ruhig und sachlich miteinander zu diskutieren. Gleichzeitig nimmt die Solidarität zu. Allerdings nicht die vielbeschworene Solidarität mit allen Mitmenschen, sondern eine Solidarität für die Allernächsten. Das können Familie und Freunde sein oder andere sozial Zugehörige. 

Warum sind wir heutzutage eigentlich alle so schnell gereizt und empört?

Viele Lebensbereiche werden heute schnell auf eine moralische Ebene gehoben, zum Beispiel das Ess- oder Fahrverhalten, als ginge es ständig um das große Ganze. In einer Welt, in der alte Gewissheiten bröckeln und Autoritäten mit Argwohn betrachtet werden, geben Moralvorstellungen neuen Halt. Doch moralische Urteile folgen oft der Mehrheitsmeinung und sind undifferenziert. Auf die Missachtung moralischer Regeln erfolgt je nach Schweregrad Empörung und Bloßstellung. Wenn ich mir also ab und zu ein Schnitzel gönne und mein Essverhalten in den Fokus einer moralischen Auseinandersetzung gerät, werde ich schnell als Fleischfresser verurteilt, was die Fronten verhärtet und zu Feindschaften führt.  

Kann man durch Reden jeden Konflikt lösen? Oder gibt es auch Situationen, in denen man besser nicht mehr miteinander spricht?

Es gibt eine Zeit zum Reden und eine Zeit der Toleranz. In meinen aktuellen Seminaren zu Corona-Konflikten lege ich Führungskräften nahe, nicht jeden Konflikt lösen zu müssen. Manchmal ist es sinnvoller, bei schwierigen Themen und Problemen, die sich momentan offensichtlich nicht lösen lassen, abzuwarten, beispielsweise indem Mitarbeitende ins Homeoffice gehen, bis sich der Sturm gelegt hat und eine Annäherung wieder möglich ist. In der Zwischenzeit ist es wichtig, den Kontakt auf einer möglichst sachlichen Ebene nicht abreißen zu lassen und am gegenseitigen Verständnis zu arbeiten. 

Was kann ich tun, um gelassener mit konträren Meinungen und Konfliktsituationen umzugehen?

Ich sollte mir gut überlegen, was ich mit einer Diskussion erreichen will. Will ich meine Meinung durchdrücken oder bin ich wirklich an einem Austausch interessiert? In den meisten Konflikten geht es leider darum, die Gegenseite vom eigenen Standpunkt zu überzeugen. Selbst wenn mein Gegenüber meine Argumente nachvollziehen könnte, würde ein solches Ziel zu Trotzreaktionen führen.  

Sinnvoller ist es, den eigenen Standpunkt zu verdeutlichen, so sachlich und logisch wie möglich, ohne den Druck, das Gegenüber überzeugen zu müssen. Sobald ich verstanden habe, dass ich keinen Schraubenschlüssel für das Gehirn meines Gegenübers habe, werde ich gelassener. Die Situation entspannt sich. Gleichzeitig wird mein Gegenüber mir eher zuhören. Hilfreich ist es, wenn ich neben Gelassenheit auch ein wenig Neugier mitbringe. Vielleicht kann ich interessierte Fragen stellen und mich sogar auf manche seiner Argumente einlassen, sodass sich neue Gesprächsräume öffnen. 

Müssen wir in einer offenen Gesellschaft alle Meinungen respektieren?

Sicherlich nicht. Es gibt No-Gos in einer offenen Gesellschaft wie rassistische oder sexistische Äußerungen.  

Es liegt jedoch in der Natur einer offenen und freiheitlichen Gesellschaft, dass es keine einheitlichen Regeln gibt, die stets die Grenze zwischen Meinung und Moralverletzung zweifelsfrei aufzeigen. Zum einen haben wir typische Generationenkonflikte, zum anderen spricht der Soziologe Andreas Reckwitz von einer Dreiteilung der Gesellschaft: Neben einer sehr kleinen Oberklasse unterscheidet er ein Drittel Prekariat, ein Drittel alte und ein Drittel neue Mittelklasse.  

Vor allem die im Internet dominante neue und alte Mittelklasse vertritt sehr unterschiedliche Werte. Was für die einen Respektlosigkeit darstellt, ist für die anderen ein direkter, unkomplizierter oder sogar humorvoller Umgang miteinander. Hier von der vielzitierten Spaltung der Gesellschaft zu sprechen, halte ich für falsch. Unterschiedliche Wertvorstellungen und Weltanschauungen innerhalb einer Gesellschaft sind kein neues Phänomen.  

In einer offenen Gesellschaft sollten wir jedoch bereit sein, uns die Meinungen anderer anzuhören, und nicht bereits bei den kleinsten Anzeichen einer Verfehlung mit dem Cancel-Culture-Reflex reagieren und jegliche Auseinandersetzung abbrechen. 


Wir danken  Michael Hübler für das Interview.


Cover E-Book Wir sollten reden

Cover Hübler E-Book Wir sollten reden

Wir sollten reden!

Respekt und Konfliktfähigkeit in gereizten Zeiten
ISBN 978-3-96186-064-7

 Zum Buch

Mehr über den Autor auch auf seiner Website  www.m-huebler.de